Evangelische Mission Weltweit: Wie ist die Lage in Indonesien nach den Wahlen vom 14. Februar?
Jacklevyn Manuputty: Bislang ist die Lage in Indonesien nach den Wahlen relativ stabil. Es gibt keine Anzeichen für Unruhen und soziale Unruhen in der Gesellschaft, insbesondere auf der Ebene der Basis. Allerdings haben pro-demokratische Gruppen die Durchführung der Wahl, die als minderwertig eingestuft wurde, scharf kritisiert. Die Auszählung der Stimmen ist noch nicht abgeschlossen, und es wurden zahlreiche Unregelmäßigkeiten festgestellt.
Diese Unregelmäßigkeiten werden wahrscheinlich vor das Parlament gebracht werden, da es derzeit Bestrebungen gibt, verschiedene Unregelmäßigkeiten durch parlamentarische Untersuchungen aufzuklären.
Die Verärgerung der pro-demokratischen Gruppen ist vor allem auf die vermeintliche Voreingenommenheit von Präsident Jokowi gegenüber dem Paar Prabowo – Gibran (dem Sohn von Präsident Jokowi) zurückzuführen, das nach den schnellen Auszählungsergebnissen aller Umfrageinstitute bisher die Wahlen gewonnen hat.
Die Wut der pro-demokratischen Gruppen unterscheidet sich von der Haltung der Basisgemeinden, die die schnellen Auszählungsergebnisse eher akzeptieren. Daher kam es an der Basis zu keinen Unruhen oder physischen Zusammenstößen. Viele Menschen glauben, dass das fehlende öffentliche Misstrauen darauf zurückzuführen ist, dass die Regierung Jokowi ein Netz der sozialen Sicherheit aufgebaut und die sozialen Hilfsprogramme für die Basisgemeinden vor und während der Wahlen aufgestockt hat.
Im kommenden Oktober wird ein neuer Präsident in sein Amt eingeführt. Die politische Lage wird bis zum Amtsantritt des neuen Präsidenten turbulent bleiben. Wir hoffen, dass sich die wirtschaftlichen Bedingungen im Land nicht verschlechtern werden, damit die sich entwickelnden politischen Unruhen nicht zu weitreichenden sozialen Unruhen führen.
Welche Erwartungen haben die Menschen in Indonesien an die Wahlen? Was sind die Hoffnungen und Befürchtungen?
Manuputty: Die Öffentlichkeit erwartet politische Verhandlungen und Versöhnung zwischen dem siegreichen und dem unterlegenen Präsidentschaftskandidaten, um politische Stabilität und Sicherheit zu erreichen. Natürlich hoffen kritische Gruppen auch auf eine juristische Aufarbeitung der verschiedenen aufgedeckten Betrugsfälle. Befürchtet wird ein Rückschritt der indonesischen Demokratie, die sich bisher gut entwickelt zu haben scheint.
Was sind die größten Herausforderungen in Indonesien?
Manuputty: Indonesien steht zweifelsohne vor großen Herausforderungen, die sofortiges Handeln erfordern. Politische Ungerechtigkeit ist ein Hauptanliegen, und wir müssen sie direkt angehen, um faire und transparente Wahlkämpfe und Wahlen zu etablieren und die Auswirkungen von Geldpolitik und Identitätspolitisierung zu minimieren.
Um die wirtschaftliche Stabilität zu gewährleisten, muss die Inflation eingedämmt und eine Rezession verhindert werden, die soziale und politische Unruhen auslösen könnte. Um die Korruption auszumerzen und eine gute Regierungsführung zu fördern, muss die Schwäche der staatlichen Bürokratie behoben werden. Klimawandel und ökologische Gerechtigkeit sind dringende Probleme, die sofortige Aufmerksamkeit erfordern, und wir müssen jetzt handeln, um weiteren Schaden zu verhindern.
Und schließlich ist die Landungerechtigkeit eine ernste Angelegenheit, die in der Zukunft zu sozialen Konflikten führen könnte. Deshalb müssen wir unbedingt etwas dagegen unternehmen und für soziale Harmonie und Stabilität sorgen. Als Nation müssen wir uns zusammenschließen und zusammenarbeiten, um diese Herausforderungen zu bewältigen und eine bessere Zukunft für uns und künftige Generationen zu schaffen.
Erste Hochrechnungen deuten auf Ex-General Prabowo Subianto als nächsten Präsidenten Indonesiens hin. Was bedeutet das für die christliche Gemeinschaft und die Kirchen in Indonesien?
Manuputty: Laut der Umfrage nach den Wahlen wählten die meisten Christ:innen Prabowo als ihren bevorzugten Präsidentschaftskandidaten. Es wird angenommen, dass die Gemeinschaft einen Anführer mit einem starken Charakter bevorzugt, der die Interessen von Minderheitengruppen vertreten kann.
