Mann sitzt traurig am Tisch
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Bei Männern wird die eigene Gewalterfahrung oft verdrängt, wie die Studie offenbart.
Studie bringt ans Licht
Jeder zweite Mann erlebt Gewalt in Beziehung
Mit einer umfangreichen Befragung haben Wissenschaftler:innen Gewalt gegen Männer in Partnerschaften untersucht. Das Ergebnis überrascht in seinem Ausmaß.

Mehr als die Hälfte aller Männer (54 Prozent) in Deutschland hat einer Studie zufolge mindestens einmal im Leben Gewalt in der Partnerschaft erlitten. Dies ist ein Ergebnis der vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen erstmals vorgenommenen deutschlandweiten repräsentativen Onlinebefragung zur Gewalt gegen Männer in Partnerschaften, wie der Mitautor, der Kriminologe Philipp Müller sagte.

"Männer in Deutschland sind in substanziellem Ausmaß von Partnerschaftsgewalt betroffen", fasste Müller zusammen. Dies betreffe Beziehungen quer durch die Gesellschaft, ein "typisches Opfer" gebe es nicht. Die Forschenden hatten 11.733 zufällig ausgewählte Männer in Deutschland zwischen 18 und 70 Jahren im Winter 2022/23 angeschrieben und davon 1.489 Männer online befragt. 1.209 Männer führten die Befragung zu Ende. Die Studie "Gewalt gegen Männer in Partnerschaften" wurde vor wenigen Wochen veröffentlicht.

Darin berichten die Befragten am häufigsten von der Erfahrung psychischer Gewalt (40 Prozent) und Kontrollverhalten (39 Prozent). Männer erfuhren auch körperliche Gewalt in erheblichem Maße (30 Prozent). Als erlittene psychische Gewalt nannten die Männer am häufigsten aggressives Anschreien, beleidigen, erniedrigen und vor anderen demütigen. Erfahrenes Kontrollverhalten äußerte sich darin, von der Partnerin oder dem Partner an allem die Schuld zugesprochen zu bekommen, in Einschüchtern, Verhindern und Kontrollieren der Kontakte zu anderen.

Männer verdrängen die Opfer-Erfahrung

Die Studie offenbart eine starke Verdrängung der Opfer-Erfahrung von Männern: Zu Beginn nach ihrer subjektiven Einschätzung befragt, gaben nur 19 Prozent der Männer an, in mindestens einer Beziehung schon einmal Gewalt erlebt zu haben. Bei der Befragung der einzelnen Gewalthandlungen summierte sich die Zahl der Betroffenen dann auf 54 Prozent der Männer.

Im Blick auf eine eigene Täterschaft gaben ähnlich viele Männer (55 Prozent) an, selbst einmal Gewalt in der Partnerschaft angewandt zu haben. Knapp drei Viertel derjenigen, die mindestens einmal im Leben Gewalt in der Partnerschaft erlitten hatten (73 Prozent), gaben an, neben Opfer auch Täter gewesen zu sein. Gut jeder vierte gewaltbetroffene Mann (27 Prozent) erlitt Partnergewalt, ohne sich zu wehren. Als unmittelbare Reaktion gaben mehr als zwei Drittel der Männer an, sie hätten sich mit Worten gewehrt (68 Prozent), 10 Prozent sagten, sie hätten sich körperlich gewehrt. 30 Prozent hätten die Gewalt über sich ergehen lassen und 32 Prozent den Raum verlassen (Mehrfachnennungen waren möglich). Hilfe holten sich aktuell nur 1,6 Prozent.

Insgesamt wandten sich nur acht Prozent der Männer nach Gewalt durch eine Partnerin oder einen Partner an die Polizei oder eine Beratungsstelle, 92 Prozent nahmen keine Hilfe in Anspruch. 16 für eine ausführliche Befragung ausgewählte Interviewpartner wünschten ein Bewusstsein in der Gesellschaft dafür, dass auch Männer Opfer von Partnerschaftsgewalt werden. Die Betroffenen schilderten, dass sie in vielzähligen Situationen mit dem Vorurteil eines männlichen Täters konfrontiert worden seien. Auch wünschten sie mehr Hilfsangebote für gewaltbetroffene Männer. Das Projekt wurde von der Stiftung der Opferschutzorganisation Weißer Ring gefördert.