evangelisch.de: Herr Terbuyken, Ihr Buch kommt im März 2024 heraus – Warum gerade jetzt? Ist die digitale Transformation gerade in einer Sackgasse? Braucht es da Hilfe?
Hanno Terbuyken: Ich glaube nicht, dass wir in der Sackgasse stecken, was Digitalisierung angeht, aber ich glaube, dass wir einen "Corona-Schub" hatten, der in die falsche Richtung ging. Das heißt, es gab ganz viel Digitalisierung, die in Richtung Live-Stream und Online-Gottesdienste ging. Das ist auch wichtig, das braucht man auch. Aber gleichzeitig sind die ganzen Basics, die man braucht, also eine gute Website, einen vernünftigen Newsletter, eine Strategie, eine Überlegung zu den Fragen "Wie kann ich eigentlich die Arbeit kraftrichtig einsetzen? Was kann ich auch bleiben lassen?" überrollt worden von diesem Impetus.
Philipp Greifenstein und ich haben uns daher überlegt: Wir müssen jetzt was machen, um diese Grundlagen mal irgendwo nachschaubar zu machen. Das ist das Ziel, was wir mit dem Buch tatsächlich haben: Es soll ein Leitfaden sein.
Sie haben im Vorwort die Wörter Auf- und Zurüsten im Zusammenhang mit Digitalisierung erwähnt. Was hat es damit auf sich?
Terbuyken: Zurüstung ist ja so ein schönes evangelisches Wort! Zurüsten heißt, sich bestärken, in dem was man hat und das zu unterstützen, was da ist, damit man weiß, wie man dann weitermachen kann. Ausrüsten wiederum heißt, von Null anzufangen und schauen, welche Ausrüstung brauche ich denn überhaupt, um loszugehen?
Jede Kirchengemeinde fängt im Prinzip an unterschiedlichen Stellen an. Deswegen muss man die einen ausrüsten und die anderen zurüsten.
Ich glaube, zurüsten ist einfacher, weil es schon sozusagen ein bestelltes Feld gibt, auf dem man säen kann. Aber Ausrüsten ist erfüllender, weil der Sprung größer ist.
Die meisten Gemeinden möchten die Digitalisierung ja für sich nutzen, wissen aber nicht, wie und wo sie anfangen sollen.
Als Deutschlandchef von ChurchDesk, einem Anbieter für Gemeindesoftware, begleiten Sie vor allem Hauptamtliche und Kirchenleitende auf ihren Digitalisierungspfaden. Was ist für Sie ein ideales Change Management bzw. das stärkste Argument, damit Sie vor allem Skeptiker von der digitalen Transformation überzeugen können?
Terbuyken: Wir setzen uns mit den Menschen hin und erörtern mit ihnen Fragen wie "Warum brauchen wir das? Warum ist Digitalisierung für uns wichtig und was können wir damit erreichen?" Es gibt also kein universelles Anfangsargument, sondern nur individuelle Ausgangspunkte.
Die meisten Gemeinden möchten die Digitalisierung ja für sich nutzen, wissen aber nicht, wie und wo sie anfangen sollen. Und das ist auch das, was Philipp und ich mit dem Buch versuchen: Den Gemeinden Werkzeug an die Hand zu geben und ihnen deutlich zu machen, dass es wichtig ist, nicht nur einfach die Werkzeuge zu benutzen, sondern zu verstehen, was man eigentlich tun will, wie man arbeiten möchte und was und wen man erreichen will.
Wir versuchen mit dem Buch Antworten zu geben auf Fragen wie "Worauf muss ich achten? Wie fange ich denn an?" Es ist wichtig, dass sie die Möglichkeiten von Digitalisierung verstehen!
Nach ihrem Volontariat in der Pressestelle der Aktion Mensch arbeitete Alexandra Barone als freie Redakteurin für Radio- und Print-Medien und als Kreativautorin für die Unternehmensberatung Deloitte. Aus Rom berichtete sie als Auslandskorrespondentin für Associated Press und für verschiedene deutsche Radiosender. Heute arbeitet sie als freie Journalistin, Online-Texterin und Marketing-Coach. Seit Januar 2024 ist sie als Redakteurin vom Dienst für evangelisch.de tätig.