Prabowo, ein ehemaliger Armeegeneral, scheint diese Eigenschaften zu verkörpern. Auch die Tatsache, dass er mit Gibran kandidiert, der Jokowis Sohn ist, spielt bei dieser Entscheidung eine Rolle.
Die Entscheidung der christlichen Gemeinschaft für Prabowo könnte in gewisser Weise durch ihre Unterstützung für Jokowi beeinflusst sein. Bislang ist der Nationale Kirchenrat ein kritischer Partner der Regierung geblieben, sowohl während als auch nach der Amtszeit Jokowis.
Menschenrechtsaktivist:innen kritisieren die Wahl Prabowos, da er mit Folter und dem Verschwindenlassen politischer Gegner:innen während der Suharto-Diktatur in Verbindung gebracht wird. Teilen Sie diese Besorgnis? Wie ist Ihre Sichtweise?
Manuputty: Es wird festgestellt, dass es Bedenken hinsichtlich Prabowos früherer Verwicklung in mehrere Fälle angeblicher Menschenrechtsverletzungen gibt. Es ist bedauerlich, dass einige Aktivist:innen der Reformationsbewegung, die zuvor Opfer von Entführung und Folter geworden waren, nun zu seinem Wahlkampfteam gehören.
Während sie sich früher kritisch gegenüber Prabowo geäußert und rechtliche Schritte gegen ihn gefordert hatten, scheinen sie nun sein Vorgehen als notwendige Maßnahme zur Wahrung der Interessen des Landes zu rechtfertigen. Die derzeitige Haltung zu Menschenrechtsverletzungen in Indonesien ist recht merkwürdig und etwas ironisch.
Sie scheint die Öffentlichkeit dazu aufzufordern, über vergangene Menschenrechtsverletzungen hinwegzusehen, was letztlich die Kultur der Straflosigkeit verstärken könnte. Dieser Ansatz könnte einen negativen Präzedenzfall für die Lösung der vielen offenen Fälle von Menschenrechtsverletzungen schaffen, die noch aufgearbeitet werden müssen.
Beobachter:innen sind besorgt über die zunehmend autoritären Züge der indonesischen Politik. Machen Sie sich auch Sorgen?
Manuputty: Weicher Autoritarismus kann manchmal durch Wahlmehrheiten und Gesetze entstehen, um formale Legitimität zu erlangen. Wenn kapitalistische Kumpaneien und Oligarchien gefestigt werden, kann dies zur Entwicklung eines leicht autoritären Verhaltens führen.
Es ist jedoch von entscheidender Bedeutung, dass die politischen Parteien im Parlament eine einheitliche Haltung einnehmen, um die Macht der Regierung auszugleichen. Darüber hinaus müssen wir zivilgesellschaftliche Gruppen befähigen, die Handlungen der Regierung genau zu überwachen. Ich denke, dass Prabowo den Jokowi-Ansatz des Engagierens und Kontrollierens bevorzugen wird.
Ein weiterer Grund zur Sorge ist der wachsende Einfluss islamistischer Gruppen in Indonesien, dem Land mit der größten muslimischen Bevölkerung der Welt. Was ist Ihre Beobachtung? Wie gehen Sie als Gemeinschaft der Kirchen in Indonesien mit diesen Fragen um?
Manuputty: Die Besorgnis über religiöse Intoleranz in Indonesien wächst. Es ist jedoch wichtig, darauf hinzuweisen, dass die islamische politische Bewegung bei den Wahlen noch nicht die Mehrheit der Stimmen erlangt hat. Nichtsdestotrotz gibt es eine zunehmende Tendenz unter den politischen Eliten, religiöse Gefühle zu nutzen, um Macht und Ressourcen zu erlangen, was Anlass zur Sorge gibt.
Der indonesische Kirchenbund (Communion of Churches in Indonesia – CCI) hat den wachsenden Konservatismus sowohl in der islamischen als auch in der christlichen Gemeinschaft ernst genommen. Der CCI befasst sich mit diesem Problem, indem er sich für Religions- und Glaubensfreiheit (FORB – Freedom of Religion and Belief) an der Basis einsetzt, zivilgesellschaftliche Netzwerke stärkt, um interreligiöse Basisgemeinschaften zu unterstützen, und sich für Gesetze einsetzt, die Gleichheit gewährleisten und Minderheitengruppen gegenüber fair sind.
evangelisch.de dankt der Evangelischen Mission Weltweit für die inhaltliche Kooperation.
Pfarrer Jacklevyn Manuputty absolvierte 2011 einen Bachelor-Studiengang für islamisch-christliche Beziehungen und Zusammenarbeit am Hartford Seminary, USA. Von 2017 bis 2019 arbeitete er als Stellvertreter des Sonderbeauftragten des Präsidenten für interreligiösen Dialog und interkulturelle Zusammenarbeit, bevor er das Amt des Generalsekretärs des größten Kirchenbundes Indonesiens, Communion of Churches in Indonesia (CCI), übernahm.