Orgelunterrricht
epd-bild/Andrea Enderlein
Kirchenmusik ohne Orgel ist in evangelischen und katholischen Kirchen in Deutschland nach wie vor kaum vorstellbar.
Vom Wert christlicher Töne
A-B-C-D: Das "Alphabet" der Kirchenmusiker
Philipp Domke ist Kirchenmusiker. Geboren wurde er in der Bach-Stadt Köthen. Aufgewachsen ist er im brandenburgischen Neuruppin, wo seine Eltern Kantoren waren. Die Kirchenmusik hat er also schon von Kindesbeinen an miterlebt. Welchen Wert für ihn sein Beruf heute hat und warum die Kirche nicht gern an der Musik spart, das hat evangelisch.de Mitarbeiter Thomas Klatt erfragt.

Als Erwachsener studierte er jedoch Jazz-Posaune und arbeitete lange als freier Musiker. Oder besser gesagt, er hat sich durchgeschlagen. "Dieses selbstständig sein ist nicht für jeden gemacht. Man muss sich gut verkaufen können. Richtig rödeln. Mir hat auch musikalisch etwas die Tiefe gefehlt. Deshalb habe ich mich noch mal besonnen", sagt der 43-jährige Familienvater heute.

Also hat er noch mal zwei Jahre ran gehängt, um sich als C-Kirchenmusiker ausbilden zu lassen. Heute ist er mit 75 % in der evangelischen Kirchengemeinde Falkensee im Land Brandenburg angestellt. Dafür spielt er unter anderem drei Mal im Monat die Orgel im Gottesdienst, leitete 90 Minuten Chorprobe und baut einen Posaunenchor auf. Ab und an spielt er auch bei Beerdigungen. 

Das Gehalt sei nicht üppig, aber für ihn so in Ordnung, sagt er. Denn endlich gebe es ein festes Gehalt. In der Coronazeit hat jeder dritte freie Musiker seinen Beruf aufgeben müssen.

Philipp Domke spielt Jazz-Posaune.

Ihn habe die Kirchenmusik gerettet, sagt Domke. Und: In der Kirche hat man ein dankbares Publikum. Die sind froh, dass jemand da ist. Und ich kann meine vierjährige Tochter mitnehmen. Sie kann auf der Orgelbank neben mir sitzen. Oder sie kann zu Dienstbesprechungen dabei sein. Diese Freiheiten schätze ich sehr."

 

Knapp 2000 evangelische Kirchenmusikerstellen 

Nach der letzten Zählung von 2022 hat die Evangelische Kirche in Deutschland 535 A- und 1373 B-Kirchenmusiker-Stellen. Die meisten davon in Vollzeit. Manche arbeiten aber auch auf 50- oder 75 %-Niveau. Hinzu kommen C-Musikerstellen, für die es derzeit aber keine genaue Statistik gibt. Für 2023 weist die katholische Kirche 1357 hauptamtlich angestellte Kirchenmusikerinnen und -musiker in Deutschland aus. Zu 100 % sind demnach 832 angestellt, zu 50 % und mehr sind es 525. Der Bedarf ist da und Stellen sind weiterhin unbesetzt. Klar ist, dass die Kirchenmusik ein wesentlicher Faktor im Gemeindeleben ist und bleiben wird. Viele Menschen gehen in den Gottesdienst, um lieber ein gutes Orgelstück oder einen gelungenen Gospel als eine schlechte Predigt zu hören.

KMU 6 belegt hohen Stellenwert des Liedersingens

Die letzte Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung KMU6, die ökumenisch Katholiken wie Evangelische befragte, hat gezeigt, wie wichtig den Menschen die christlichen Töne sind. Über zwei Drittel der Befragten finden das Singen von Kirchenliedern wichtig. Mehr als die Hälfte findet Kirchenmusik inspirierend. Jeder und jede vierte Befragte sagt sogar, Gottes Nähe sei in der Kirchenmusik spürbar. 

"Es gibt oft Gemeinden, die gezielt zuletzt an der Kirchenmusik sparen", heißt es aus dem kirchenmusikalischen Referat der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO). Und es wird früh, sehr früh für die Kirchenmusik geworben. Sogar schon pränatal. "Da gibt es zum Beispiel Babypsalmsång aus Dänemark, also Kinderliedersingen. Das ist ein Angebot für Mütter, die schwanger sind, oder auch Großeltern, die neue Enkel haben, die sich treffen und gemeinsam singen. Die Babys müssen noch nicht singen. Oft sind es Leute, die wahnsinnig gerne singen wollen und da kommt jetzt ein Kind oder Enkelkind. Und dann heißt es: Ich würd’s so gerne, aber ich kann es nicht richtig", sagt Günter Brick, Studienleiter für die kirchenmusikalische Aus-, Fort- und Weiterbildung in der EKBO und Leiter des C-Seminars an der Universität der Künste UdK in Berlin. 

