Viele bahnbrechende Erfindungen haben zum Wohl der Menschheit beigetragen, aber auch großes Leid verursacht. Das gilt erst recht für die sogenannten sozialen Medien. Der ansonsten nicht weiter aufregende neunzehnte "Bozen-Krimi" verdeutlicht jedoch, dass es keinerlei Technik bedarf, um Hass, Hetze und Lügen zu verbreiten: Wichtigste Nebenfigur des Films ist eine Frau, die aus niedrigsten Beweggründen zum Spaltpilz eines Bergdorfs wird und die Menschen skrupellos mit "Fake News" gegen eine Familie aufstachelt. Mit den beiden Morden, die die Handlung in Gang bringen, hat sie zwar nichts zu tun, doch eine dritte Tat ist unmittelbar auf ihrem Mist gewachsen; eine gruselige Rolle, die mit Katrin Pollitt zudem sehr interessant besetzt ist, denn sie verkörpert die unscheinbare Roswitha Marl als Frau, die anscheinend kein Wässerchen trüben kann.
Dass diese Brunnenvergifterin am Ende mit einer Ohrfeige davonkommt, ist die grimmige Schlusspointe eines Films, der eigentlich eine ganz andere Geschichte erzählt. Auf sie bezieht sich der biblische Titel "Mein ist die Rache", der allerdings auch zur Ebene mit Frau Marl passen würde. Der Krimi beginnt als Thriller, doch der Auftakt wird der letzte spannende Moment sein. Ungewöhnlich sind fortan allein die Erscheinungen eines Bergbauern: Lukas Gamper (Juri Senft) hat regelmäßig Visionen eines Mädchens, das ihm offenbar zugetan ist. Deshalb kann auch zumindest aus Sicht des Publikums keinerlei Zweifel daran bestehen, dass er nicht der Mörder der vor fünf Wochen spurlos verschwundenen fünfzehnjährigen Lisa ist. Genau das ist jedoch die Lüge, mit der Roswitha den Vater des Mädchens und weitere Leute gegen den jungen Mann und seinen Großvater aufhetzt.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Zum Glück hat Mathias Klaschka sein drittes Drehbuch für die Reihe um eine weitere weibliche Figur bereichert, die mit ihrem Temperament viel frischen Wind in die gewohnten Revierabläufe von Sonja Schwarz (Chiara Schoras), Jonas Kerschbaumer (Gabriel Raab) und dessen Vater (Hanspeter Müller-Drossaart) bringt. Mariella Colombo ist eine junge Kollegin und überzeugt, Lisas Tod sei die Tat eines Serienkillers, denn bei ihr in Treviso ist vor sechs Monaten ein junger Mann auf exakt die gleiche Weise getötet worden: nach mehrwöchiger Gefangenschaft von hinten stranguliert, mit Fesselspuren an Hand- und Fußgelenken; um diesen Mord geht es im Prolog. Es stellt sich zwar raus, dass Mariella keineswegs, wie sie behauptet, in offizieller Mission unterwegs ist, aber sie darf trotzdem mitermitteln. Dass die in Wien lebende gebürtige Kubanerin Gabriela García Vargas auch im nächsten Film mitwirkt, ist eine ausgesprochen gute Nachricht, denn für die Inszenierung durch Regie-Routinier Josh Broecker gilt das gleiche Attribut, wie es mal als Bezeichnung für Lisas Elternhaus fällt: grundsolide.
Sehenswert ist "Mein ist die Rache" allerdings als Familiendrama, wenn auch vor allem dank Harald Krassnitzer als Vater des Opfers, der einräumt, er sei wohl zu streng gewesen. Tatsächlich ist Lisa schon mehrfach ausgebüchst, weil sie es daheim nicht mehr ausgehalten hat. Ihre Freundin Julia (Anja Wolfsgruber) spricht gar von "Hölle": Der alte Brandl hat seine Tochter schon mal wochenlang eingesperrt, nachdem Lisa eine mobbende Mitschülerin verprügelt hat. Die verschiedenen religiösen Elemente – "Der werfe den ersten Stein" hätte als Titel auch gepasst, sogar buchstäblich – kommen natürlich nicht von ungefähr, weshalb sich alsbald die Frage stellt, welche Rolle der freundliche Pfarrer (Hannes Wegener) in der Geschichte spielt. Dass der Film innerhalb der Reihe trotzdem kaum nennenswerten Erinnerungen hinterlassen wird, liegt nicht zuletzt an den vielen "Bozen-Krimi"-typischen Versatzstücken, zu denen neben den in heimeliges Licht getauchten Revierszenen auch die regelmäßigen Autofahrten der Kommissarin und die dazugehörigen Landschaftsbilder zählen.
Sehr hörenswert ist dagegen die Musik (Fabian Römer, Steffen Kaltschmid), die für deutlich mehr Spannung sorgt, als die Filmbilder hergeben. Immerhin ist Klaschkas Drehbuch (nach einer Idee von Reihenschöpfer Jürgen Werner) ein Lehrstück in Toleranz. Die Gampers, bei denen Lisa offenbar öfter Zuflucht gesucht hat, führen auf ihrem etwas heruntergekommenen Bauernhof oberhalb des Ortes ein schlichtes Dasein ohne Strom, Fernsehen oder Telefon. Prompt heißt es, sie lebten "wie die Tiere". Weil sie anders sind als die anderen, kann die Hetzerin unwidersprochen behaupten, die Sippschaft laste auf Dorf wie ein Fluch; und so rottet sich schließlich ein Lynchmob zusammen.