Vermutlich gab es schon immer Menschen, die großen Gefallen daran fanden, ihre Grausamkeit zur Schau zu stellen; und andere, denen es Freude bereitet, ihnen dabei zuzuschauen. Beiden Gruppen muss das Internet wie ein Geschenk des Himmels vorkommen; im weltweiten Netz lauern Abgründe jenseits der allgemeinen Vorstellungskraft. Die entsprechenden Bilder spart Christoph Stark (Buch und Regie) in seinem Film natürlich aus, aber einige Vorgänge werden beschrieben; schon allein das dürfte genügen, um nicht nur den zartbesaiteten Teil des Publikums in die Flucht zu treiben. Es passiert nicht oft, dass bei einer deutschen Fernsehproduktion vorab versichert wird, es seien keine Tiere zu Schaden gekommen.
"Schau mich an" beginnt mit einem grausigen Fund im Abwassersystem unter dem Hauptbahnhof: Eine aus Asien stammende Frau ist so zerstückelt worden, dass ihre sterblichen Überreste in einen Koffer passen. Den Inhalt zeigt Stark nicht, aber die wimmelnden Maden und die Gespräche der Münchener Kommissare Leitmayr und Batic (Udo Wachtveitl, Miroslav Nemec) über den Verwesungsgeruch genügen, um jeglichen Anflug von Appetit zu vertreiben.
Zur gleichen Zeit erscheint auf einer Website mit Gewaltvideos ein Film, der dokumentiert, wie eine Frau zu Tode gequält wird. Vom Kollegen Eisner (Harald Krassnitzer) bekommen die Ermittler den Hinweis auf einen Verdächtigen aus Wien, der sich einen Spaß daraus gemacht hat, Welpen zu töten. Wer Tiere mag, wird spätestens jetzt keine Lust auf mehr auf den "Tatort" haben. Eine Sachverständige erläutert den Vorgang mit dem "umgekehrten Schlüssellocheffekt": Solche Menschen genießen den Moment, weil sie wissen, dass ihnen andere bei ihren Untaten zuschauen.
Stark, der zuletzt einen sehenswerten "Tatort" mit Wotan Wilke Möhring gedreht hat ("Tyrannenmord", 2022), lässt die Kommissare unter anderem über die Frage sinnieren, was die Menschen bloß an derlei Darbietungen fasziniere, und natürlich ist er sich der Tatsache bewusst, dass er diesen Nervenkitzel ebenfalls bedient. Sein Motiv ist allerdings aller Ehren wert, denn nicht nur er fragt sich, warum nicht mehr dagegen unternommen wird, dass solche Bilder ins Netz gelangen und problemlos von Kindern und Jugendlichen aufgefunden werden können, anstatt umgehend gelöscht zu werden. Schon früh, versichert Produzent Ronald Mühlfellner, habe man den Kontakt zum Jugendschutz gesucht, um die Inhalte so zu vermitteln, dass sie den jüngeren Teil des Publikums nicht verstörten.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Mag sein, dass "Schau mich an" den entsprechenden Auflagen optisch genügt, aber die Andeutungen, was mit den Welpen geschieht, und die Berichte über die furchtbare Folter, die das Mordopfer stundenlang erdulden musste, setzen selbstredend umgehend ein Kopfkino in Gang. "Schlimmer als ein Albtraum", heißt es gegen Ende des Films; das trifft den Nagel auf den Kopf. Trotz allem ist Fall Nummer 95 für das in Würde ergraute Münchner Duo ein fesselnder Krimi. Stark hat sich für seine Geschichte durch ein authentisches Vorbild inspirieren lassen: Als 2011 sadistische Katzenvideos im Netz auftauchten, ruhten tausende Mitglieder der weltweiten Internetgemeinde nicht eher, bis sie die Identität des Täters rausfanden; da hatte der junge Mann bereits einen Menschen auf dem Gewissen, den er gleichfalls vor laufender Kamera getötet hatte. Zum Gesicht der Bewegung wird in Starks Film jene Frau (Aenne Schwarz), die die Kommissare über die Hintergründe informiert. Der Wiener Welpenkiller konnte jedoch entkommen und setzt sein abscheuliches Treiben nun offenbar in München fort. Eine Art Bekennervideo mit der Ankündigung eines Amoklaufs erweist sich jedoch als falsche Fährte.
Etwa zur Hälfte des Films gibt Stark preis, wer die kleinen Hunde getötet und wohl auch den Mord an der Asiatin begangen hat. Das mindert zwar jenen Teil der Spannung, der aus der Tätersuche resultiert, aber nun rückt Kalli (Ferdinand Hofer), meist bloß ein besserer Laufbursche seiner Chefs, ins Zentrum: Er kommt der Wahrheit auf die Spur und gerät prompt ins Lebensgefahr. Mit der Konzentration auf den Täter kann Stark, der vor seinem "Tatort"-Debüt für den NDR unter anderem einen ästhetisch herausragenden Beitrag zur ZDF-Reihe "Spreewaldkrimi" inszeniert hat ("Die Sturmnacht", 2015), ein Psychogramm erstellen: Lukas Wagner (Sammy Scheuritzel) wird von den Menschen in seiner Umgebung permanent gedemütigt. Damit möchte Stark nichts entschuldigen, aber erklären: Irgendwann kommt der Moment, in dem ein ständiges Opfer endlich auch mal Täter sein will.