Welche sind die größten Herausforderungen für Kirchengemeinden insbesondere?
Terbuyken: Die größte Herausforderung ist, dass die allermeisten Kirchengemeinden nicht in der Lage sind, einfach einen Experten oder Expertin für dieses Thema anzustellen. Als Wirtschaftsunternehmen kaufen Sie sich einfach jemanden ein, aber Kirchengemeinden können nicht einfach mit Stellen um sich werfen.
Sie müssen also erst einmal jemanden finden, die Kompetenz und die Kapazität hat. Wenn man so jemanden nicht findet, soll das Buch helfen. Eine weitere Möglichkeit ist, sich bei den Experten und den Landeskirchen zu informieren, oder aber auch Nachbargemeinden zu fragen.
Wie wichtig ist denn die digitale Kompetenz in Zukunft für die Gemeinden? Kann oder sollen die Kirchen gewisse Arbeiten outsourcen?
Terbuyken: Es macht keinen Sinn, alles selbst aufbauen zu wollen. Es gibt für alle Probleme inzwischen Lösungen auf dem Markt, die man einfach für sinnvolles Geld einkaufen kann. Aber was definitiv vorhanden sein muss in einer Kirchengemeinde selbst, ist ein bisschen Expertise, um zu bewerten: "Was wollen wir? Wie können wir mehr Menschen darin einbinden?" Man kann das nicht komplett nach außen geben und sagen, jemand anders macht Digitalisierung für uns. Das funktioniert nicht.
Man muss aber auch bereit sein, Prozesse anzupassen. Was nicht funktioniert, ist zu sagen, wir möchten alles so machen, wie bisher, aber in digital. Manchmal muss man auch die Prozesse ändern, um sie überhaupt digital abbilden zu können. Digitalisieren ist eine Frage von Haltungen und von Betrachten, nicht das simple Einführen von Werkzeugen, damit es dann "irgendwie von alleine läuft".
Sind das die größten Hürden für die Mitarbeiter, dass sie sich gar nicht mit Digitalisierung beschäftigen wollen?
Terbuyken: Eigentlich nicht! Die meisten Mitarbeitenden wollen sich damit gerne beschäftigen, aber eben nicht in ihrer Freizeit. Man muss also den Hauptamtlichen in Kirchen den Freiraum schaffen, damit sie sich damit beschäftigen können, damit sie verstehen, dass nach erfolgreicher Einführung von Digitalisierungsprozessen, sie dann auch tatsächlich Zeit sparen. Was man nicht sagen kann ist: "Wir wollen Digitalisierung, aber wir wollen, dass es von alleine funktioniert!"
Sie gehen in dem Buch auch auf konkrete Lösungsansätze ein. Was ist das wichtigste Werkzeug für eine Kirchengemeinde?
Terbuyken: Die Studie "Digitalisierung im Raum der Kirchen" im Januar 2024 hat ganz klar ergeben, dass das meist genutzte Medium, mit dem sich Menschen über Kirche und Kirchengemeinde informieren, die Website der Kirchengemeinde ist. Das ist das größte Werkzeug. Wenn man mich fragt, was wäre die Priorität, auf die sich Kirchengemeinden konzentrieren sollen, würde ich sagen: die Webseite.
Andere wichtige Werkzeuge?
Terbuyken: Das andere Werkzeug, das ich sehr wichtig finde und was gut funktioniert, ist der Newsletter. Einen Newsletter zu schreiben geht schnell und ist einfach, und er ist ein unglaublich gutes Werkzeug zur mittelfristigen Kundengewinnung.
Wir müssen immer wieder daran erinnern, dass wir existieren. Das kann man natürlich auch mit dem abendlichen Glockenläuten, aber das Glockenläuten sagt mir nicht, was da passiert. Also empfehle ich, so alle zwei oder vier Wochen eine E-Mail zu verschicken, an Leute, die mal gesagt haben, ich interessiere mich dafür. Es ist wichtig, diesen Leuten zu erzählen, was gerade in der Gemeinde passiert. Das ist ein großer Schritt Richtung Mitgliedergewinnung. Also, um es zusammenzufassen, würde ich drei Tipps geben: 1. Ressourcen schaffen, 2. Webseite gut gestalten und 3. einen interessanten Newsletter schreiben.
