Der erste Fall für Martin Brühl, "Der Kommissar und das Kind" (2017), war nicht nur ein Krimi, sondern vor allem das fesselnde Psychogramm eines traumatisierten Ermittlers, der unter den Folgen eines Kidnappings litt, dass er nicht aufklären konnte. Der zweite Film, "Der Kommissar und die Wut" (2020), erzählte eine faszinierende Geschichte über Schuld und Sühne. Diesmal war Brühl von einer diffusen Erbitterung erfüllt; sein Zorn richtete sich gegen Typen, die mit aufgemotzten Angeberautos für akustische Umweltverschmutzung sorgen.
Fall Nummer drei, "Der Kommissar und die Eifersucht" (TV-Premiere war 2022) ähnelt auf den ersten Blick dem Auftakt der Reihe, denn es geht auch diesmal um die Entführung eines Kindes. Richtiger gesagt: um eine angebliche Entführung. Der Reiz des erneut von Christoph Darnstädt verfassten Drehbuchs resultiert aus der Gewissheit, dass die ganze Geschichte offenkundig nur das Hirngespinst einer verwirrten jungen Frau ist; wenn da nicht Brühls Restzweifel wäre.
Die Krimiebene beginnt mit dem Notruf einer jungen Mutter: Dina Ritter (Stephanie Amarell) hat den vierjährigen Benji für einen Moment auf dem Spielplatz allein gelassen, und nun ist er fort. Die angebliche Kidnapperin, Imke Sachtleben (Stefanie Stappenbeck), entpuppt sich jedoch als die wahre Mutter des Jungen, der in Wirklichkeit Emil heißt. Dinas Bruder (Jacob Matschenz) klärt Brühl und seine Freundin, Polizeipsychologin Susanne Koch (Meike Droste), über die Hintergründe auf: Dina ist im Heimatdorf der Geschwister bei Cottbus jahrelang vom Vater missbraucht worden. Mit 15 wurde sie schwanger, hat das Kind jedoch verloren. Zwischenzeitlich war sie einer psychiatrischen Klinik, aber nun hat sie, wie sie bestätigt, die "Psychopillen" abgesetzt. Als das Ehepaar Sachtleben (den Gatten spielt Wanja Mues) die Polizei darüber informiert, dass Dina sie erneut belästigt hat und diesmal offenbar auch ins Haus eingedrungen ist, wird die junge Frau zwangsweise eingewiesen und ruhiggestellt.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Während Brühl tiefes Mitgefühl für die verwirrte Dina empfindet, sieht Susanne die Sache eher sachlich: Der vermeintliche Fall ist offenkundig keiner. Der Chef (Michael Schenk) pfeift den Kommissar zurück, Kollege Wiesner (Marc Ben Puch) macht sich gar lustig über ihn und mutmaßt, er habe sich ein bisschen in Dina verliebt. Und so wäre die Geschichte nach dem ersten Akt bereits zu Ende, wenn Brühl seine Freundin nicht bei einem heimlichen Treffen mit Wiesner beobachtet hätte. Dessen Frau (Anna König) bestärkt ihn in der Vermutung, dass die beiden eine Affäre haben, und deshalb reagiert er mit Trotz, verbeißt sich in den Fall und reist Richtung Cottbus. Prompt stößt er auf Hinweise, die Dinas Geschichte in einem ganz anderen Licht erscheinen lassen. Allerdings lässt Darnstädts Drehbuch die Möglichkeit offen, dass Brühls Ermittlungsergebnisse so gut in sein Bild passen, weil er nur das sieht, was er auch sehen will.
Die Vorlage ist von großer Qualität, die Umsetzung ist es nicht minder. Andreas Senn hat auch die beiden anderen Filme inszeniert. Dort war die Bildgestaltung ebenfalls bemerkenswert, doch diesmal ist sie preiswürdig: weil Senn und Kameramann Michal Grabowski ein faszinierendes ästhetisches Konzept gefunden haben. Lichtsetzung und Farbgebung drängeln sich nicht in den Vordergrund, verleihen einzelnen Szenen aber ganz unterschiedliche Atmosphären: Als Dina in der Psychiatrie ruhiggestellt wird, sind die Bilder in ein tiefes Nachtblau getaucht; als sie, noch unter dem Eindruck der Medikamente, am nächsten Tag erwacht, wirken die Aufnahmen farbentsättigt, als seien sie zu heiß gewaschen worden.
Eine Außenszene erinnert an eine fünfzig Jahre alte vergilbte Ansichtskarte. All’ das ist mehr als bloß Spielerei: Zu Beginn lässt die Bildgestaltung die Welt von Familie Sachtleben heimelig erscheinen; später, als ihr Fundament ins Wanken geraten ist, wirkt sie arktisch kühl. Besonders beeindruckend ist auch das fesselnd umgesetzte Finale, als das Elternhaus der Ritters in Flammen steht und der auf der Suche nach Emil durch einen Wald irrende Brühl wie ein Scherenschnitt vor einem senfgelb-giftigen Hintergrund wirkt. Die Leistung des selbst in winzigen Nebenrollen gut besetzten Ensembles ist ohnehin vortrefflich. Das gilt allen voran für Stephanie Amarell, die Dinas Stimmungsschwankungen zwischen Wut und Verzweiflung jederzeit glaubwürdig verkörpert.