Miniorgel zum selber aufbauen

Das kirchenmusikalische Werben geht dann in der Grundschule weiter. "Wir haben einen kleinen Orgelbausatz, den man sich bei uns ausleihen kann. In zwei Stunden kann man eine Mini-Orgel mit Pfeifenregistern aufbauen und am Ende will mindestens die Hälfte der Klasse Orgel spielen lernen", berichtet Brick weiter.

Mit dem Ergebnis, dass schon Jugendliche mit der D-Ausbildung starten. Dafür benötigen sie keine Aufnahmeprüfung. Allein wichtig ist ein gewisses Talent und Lust an der Musik. In der Regel findet der Orgelunterricht dann beim Kirchenmusiker bzw. der Kirchenmusikerin in der Nähe statt. Die D-Ausbildung geht über ein Jahr an 10 Samstagen. Dort lernt man dann erste Grundkenntnisse etwa in der Kinderchor- oder Posaunenchorleitung, je nach Interessenlage. "Tatsächlich kann man damit auch ein bisschen Geld verdienen. Als Schüler war das für mich superattraktiv. Ich spiele sonntags Orgel und kriege vielleicht 40 oder 50 Euro für einen Gottesdienst", verrät Günter Brick.

Mut zum Kirchenmusik-Studium

Manche trauen sich später dann sogar an das schwere Kirchenmusik-Studium auf A- oder B-Niveau an einer Universität. Viele belassen es aber bei einem 4-semestriges C-Studium. Die C-Ausbildung an der Berliner UdK kostet etwa nur eine Gasthörer-Gebühr von 150 Euro im Semester. Das sei finanziell wie inhaltlich bewältigbar, auch wenn das Niveau alles andere als flach sei, sagt EKBO-Landeskirchenmusikdirektor Gunter Kennel: "Wir haben schon bei C und D die Fächer Theologische Information, Gottesdienstkunde oder Gesangbuchkunde. Das setzt sich in einer ziemlichen Differenzierung im Hauptfachstudium fort. Bei der Gottesdienstkunde haben Kirchenmusiker durch ihr Studium unter Umständen sogar einen höheren Informationsstand als Vikarinnen und Vikare."

Einstellungsvoraussetzung ist in beiden Kirchen neben bestandener Prüfung die Mitgliedschaft in der Kirche, wenn man in einer Gemeinde angestellt werden möchte. Denn Kirchenmusik wird als Teil der christlichen Verkündigung verstanden. Die Kirche verlange aber keine Alleskönner. Ob A-B-C-oder-D, es werde gemacht, was am besten passt. "Da haben wir Personen, die sich mit alter Musik sehr gut auskennen und sich dafür an anderen Stellen nicht so spezialisiert haben. Und dann haben wir wieder andere, die im Bereich Popularmusik total fit sind. Das gleiche gilt für die klassische romantische Musik oder Gregorianik. Andere haben einen chorleiterischen Schwerpunkt und werden dann Domkantor", sagt Landeskirchenmusikdirektor Gunter Kennel.

Die Kirchenmusik, so scheint es, ist - noch nicht - von Sparzwängen gebeutelt. Im Gegenteil. Wurde die Stelle des Beauftragten für Popularmusik vor 20 Jahren noch von einem Pfarrer nebenamtlich betreut, sitzt mit Michael Schütz jetzt ein Profi-Kirchenmusiker auf dieser EKBO-Stelle. "Alle Kolleginnen und Kollegen versuchen sich auszutoben im Bereich Rock, Pop, Funk, Soul, Klezmer, Samba, Salsa, Jazz usw. Das ist das Spannende, neue Musikstile, so genannte weltliche Musik, Rhythmen, Akkordfolgen, formale Strukturen und die dann mit der eigenen Sprache zu verbinden", sagt Schütz, der schon vor Jahren aus Tübingen nach Berlin wechselte.

Aber sind Kirchenmusiker richtige Musiker? Michael Schütz merkt schon, wie ihn etwa Symphoniker manchmal belächeln. Weniger ob seiner musikalischen Qualitäten, sondern wegen seines christlichen Wertefundaments und seines musikalischen Verkündigungsauftrages. Aber das stecke er weg. Er zumindest habe bei all den Freiheiten seinen Weg in die Kirchenmusik nie bereut, sagt er.