In der Bundeswehr sind im vergangenen Jahr mehr sexuelle Übergriffe gemeldet worden. Das geht aus dem Jahresbericht der Wehrbeauftragten des Bundestages, Eva Högl (SPD), hervor, der am Dienstag in Berlin vorgestellt wurde. 2023 wurden 385 Verdachtsfälle gemeldet, im Vorjahr waren es 357. "Das ist zu viel. Es muss eine klare rote Linie geben", sagte Högl.
Unter den gemeldeten Ereignissen sei von "einem blöden Witz" bis zu Vergewaltigungen alles dabei. Alkohol spiele in vielen Fällen eine große Rolle. Opfer der sexuellen Übergriffe seien vorwiegend Frauen, sagte Högl. Sie geht von einer hohen Dunkelziffer aus. Viele Soldat:innen würden sich scheuen, Vorfälle anzuzeigen, weil sie Nachteile befürchten. Högl unterstützt eine neue Dienstvorschrift des Verteidigungsministeriums, die den Umgang mit sexualisiertem Fehlverhalten thematisiert.
Keine wesentliche Veränderung gab es laut dem Jahresbericht beim Thema Rechtsextremismus. Die Zahl der gemeldeten Fälle lag mit 204 etwa so hoch wie im Vorjahr. Trotzdem bleibe die Bekämpfung von Rechtsextremismus eine "Daueraufgabe der Bundeswehr", sagte Högel. Sie hob positiv hervor, dass Soldat:innen dank einer Gesetzesänderung schneller entlassen werden können, "wenn sie nicht auf dem Boden der Verfassung stehen".
In dem Jahresbericht thematisiert die Wehrbeauftragte auch Personalprobleme. "Die Bundeswehr altert und schrumpft", sagte Högl. Die Attraktivität der Truppe müsse dringend gesteigert werden. Laut dem Bericht dienten Ende vergangenen Jahres 181.514 Soldat:innen in der Bundeswehr, 1.537 weniger als im Vorjahr. Laut Högl sind die Bewerberzahlen rückläufig, es gebe über 20.000 unbesetzte Stellen und eine Abbruchquote von mehr als 20 Prozent. Zudem gebe es zu wenige Frauen in der Bundeswehr.
In dem Bericht heißt es, dass eine Befragung der Bevölkerung aus dem Jahr 2022 zeige, dass sich immer weniger junge Frauen und Männer in der Altersgruppe der 16- bis 29-Jährigen vorstellen können, bei der Bundeswehr zu dienen. Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, will Högl dafür werben, an Schulen mehr über die Notwendigkeit der Bundeswehr und die Rolle von Soldat:innen zu diskutieren. Es gehe bei solchen Diskussionen nicht um "flächendeckende Werbeveranstaltungen", sondern um eine Sensibilisierung der Schülerinnen und Schüler für das Thema, sagte die SPD-Politikerin.
Auch bei der Materialbeschaffung sieht die Wehrbeauftragte große Lücken. Es fehle an Munition, Ersatzteilen und Nachtsichtgeräten, aber auch größeren Geräten wie Panzern und Flugabwehrsystemen. Die persönliche Schutzausrüstung der Soldat:innen sei hingegen verbessert worden.
Das Sondervermögen Bundeswehr von 100 Milliarden Euro sei bereits zu zwei Dritteln vertraglich gebunden, sagte Högl. Trotzdem sei bereits jetzt erkennbar, dass nach dem Ausschöpfen des Vermögens eine deutliche Erhöhung des Verteidigungsetats um mehrere Milliarden Euro notwendig sein werde, heißt es in dem Jahresbericht.
Die Wehrbeauftragte unterstützt den Bundestag bei der parlamentarischen Kontrolle der Streitkräfte. Auch die Wahrung der Grundrechte der Soldatinnen und Soldaten gehört zu ihren Aufgaben. Einmal jährlich legt sie einen Bericht zum Zustand der Truppe vor.