Die ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Margot Käßmann, dringt nach Vorlage der Studie über sexualisierte Gewalt im Raum der evangelischen Kirche auf weitere Aufklärung. Käßmann äußert im Deutschlandfunk Unverständnis darüber, dass das unabhängige Forscherteam nicht flächendeckend alle Personalakten der 20 Landeskirchen untersuchen konnte.
"Meines Erachtens muss das nachgeholt werden", sagt die Theologin, die von 1999 bis 2010 hannoversche Landesbischöfin und ab Ende Oktober 2009 rund vier Monate EKD-Ratsvorsitzende war. "Dass in der Kirche dann auch noch vertuscht wurde, was gewusst wurde, das ist furchtbar", sagt die Theologin, die von 1999 bis 2010 hannoversche Landesbischöfin und ab Ende Oktober 2009 rund vier Monate EKD-Ratsvorsitzende war. "Die Täter waren mitten unter uns."
Nach Auffassung der unabhängigen Missbrauchsbeauftragten Kerstin Claus zeigen die Ergebnisse der ForuM-Studie, "dass noch viel getan werden muss". Was der Kirche an Unterlagen vorliege, "hat sie selbst noch nicht richtig ausgewertet", sagt sie den ARD-"Tagesthemen". Es gehe um Aufdeckung, "wer trug damals Verantwortung, wer hätte damals hinsehen können, aber auch das Nachforschen, gibt es weitere Betroffene". Betroffene bräuchten ein Recht auf Aufarbeitung. Wenn diese Aufarbeitung durch die Kirche ausbleibe, "braucht es auch eine staatliche Verantwortungsübernahme", unterstreicht die Beauftragte.
Der bayerische Landesbischof Christian Kopp sagt der Evangelischen Funk-Agentur (efa) in München, er könne für seine Landeskirche "ausschließen", dass man etwas verheimlichen wolle. Zugleich pocht er auf einheitliche Verfahrenswege und Anerkennungsleistungen in der evangelischen Kirche. Bis zu diesem Herbst sollte in allen 20 evangelischen Landeskirchen bei Meldungen von sexualisierter Gewalt ein einheitliches und transparentes Vorgehen umgesetzt sein, sagt der Landesbischof.
Die Landesbischöfin der evangelischen Nordkirche, Kristina Kühnbaum-Schmidt, forderte eine genaue und zeitnahe Analyse der Ergebnisse der Studie. Es dürfe in keinem Fall der Schutz der Institution im Mittelpunkt stehen, wie es offensichtlich bis zur Mitte der 1990er Jahre der Fall gewesen sei. "In allem, was wir tun, müssen betroffene Personen, ihre Erfahrungen und Perspektiven und das, was sie brauchen und für sinnvoll erachten, im Mittelpunkt stehen", sagt sie in Schwerin.
Das von der EKD beauftragte Forscherteam hatte am Donnerstag in Hannover seine Studie vorgestellt, in der für den Zeitraum von 1946 bis 2020 von mindestens 2.225 Betroffenen und 1.259 mutmaßlichen Tätern die Rede ist. Dies Zahlen seien allerdings in einer "sehr selektiven Stichprobe" ermittelt worden und bildeten keineswegs das Ausmaß sexualisierter Gewalt in evangelischer Kirche und Diakonie ab.
Bei der Vorlage der Studie beklagten die Wissenschaftler, dass anders als geplant nur eine Landeskirche Einsicht in alle Personalakten ermöglichte und die Untersuchung sich ansonsten überwiegend auf Disziplinarakten stützen musste. Die Forscher entdeckten spezifische Risikofaktoren, die Missbrauch und auch dessen Vertuschung in der evangelischen Kirche und der Diakonie begünstigt haben.