Caspar David Friedrich ist der Maler der Romantik. In diesem Jahr wird sein 250. Geburtstag mit zahlreichen Ausstellungen gefeiert. Typisch für Friedrich sind erhabene oder auch entrückte nebelige Landschaften.
evangelisch.de: Wie religiös war der Maler Caspar David Friedrich und wieviel Religion steht im Bild?
Johann Hinrich Claussen: Wie religiös er als Person war, ist weniger interessant als die Frage, wie religiös sein Werk ist. Als Person war er ein evangelischer Christ und zugleich ein moderner Mensch. Sein Werk ist sehr vielschichtig. Es ist nicht nur religiös, aber es hat ganz deutlich religiöse Anteile, weckt religiöse Stimmungen, die sich heute noch mitteilen, auch säkularen Museumsbesuchern.
Worin zeigt sich seine Religiosität? Muss man da an den Mönch am Meer denken. Oder an die Gipfelkreuze, die Ruinen gotischer Kapellen?
Ich finde Caspar David Friedrichs Bilder theologisch dann interessant, wenn sie nicht einfach nur christliche Symbole darstellen, wie ein Kreuz im Gebirge oder eine verfallene Kirchenruine, sondern wenn sie eine Landschaft zeigen, in der eine Empfindung von Unendlichkeit und Ganzheit sichtbar wird. Dort, wo man als Betrachtender einen Sinn und Geschmack für das Unendliche gewinnt. Und das ist besonders schön in seinen großen Landschaftsbildern, in seinen großen Nachtbildern, in denen eben nicht ein explizites Motiv der christlichen Bildsprache aufgerufen wird, sondern in denen eine Stimmung sich ausbreitet, in der ich den Eindruck habe, ich bin ganz da, ich bin in einem unendlichen Zusammenhang aufgehoben. Das ist für mich die eigentliche religiöse Aura dieser Bilder.
Sehen sie bei dem Eismeer-Bild – das hat was sehr düsteres – auch eine religiöse Komponente?
Oh ja. Das Interessante ist, dass Caspar David Friedrich eine Religiosität der gemischten Gefühle eröffnet, also eben nicht nur Glauben als positives Empfinden. Im Sinne von: Ich bin getröstet, ich habe Hoffnung, ich bin gehalten, sondern dass er auch die Elemente des Religiösen, die aus Staunen, Erschrecken, Erschütterung, Verzweiflung bestehen, darstellen kann. Dazu gehört für mich eben auch die Einsicht in die eigene Nichtigkeit angesichts des Unendlichen. Das teilt sich bei dem Gemälde mit dem Eismeer mit - die absolute Nichtigkeit des Menschen. Das ist eine Form von Unendlichkeitsbewusstsein. Ich finde es auch großartig, wie er eben auch dunklen religiösen Gefühlen eine Gestalt gibt, der Wehmut, der Traurigkeit, der Verzweiflung, sogar der Todessehnsucht.
Muss man wissen, dass das Eismeer-Bild auch zeigt, dass damals Expeditionen in die Antarktis gescheitert sind und die Menschen aus dem Eis nicht mehr rausgekommen sind?
Das Wunderbare bei Caspar David Friedrich ist, dass man gar nichts wissen muss. Es reicht aus, sich in Ruhe diesen Bildern auszusetzen und sie lange zu betrachten. Dann stellt sich schon vieles ein. Es ist aber wie im Leben immer auch hilfreich, ein bisschen mehr zu graben und mehr zu lernen. Und dann wird man erfahren, dass diese Bilder nicht nur einzelne Ursprungsgeschichten haben, sondern dass sie auf einem sehr komplexen ästhetischen und religiösen Programm basieren, nämlich dem Programm der romantischen Avantgarde. Das Großartige ist also, dass ein Schüler oder eine Schülerin unabhängig davon einfach in die Ausstellung gehen kann und erleben wird, dass diese Bilder sie ansprechen und anrühren.
Es gibt auch Versuche, Caspar David Friedrich als so eine Art Naturmystiker wieder zu entdecken. Was halten Sie davon?
Es ist nicht leicht, die besondere Religiosität seiner Bilder mit einem Begriff zu fassen. Ebenso wie man ihn nicht einfach als herkunftstreuen Lutheraner kennzeichnen sollte, sollte man ihn nicht vorschnelle in die mystische Ecke steckt. "Mystik" ist ja auch nur ein Etikett. Ein weiteres Stichwort lautet "Pantheismus". Da ist etwas dran und auch wieder nicht. Das Bemerkenswerte ist doch, dass keine christlichen Inhalte explizit darstellt, er also das Göttliche nicht als "Person" darstellt, sondern er dass er öffnet, weitet und naturalisiert, indem er es als Stimmungen poetischer Landschaften zeigt, indem er die Landschaft eigentlichen Objekt des Andachtsbildes macht. Darin steckt eine Erweiterung, eine Verflüssigung und eine Verdiesseitigung des Göttlichen. Insofern kann man schon von einer "Natur-Mystik" sprechen. Aber auch das ist nur eine begriffliche Annäherung. Doch der Zauber der Bilder besteht darin, dass sie sich solchen festen Zuordnungen entziehen.
