Nach dreißig turbulenten Jahren in der Hauptstadt kehrt ein Ehepaar in die Uckermark zurück, um dort die Ruhe des Rentendaseins zu genießen. Der Frau ist das neue Dasein allerdings viel zu beschaulich. Als sich in der Nachbarschaft ein mysteriöser Todesfall ereignet, findet sie endlich eine neue Herausforderung: Das klingt wie das Handlungsmuster einer klassischen ARD-Vorabendserie im Stil von "Adelheid und ihre Mörder" und wäre vermutlich auch nicht weiter der Rede wert, wenn es sich bei der Dame nicht um die frühere Bundeskanzlerin handeln würde. Das Drehbuch zu "Miss Merkel" basiert auf dem gleichnamigen Bestseller von David Safier.
Stefan Cantz, sonst zumeist Doppelpartner von Jan Hinter – die beiden haben unter anderem den "Tatort" aus Münster erfunden – hat aus der Vorlage eine Krimikomödie gemacht, die voll und ganz auf Katharina Thalbach zugeschnitten ist. Die beliebte Schauspielerin hat Angela Merkel schon einmal verkörpert: In der überaus amüsanten Guttenberg-Satire "Der Minister" (2013, Sat.1) hieß die Rolle zwar "Murkel", aber davon abgesehen hat Thalbach als heimlicher Star des Films fast dem Hauptdarsteller Kai Schumann die Show gestohlen. Sie hatte die mit Abstand besten Dialoge, stattete die Kanzlerin mit liebenswerten Marotten aus und sorgte für vergnügliche Einblicke ins Privatleben der mächtigsten Frau der Welt; Uwe Janson hat diese Szenen damals mit sympathischer Lässigkeit inszeniert.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Von all’ dem ist "Miss Merkel" weit entfernt. Was dort wie aus dem Ärmel geschüttelt anmutete, ist hier vor allem klamaukig. Das gilt auch für Thalbach: Wenn die Ex-Kanzlerin schreiend durch den Wald rennt, ist das fast ein bisschen peinlich, selbst wenn die Panik verständlich ist, weil ihr diverse Pfeile um die Ohren fliegen. Einige der weiteren weiblichen Darbietungen – ausdrückliche Ausnahmen sind Bianca Nawrath und Taneshia Abt – bewegen sich ebenfalls in einem Graubereich aus verunglückter Parodie und wenig überzeugendem Spiel, weshalb der Film streckenweise an eine zweitklassige Boulevardkomödie erinnert. Dazu passt auch die Geschichte: Philipp von Baugenwitz (Thomas Heinze) begegnet der Kanzlerin a.D. und ihrem Gatten (Thorsten Merten) beim Ausritt und lädt sie auf den Familiensitz zu einer Freilichtaufführung ein, in deren Rahmen er das betrübliche Schicksal eines Urahnen nachstellt. Anschließend sind er und Merkel zur Verkostung des hauseigenen Weins verabredet, aber dazu kommt es nicht mehr: Der Freiherr liegt tot in seinem Weinkeller. Da die Tür von innen verschlossen war, sieht der zuständige Kommissar (Sascha Nathan) keinen Anlass für weitere Ermittlungen.
Merkel glaubt jedoch nicht an die Freitodthese und freut sich, endlich eine neue Beschäftigung gefunden zu haben. Verdächtige gibt es einige, denn Baugenwitz war ein notorischer Schürzenjäger; seine beiden Frauen, die aktuelle wie auch die ehemalige (Judith Neumann, Judith Engel), waren ihm in inniger Abneigung zugetan.
Da die Handlung von ergreifender Harmlosigkeit ist, fühlte sich Regisseur Christoph Schnee, der zuvor die außerordentlich vergnügliche Komödie "Weil wir Champions sind" (2022, Vox) gedreht hat, offenbar bemüßigt, bei der Umsetzung umso dicker aufzutragen, was viele Gags allerdings nicht witziger, sondern oft bloß plumper macht. Das gilt auch für die Ausgestaltung der Rollen und die Führung der Mitwirkenden. Der Kommissar ist selbstredend unfähig, damit Merkels kriminalistische Fähigkeiten umso besser zur Geltung kommen, aber Sascha Nathan muss den Polizisten, der keinerlei Respekt vor der ehemaligen Kanzlerin hat, auch noch als verkrachte Existenz verkörpern. Ähnlich überzogen sind fast alle Figuren; eine wohltuende Ausnahme ist Joachim Sauer, dessen trockene Kommentare Thorsten Merten mit stoischer Gelassenheit vorträgt. Eine gute Balance findet auch Tim Kalkhof als Personenschützer, der ständig daran scheitert, seine Chefin von ihrem zum Teil durchaus riskanten Treiben abzuhalten.
Safiers Idee, aus der Ex-Kanzlerin ein Miss-Marple-Pendant zu machen, ist brillant, und Cantz würzt Thalbachs Dialoge mit einigen beiläufig eingestreuten Anekdoten aus ihren Begegnungen mit den Staatschefs dieser Welt, aber zwischendurch lässt er es unnötig menscheln: Beim Waldspaziergang muss Merkel hinterm Baum verschwinden ("Die Natur ruft"); und dass Schnee die berühmte Raute auch noch in Nahaufnahme zeigt, wirkt wie Fernsehen für Begriffsstutzige. Kommende Woche zeigt die insgesamt gelungenere und weniger alberne Verfilmung des zweiten "Miss Merkel"-Romans.