Wenn es nicht gerade stürmt, ist ein Waldspaziergang weitaus ungefährlicher als ein ganz normaler Großstadtalltag. Spätestens bei Einbruch der Dämmerung jedoch beschleicht selbst viele Erwachsene ein gewisses Unbehagen, von der Dunkelheit ganz zu schweigen; die Geschichte von "Hänsel und Gretel" ist tief im kollektiven Unbewussten verankert. Deshalb lässt sich durchaus nachvollziehen, dass sich die drei Frauen Anfang vierzig nicht recht wohl in ihrer Haut fühlen, als sie von ihren jugendlichen Kindern mit verbundenen Augen in den Wald geführt werden.
Sie wollen auf eigene Faust ein für die Schulklasse geplantes Sozialexperiment ausprobieren. Einzige Hilfsmittel sind Karte und Kompass. Zwar haben alle drei, wie sich schließlich rausstellt, verbotenerweise ihre Smartphones dabei, aber ohne Empfang sind die Geräte weitgehend nutzlos. Als der Film beginnt, ist der Ausflug bereits zu Ende; eine der drei Frauen hat ihn nicht überlebt.
Kirsten Peters hat ihr Drehbuch auf doppelte Weise zugespitzt: In der Gegenwarthandlung versuchen die Bremer Kommissarinnen Moormann und Selb (Jasna Fritzi Bauer, Luise Wolfram), Licht ins Dunkel des Waldes zu bringen, während in den farbentsättigten Rückblenden ein Countdown ("30 Stunden vor Marlenes Tod") die Zeit bis zum Mord runterzählt. Auf diese Weise entwickelt sich das Beziehungsgeflecht dreier gutsituierter Paare, die im selben Stadtviertel wohnen und scheinbar miteinander befreundet sind.
Tatsächlich zeigt sich nach und nach, dass Marlene (Inez Bjørg David), die angeblich jeder mochte, nicht sonderlich gut gelitten war; gleich mehrere Beteiligte, Ehemänner inklusive, hätten ein Tatmotiv. Hauptverdächtiger ist zunächst jedoch der sogenannte Handymann: Vor einiger Zeit hat ein Unbekannter Frauen, die in der Wildnis zelteten, im Schlaf heimgesucht und mit ihren Smartphones ein Foto gemacht. Die nächtlichen Heimsuchungen endeten vor sieben Jahren; damals ist eine Frau spurlos verschwunden. Nun scheint der "Handymann" jedoch wieder aktiv zu sein; die mit dem Kopf in eine Pfütze gedrückte und daher "trocken ertrunkene" Marlene sieht der Frau von einst sogar ähnlich.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Was in der Theorie durchaus reizvoll klingt, zumal die Gastrollen (Henning Baum, Özgür Karadeniz, Pegah Ferydoni) interessant besetzt sind, erweist sich in der Umsetzung jedoch als allzu spannungsarm. Einige Rahmenbedingungen wirken zudem etwas konstruiert. Dass die drei Frauen, zwischen denen es bald zu Animositäten kommt, kein Wasser, dafür aber Piccolos und Whisky mitgenommen haben, ist recht weit hergeholt. In den Nachtszenen ist es zudem keineswegs stockfinster. Natürlich würde das den Filmgenuss erheblich schmälern, aber nachts im Wald ist die Sicht nun mal selbst bei klarem Himmel erheblich eingeschränkt. Später wird zwar eine Erklärung nachgereicht, warum die Jugendlichen ihre Mütter in der Dunkelheit aufspüren konnten, als sie sich überzeugen wollten, ob es den Frauen gut geht, aber dass Ayla (Ferydoni) und Viola (Sophie Lutz) die trotz eines verstauchten Knöchels auf eigene Faust losgezogene Marlene finden, ist wenig glaubwürdig.
Den Figuren mangelt es zudem an einer gewissen Tiefe, die nötig wäre, um echtes Mitgefühl zu wecken. Daran ändern auch die verschiedenen Befindlichkeiten nichts: Ayla hat ein Verhältnis mit Marlenes Mann (Baum). Auch zwischen den Jugendlichen gibt es Zwist, weil eine der Töchter einer anderen den Freund ausgespannt hat; seither kursiert ein despektierliches Video von ihr im Netz. Für zusätzlichen Reiz hätte der Einfall sorgen können, dass Selb zumindest einen Teil ihrer Kindheit im gleichen vornehmen Viertel verbracht hat, aber die Idee wird kaum weiterverfolgt. Es gehört zwar zum Rollenbild, dass die Kommissarin etwas speziell ist, aber in früheren Filmen wirkte ihr ungewöhnliches Gebaren weniger aufgesetzt.
"Angst im Dunkeln" ist das Regiedebüt der für die Thriller-Serie "Unbroken" (2021, ZDF) mit dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichneten Kamerafrau Leah Striker. Die Bildgestaltung ist wie zu erwarten gut, vor allem die Waldbilder sind sehr eindrucksvoll. Darstellerisch hat der Film allerdings in einigen Szenen deutliche Schwächen; gerade die jungen Mitwirkenden sind nicht immer gut geführt. Autorin Peters hat diverse Drehbücher für Reihen wie "Die Eifelpraxis", "Billy Kuckuck" oder "Inga Lindström" geschrieben; "Angst im Dunkeln" ist ihr erster "Tatort". Schade, dass Striker bei der Umsetzung nicht deutlich stärker auf jene mystisch-bedrohliche Naturatmosphäre gesetzt hat, die einst den Reiz von "Blair Witch Project" (1999) ausgemacht hat.