Die Europäische Gottesanbeterin ist berüchtigt für ihren sexuellen Kannibalismus: Viele Männchen überleben die vollzogene Paarung nicht. Das macht die Weibchen selbstredend zu einem verführerischen Synonym für Frauen, die Männer bei lebendigem Leib zu verspeisen pflegen; im übertragenen Sinn natürlich. Die Metapher von den Motten, die das Licht umschwirren, ist zwar in der Regel treffender, doch im Insektenvergleich ist Mantis religiosa aufgrund ihrer besonderen Gestalt ungleich faszinierender. In diesem Krimi passt das Bild ohnehin recht gut, denn Katrin Markgraf lockt die Männer an, saugt sie aus und lässt sie dann fallen. Als sich einer der Verflossenen nicht mit seinem tristen Schicksal abfinden will, liegt er kurz drauf tot zu Füßen des Friedensengels, offenbar von der Brüstung gestürzt.
Allerdings sind sich die Kellergeister der Münchener Kripo in der entscheidenden Frage uneins: Hat sich Klaus Niehoff das Leben genommen, ist er gestoßen worden, war’s ein Unfall? Immerhin war der Mann sturzbetrunken. Angelika Flierl (Bernadette Heerwagen) vertritt die These vom Suizid, zumal es keinerlei Hinweise auf Fremdeinwirkung gibt, Harald Neuhauser (Marcus Mittermeier) glaubt an Mord. Welchen Reim sich Ludwig Schaller (Alexander Held) auf den Todes-Fall macht, bleibt zunächst offen, aber weil die Spur alsbald zu Katrin Markgraf (Nina Kunzendorf) führt, kommt es zu einer reizvollen Scharade. Die Geschäftsfrau mit eigener Kosmetiklinie gibt sich gern als vermögende Unternehmerin mit ausländischen Wohnsitzen aus, lebt jedoch in einer einfachen Mietwohnung; die Kosmetika kauft sie billig in China. Auf clevere Weise bringt sie Männer dazu, ihr erst mit Haut und Haaren zu verfallen und dann in ihr Geschäft zu investieren, wie Schaller am eigenen Leib erfährt, als er den vermögenden Witwer mimt. Auf diese Weise hat sie den verheirateten Niehoff in den Ruin getrieben, was die These vom Suizid unterstützen würde. Allerdings ist dem Kioskbesitzer, bei dem sich der Mann mit Schnaps eingedeckt hat, eine Motorradfahrerin aufgefallen, die ihm gefolgt ist.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Die Krimihandlung ist interessant, zumal die Ausstellung "Mystische Schönheiten" mit Kunstwerken rund um Mantis religiosa eine besondere Rolle spielt, aber dennoch lebt der achtzehnte Film der 2014 gestarteten Reihe vor allem vom Miteinander des Ermittlungstrios, gewürzt durch gelegentliche Auftritte des Vorgesetzten, Kriminaloberrat Zangel (Christoß Süß).
"A saisonale G’schicht" – der Titel bezieht sich auf eine Liebschaft Neuhausers – ist das erste Drehbuch von Peter Kocyla für "München Mord", aber der Autor trifft den Tonfall der von Alexander Adolph und Eva Wehrum konzipierten Krimis perfekt. Die Dialoge bewegen sich oft am Rande der Absurdität, was zu einigen skurrilen Momenten führt, wenn die Kollegin scheinbar den Chef anschwärmt, damit ihm ein kurzerhand im Papierkorb deponiertes wichtiges Indiz entgeht.
Der in kriminalistischer Hinsicht eher unterbelichtete Zangel, der die drei einst in den Keller des Präsidiums abgeschoben hat, plädiert energisch für die Unfallthese und empfiehlt dem Trio dringend, die Akte zu schließen. Später ist er nach einem Austausch von Redensarten derart verwirrt, dass Flierl ihn ungestraft als den "Blinden unter den Königen" bezeichnen darf. Als die Kriminaloberkommissarin nach einem abgesagten Date eine Nachtschicht einlegt, nimmt der Fall dank ihrer Nachforschungen eine entscheidende Wende.
Die Inszenierung besorgte die erfahrene Regisseurin Maris Pfeiffer, sie hat auch die letzte Episode ("Der gute Mann vom Herzogpark") gedreht. Die Umsetzung ist erneut zwar nicht raffiniert, aber routiniert. Die Arbeit mit dem Ensemble ist dagegen ausgezeichnet. Natürlich ist das Trio eingespielt, aber die Freude am Detail hat nicht nur mit der Atmosphäre während der Dreharbeiten, sondern auch mit dem Schnitt zu tun; gerade die Seitenblicke von Heerwagen tragen viel zum speziellen Stil des Films bei. Alexander Held mag dank Schallers eigenwilligen Ermittlungsmethoden die auffälligere Rolle spielen, zumal sich der Hauptkommissar hier gleich zweimal in Lebensgefahr bringt: Erst stellt er, ähnlich betrunken, bis hinauf auf die Brüstung die letzten Stunden des Opfers nach, denn kommt es im Finale zur beinahe tödlichen Konfrontation mit der vermeintlichen Mörderin. Mit ihren oftmals verqueren Dialogen – für Angelika Flierl ist Markgraf "eine sich hochschwindelnde Heiratsstaplerin" – hat Heerwagen allerdings ebenfalls entscheidenden Anteil an der Unverwechselbarkeit von "München Mord".