Es gab ja viele, die den Maler in ihrem Sinne interpretiert haben. Die Nationalsozialisten gehörten auch dazu, die sprachen seinen Bilder ein germanisch- nordisches Naturgefühl zu...
Jede Zeit macht sich ihren Caspar David Friedrich. Bald nach seinem Tod wurde er vergessen. Er war nicht durchgängig so beliebt, wie er jetzt ist. Dann gab es diese nationalsozialistische Episode, aber so interessant finde ich sie nicht. Mich beschäftigt mehr, wie wir ihn heute verstehen.
Nämlich wie?
Wir sollten aufpassen, dass wir ihm nicht unser Thema aufstülpen, ihn also zum Maler des Klimawandels oder des Klimaprotests erklären. Sie lachen, aber das passiert und ist mir zu vordergründig. Auf der anderen Seite: Warum sind heute Menschen, die mit seinem romantischen Programm gar nichts mehr anfangen können, eigentlich immer noch so fasziniert von seinen Bildern? Ist es die Sehnsucht nach einer offenen und zugleich intensiven Spiritualität? Ist die Sehnsucht nach einer geheilten Natur? Dessen Sinn offener ist als eine Abmahnung von biblischen Geschichten. Und zweitens: Der Wunsch, die Kostbarkeit der Schöpfung wahrzunehmen und zu genießen.
Man kann seine Bilder als Fürsprache für den Naturschutz verwenden. Aber irgendwas fehlt. Die Bilder sind fast alle ohne Tiere. Warum ist das so?
Das ist eine schöne Beobachtung. Ich verbinde mit der Natur-Malerei natürlich auch das Tier. Das fehlt hier. Vielleicht liegt eine Antwort darin, dass er generell auf Details verzichtet hat, sondern versucht hat, Landschaftsbilder zu gestalten, die eine Ahnung von Ganzheit geben. Also der Blick vom Gipfel richtet sich ja nicht auf eine Ziege hier und dort eine Hütte und dort einen Baum, sondern auf ein Nebelmeer. Der Mönch am Meer steht vor einer Unendlichkeit, wo sich ebenfalls keine Details zeigen. Das kleine Boot links hat er übermalt, damit es nicht stört. Er war kein realistischer Naturmaler, sondern hat versucht, Ewigkeitsbilder zu malen. Deshalb von solchen lebendigen Details abgesehen hat. Aber die Frage hätten Sie ihm selbst stellen müssen.
Haben Sie ein Lieblingsbild von Caspar David Friedrich?
Ja, es hängt in Greifswald, im Pommerschen Landesmuseum. Es unterscheidet sich von all den grandiosen Bildern und zeigt eine Geschichte, eine vermeintlich banale Alltagsszene an einem eigentlich schmuddeligen Ort, nämlich der häuslichen Stiege im Hause Friedrich. Es heißt: die "zum Licht aufsteigende Frau". Man sieht seine Frau Caroline, die eine Treppe hochgeht. Aber dem Licht entgegengeht. In seiner Bescheidenheit ist es sehr eindrucksvoll. Zugleich ist es durch Kriegsschäden verletzt und verwundet. Das Religiöse kommt mir hier näher, einfach durch diese zauberhafte Alltäglichkeit.
Auch weil es so nicht greifbar ist eigentlich?
Genau, das ist ein geheimnisvoller Moment. Und zwar in dem unwirtlichsten Ort des Hauses, nicht geheizt, nicht beleuchtet. Dennoch kann man es als Auferstehungsbild deuten.
Ein ungewöhnliches Auferstehungsbild!
Wir sollten Caspar David Friedrich als denkenden Maler ernst nehmen. Er war dem Protestantismus sehr verbunden, aber eben nicht stur orthodox. Als wacher Zeitgenosse nahm er viele neue Impulse auf. Von Pastor Ludwig Gotthard Kosegarten aus Rügen etwa, der eine neue Form von Schöpfungsfrömmigkeit formuliert hatte. Schöpfungsfrömmigkeit, die Liebe zur Natur und die Vertiefung in die Landschaft, ist etwas Modernes. Das hat es im Mittelalter so nicht gegeben.
Leider ist die Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle jetzt ausverkauft. Man kann nur einen kostenlosen digitalen Rundgang buchen. Haben Sie einen Tipp?
Wenn die ganze Ausstellerei vorbei ist, geht man einfach ganz normal wieder in die Hamburger Kunsthalle oder in die Alte Nationalgalerie in Berlin. Da gibt es jeweils ein bis zwei Räume, die sind perfekt. Da kann man sich all diese Bilder schön in Ruhe und Frieden ansehen.
Info zu Ausstellungen anlässlich des 250. Geburtstags:
Die Tickets für die Schau über Caspar David Friedrich in der Kunsthalle Hamburg "Kunst für eine neue Zeit" sind ausverkauft. Man kann nur noch einen virtuellen kostenlosen Rundgang buchen.
Weitere Ausstellungsstationen:
Alte Nationalgalerie in Berlin: 19. April bis 4. August 2024 in Kooperation mit dem Kupferstichkabinett: "Caspar David Friedrich. Unendliche Landschaften"
Dresden: das Albertinum zeigt vom 24.08.2024 bis 05.01.2025 und das Kupferstich-Kabinett (24.08.—17.11.2024) "Caspar David Friedrich. Wo alles begann."