Ein König als oberster Bischof einer evangelischen Kirche? Was sich für moderne Ohren wie ein Konstrukt aus grauer Vorzeit anhört und was seit der Reformation im 16. Jahrhundert galt, wurde erst am 3. März 1924 in Württemberg endgültig beendet. An diesem Tag verabschiedete der Landtag ein "Gesetz über die Kirchen", das die Trennung von Thron und Altar besiegelte. Auswirkungen hatte es auch auf die katholische Kirche und die jüdischen Gemeinden.
Einerseits kam das Gesetz relativ spät. Schon 1919 hatte die Weimarer Reichsverfassung in Artikel 137 verkündet, dass es keine Staatskirche mehr gibt. Württembergs Protestanten waren darauf besser vorbereitet als viele andere Landeskirchen, weil sie ihren "Kopf" - also den König - schon am 30. November 1918 verloren hatten. An jenem Tag hatte Wilhelm II. von Württemberg seine Krone niedergelegt.
Der König hatte seine Rechte und Pflichten als Leiter der Landeskirche allerdings schon vorher abgelegt. Der Grund: Er hatte keinen männlichen Nachkommen, der das Erwachsenenalter erreichte. Das hätte in der Konsequenz bedeuten können, dass ein katholischer Nachfolger König wird und damit auch Oberhaupt der evangelischen Landeskirche. Auf so ein "ökumenisches Projekt" wollte sich vor über 100 Jahren niemand einlassen, deshalb übergab Wilhelm II. lieber schon vorher seine Befugnisse an eine "Evangelische Kirchenregierung".
Auch eine eigene Verfassung hatte die Landeskirche seit 1920 in der Schublade. Diese konnte erst nach dem vor 100 Jahren beschlossenen Landtagsgesetz inkrafttreten. Leiter der Kirche war nun ein Kirchenpräsident. Erster Amtsinhaber wurde Johannes Merz. Nach seinem Tod 1929 folgte Theophil Wurm, der das Amt 1933 in Landesbischof umbenannte und dann die Landeskirche auch durch die schwierige Zeit des Nationalsozialismus führte.
1956 begann das Finanzamt Kirchensteuern einzuziehen
Das Gesetz von 1924 legte genauer fest, was großteils schon im ganzen Deutschen Reich geregelt war. So erreichte man nun mit 14 Jahren die Religionsmündigkeit. Die Kirchen erhielten den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts. Und die "Landeskirchensteuer" bekam ihren festen Platz im Finanzsystem. Es sollte aber noch bis 1956 dauern, bis die staatlichen Finanzämter - gegen Bezahlung - den Einzug dieser Steuer für die Kirche übernahmen.
Für die Katholiken im protestantisch dominierten Württemberg bedeutete die Unabhängigkeit vom Staat mehr Freiheit. Sie konnte nach der Abdankung des Königs ohne Behinderung von "oben" etwa ihr klösterliches Leben ausweiten, so 1919 in den Benediktinerabteien Neresheim (1919) und Weingarten (1922). Der deutsche Katholikentag kam 1925 erstmals in Stuttgart zusammen.
In jener Zeit lebten noch rund 10.000 Juden in Württemberg - fast die Hälfte in Stuttgart, die übrigen in Heilbronn, Ulm, Laupheim und auf regionale Schwerpunkte verteilt. Vor dem Holocaust gab es 23 staatlich anerkannte Gemeinden. Die Israelitische Religionsgemeinschaft im Ländle gab sich 1924 ebenfalls eine neue Verfassung. Erster Präsident wurde Carl Nördlinger, ihm folgte 1929 Otto Hirsch.
Ein Problem wurde allerdings mit dem Gesetz 1924 nicht beseitigt, obwohl es schon die Weimarer Reichsverfassung angemahnt hatte: die Ablösung der Staatsleistungen. Diese Gelder flossen jedes Jahr als Entschädigung, weil über 100 Jahre zuvor viele kirchliche Güter vom Staat enteignet worden waren. Die Leistungen gibt es bis heute, obwohl auch das Grundgesetz von 1949 ihr Ende vorsieht. Eine Arbeitsgruppe des Bundestags sucht derzeit nach einem Weg, den Verfassungsauftrag zu erfüllen. Eine Ablösesumme, auf die sich beide Seiten einigen können, ist aber nicht in Sicht.