Das Massen-Publikum ist in den WhatsApp-Gruppen
Wie ist Ihre Vision einer gutgelebten digitalen Kirche? Und ab wann ist das realistisch?
Terbuyken: Meine Vision von einer gut gelebten digitalen Kirche ist, eine vielfältige Kirche zu sein, die auf ganz vielen verschiedenen Arten und Weisen Menschen ansprechen kann. Und zwar immer so, dass die Ansprache zu den Menschen vor Ort passt. Man sollte auch immer von innen heraus in der Lage sein, die Ansprache-Haltung anzupassen an das jeweiliges Publikum.
Jeder Mensch in Deutschland ist online, erst mit dem Alter über 70 sind nur noch 50 Prozent der Menschen online. Online zu sein ist der Normalfall, die wahre Nische sind die Leute, die Sonntagmorgen zu Fuß in den Gottesdienst kommen. Das Massen-Publikum ist in den WhatsApp-Gruppen, in den Newsletter-Listen, sie sind die Webseitenbesucher, die Menschen auf YouTube. Da sollte man sich als Kirchengemeinde überlegen, ob man diese Kanäle bespielen will. Dazu braucht man aber Ressourcen und das ist eben wieder das Thema, mit dem viele hadern.
Löst das Digitale das Analoge ab?
Terbuyken: Beides anzubieten, ist wichtig. Digitalisierung heißt nicht, analog zu exkludieren. Gerade die Älteren sind sogar diejenigen, die davon viel mehr profitieren, weil sie weniger mobil sind, weil sie dann endlich mal wieder ihren Pfarrer hören können, der aber aufgrund von Fusionsprozessen zu großen Gemeinden nur alle vier Wochen oder sechs Wochen bei ihnen in Reichweite ist. Digital und analog – beides muss möglich sein.
Der Papst erreicht zwar die ganze Welt, aber man kann nicht mit ihm interagieren
Es geht bei Kirchengemeinden also immer nur die Frage, wie verteilen wir die Ressourcen so, dass wir mit dem maximalen Einsatz auch das maximale Ergebnis bekommen – und damit meine ich nicht nur die Reichweite. Denn diese spielt nicht so eine große Rolle, wie das immer proklamiert wird. Es geht bei der Kirche auch um Nähe, Erreichbarkeit und Interaktion. Der Papst erreicht zwar die ganze Welt, aber man kann nicht mit ihm interagieren.
In der Frage "Wozu Digitalisierung?" sehen Sie auch ein Neuformulierung der Frage, nämlich wie folgt: "Wozu gibt es uns als Kirche eigentlich?" Wie und wieso hängen die beiden Fragen miteinander zusammen?
Terbuyken: Wir haben den Auftrag, die Heilsbotschaft von Jesus Christus in die Welt zu tragen. Und wir sind auch dazu berufen, dass auf allen verfügbaren Wegen zu tun. Es gibt keinen besseren Kommunikationsweg, um eine Botschaft in die große Menge zu tragen als die digitalen Kommunikationswege. Also müssen wir sie auf jeden Fall nutzen. Das ist das eine.
Das andere ist: Wir haben als Kirche, als Institution, als Organisation, auch den Auftrag, in der Lebenswelt der Menschen, die uns herum sind, zu sein und zu hören "Was braucht ihr? Wie können wir euch tatsächlich helfen? Wie können wir euch unterstützen? Wie können wir euch zurüsten?". Wenn ich aber nicht den digitalen Raum nutze, dann kriege ich das ja alles nicht mit, weil die Menschen online sind und dort davon erzählen können.
Das wäre sträflich, das zu vernachlässigen. Wir müssen uns also in dieser Gegenwart bewegen. Digitalisierung und digitale Präsenz sind Pflichten der Kirche!
"Vernetzt und zugewandt – digitale Gemeinde gestalten" von Hanno Terbuyken und Philipp Greifenstein erscheint am 4. März 2024 im Neukirchener Verlag.