Wo einst Soldaten strammstanden und das Vaterunser beteten, duftet es an diesem Abend nach leckerem Szegedinger Gulasch. Vor dem Altar der Oldenburger evangelischen Garnisonkirche stehen sieben festlich eingedeckte Tische mit weißer Tischwäsche und Blumen. Um Platz zu schaffen, wurden die Kirchenbänke in den hinteren Teil der Kirche verschoben.
Für ein paar Stunden ist die Kirche zu einer Vesperkirche geworden, die bedürftige Menschen an den gedeckten Tisch einlädt und ihnen einen schönen Abend bereiten will. "Kommt herein und esst euch richtig satt!", sagt Ruhestandspastor Andreas Thiebaut, der zusammen mit den Johannitern die Aktion ins Leben gerufen hat.
Zunächst zögerlich kommen die ersten Gäste in die Kirche. "Die Medienvertreter schrecken die Leute ab - das müssen wir beim nächsten Mal berücksichtigen", sagt Anja Siegert. Sie ist die Vorsitzende der Johanniter-Hilfsgemeinschaft Oldenburg. Wie alle Helferinnen und Helfer trägt sie eine knallrote Schürze mit dem Motto der Aktion "Oldenburger Vesperkirche - Für Leib und Seele. Für Alle." Mit als Helfer dabei ist auch Jörg Bohlken, der das Team des Kältebusses der Johanniter-Unfall-Hilfe leitet. Im Winter werden vor dem Hauptbahnhof vom Bus aus heiße Getränke und Mahlzeiten verteilt. Er wird von einigen Gästen mit großem Hallo begrüßt.
Nach und nach füllt sich die Kirche: Ein Mann sucht noch einen Platz für seinen riesigen Rucksack mit seiner gesamten Habe. Am Nachbartisch hat sich eine junge Frau mit ihren vier kleinen Kindern niedergelassen. Eher am Rand sitzen Ralf, Klaus und Sascha. "Für heute Abend haben wir uns alle etwas feiner gemacht", sagt Ralf uns schmunzelt. Tatsächlich wirken alle drei, als hätten sie sich noch kurz vor dem Festmahl frisch rasiert.
Bei gutem Essen ein wenig die Sorgen vergessen
Ralf hat vor einigen Jahren seinen Job verloren. "Seitdem gings bergab." Um die Sorgen zu betäuben, trank er, dann kam der Abstieg. Nun steht er kurz vor dem Rausschmiss aus seiner Wohnung. "Aber seit einem Monat bin ich trocken", sagte er stolz. Jetzt müsse er einiges aus seiner Vergangenheit wiedergutmachen. "Aber so ein Abend mit gutem Essen lässt einen ein wenig herunterkommen. Es ist hier echt entspannend."
Klaus und Sascha sind gekommen, "weil wir neugierig sind". Klaus hat 25 Jahre als Lastwagenfahrer für die Post gearbeitet, bis es nicht mehr ging. "Nun fehlen mir fünf Jahre für die Rente, da wird das Geld zum Leben knapp." Sascha fügt hinzu: "Da ist so ein Abend mit warmen Essen schon schön"- allerdings dürften es beim nächsten Mal schon etwas mehr Fleisch und Kartoffeln sein. Dass das Essen in einer Kirche stattfindet, sei "ganz okay" und "eben mal etwas anderes", finden sie.
Vom eigenen Lebensglück etwas zurückgeben
Verantwortlich für das festliche Essen ist Michael Niebuhr, Koch und Besitzer des "Norderholzer Hofs" in Hude. "Normalerweise arbeite ich mit Steinbutt oder Trüffeln", sagt er. "Szegedinger Gulasch habe ich seit sicher 15 Jahren nicht mehr gekocht." Er selbst habe im Leben viel Glück gehabt. "Davon will ich der Gesellschaft etwas zurückgeben."
Am diesem Abend sind gut 40 Menschen bei der ersten Vesperkirche zu Gast, gekocht wurde für bis zu 70 Gäste. In der kommenden Woche gehe es weiter, verspricht Pastor Thiebaut. "Wenn es sich herumspricht, werden mehr Menschen kommen", ist er sich sicher. "Wir werden mit unserer Aktion nicht alle Probleme der Welt lösen. Nicht, solange es so viele Menschen gibt, die zu wenig haben, um würdevoll zu leben", räumt er ein. "Aber wir können ihnen ein paar schöne Stunden auf Augenhöhe schenken."
Bis Pfingsten seien, jeweils an den Donnerstagen, sechs Vesperkirchen in der Garnisonkirche geplant, erläutert der Pastor. Danach werde ausgewertet, ob und wie das Projekt weitergehen kann. Die inzwischen verbreitete Tradition der Vesperkirchen stammt aus Süddeutschland. Überwiegend evangelische Kirchengemeinden in Baden-Württemberg und Bayern bieten dort jährlich unter diesem Titel vor allem in den Wintermonaten soziale Projekte zugunsten von armen und bedürftigen Menschen an - oft in Form von kostenlosen Mahlzeiten in Kirchenräumen. Ähnliche Initiativen gab es in den vergangenen Jahren unter anderem in Hannover, Braunschweig, Hildesheim, Helmstedt und Lüneburg.