Im achtzehnten Krimi, "Atemlos", spielt das Wasser jedoch eine Hauptrolle, denn die Episodenhauptfigur ist ein Apnoe-Taucher. Bei dieser Sportart entschwindet man mit Flossen, aber ohne Sauerstoffgeräte oder sonstige Hilfsmittel in der Dunkelheit. Die ursprüngliche Form des Tauchens ist allerdings nicht ungefährlich, denn mit zunehmender Tiefe steigt der Umgebungsdruck.
Victor Ballhofer (Marc Benjamin) will den bislang bei 71 Meter liegenden Bodenseerekord brechen, und das ausgerechnet jetzt: Wenige Tage zuvor hat er gemeinsam mit seinem Freund und Geschäftspartner Sandro (Stefan Gorski) die Leiche seiner Frau geborgen. Daria ist ertrunken, allerdings nicht beim Tauchen: Ihr Hinterkopf weist die krimitypische Verletzung durch einen stumpfen Gegenstand auf. Anschließend hat ihr jemand ein Tauchgewicht um den Hals gelegt und sie im See entsorgt.
Das Gewicht gehört Victor, seine Tauchschule ist in erheblichen finanziellen Schwierigkeiten, doch nun erbt er eine Luxusimmobilie, und sein Alibi hat Lücken: Es sieht nicht gut aus für den Tauchsportler. Die Handlung ist allerdings ungleich komplexer, weil Jeanet Pfitzer, Frank Koopmann und Roland Heep – "Atemlos" ist bereits das vierte gemeinsame Drehbuch des Trios für die Reihe – die Geschichte um ein Beziehungs- und Familiendrama ergänzen: Daria wäre vor einem Jahr beinahe gestorben, als sie eine Fehlgeburt hatte. Damals stellte sich raus, dass Victor einen Gendefekt hat. Ihre Mutter, Marlene Wabinski (Regula Grauwiler), eine vermögende Geschäftsfrau, war ohnehin gegen die Ehe; aber auch die Erfolgsfassade der Wabinskis offenbart bei näherem Hinschauen feine Risse.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Inklusive der jüngsten Episode hat Regisseur Michael Schneider mittlerweile die Hälfte der bisherigen Bodenseekrimis gedreht. Seine ersten vier Versuche litten an einer gewissen Spannungsarmut und waren gerade gemessen an den Beiträgen seines Vorgängers Hannu Salonen von allenfalls durchschnittlicher Qualität. Mittlerweile haben die Filme wieder das frühere Niveau erreicht. Die Bilder wirken zwar nicht so hochwertig wie in den gleichfalls von Schneider inszenierten und ausnahmslos exquisiten "Laim"-Krimis mit Max Simonischek als düsterer Kommissar aus München (ZDF), aber auch hier ist die Bildgestaltung sehenswert; Kameramann Lukas Gnaiger war bereits für die vorzügliche Optik der beiden im vergangenen Jahr ausgestrahlten "Bodensee"-Episoden ("Nemesis", "Der Nachtalb") verantwortlich. Die Musik von Chris Bremus ist ohnehin die Krönung der gesamten Reihe.
Die Szenen unter Wasser sind vergleichsweise unspektakulär, der Bodensee ist schließlich nicht die Südsee; hier ist es düster und unwirtlich. Eine Illusion sorgt dafür, dass sie dennoch faszinieren: Daria glaubte, die Seelen von Verstorbenen, die nicht losgelassen werden, warteten unter der Wasseroberfläche, und deshalb hat nicht nur Victor Visionen seiner verstorbenen Frau; Schneider hat die Erscheinungen wie eine Hommage an das Wassergeistmärchen "Undine" gefilmt. Bei anderer Gelegenheit zeigen die Bilder, wie die ertrinkende Frau panisch versucht, das Tauchgewicht vom Hals zu lösen; diese Momente sind allerdings ein Verstoß gegen die innere Logik des Drehbuchs.
Die Geschichte dreht ohnehin die eine oder andere inhaltlich jedoch schlüssige Pirouette, weil zwischenzeitlich auch Victors Kompagnon ins Visier des Ermittlungsduos Oberländer und Hoffmann (Matthias Koeberlin, Alina Fritsch) gerät und der verheiratete Kollege Komlatschek (Hary Prinz) angesichts der Avancen Marlene Wabinskis vorübergehend vom professionellen Weg abkommt.
Gut integriert ist zudem die private Ebene des deutschen Kommissars, der seine Therapietermine schwänzt, obwohl er einiges zu verarbeiten hat: Erst ist seine Frau gestorben, dann seine Kollegin; zuletzt ist seine Freundin erschossen worden, als sie versucht hat, seine Tochter umzubringen. Seinen eigentlichen Reiz verdankt "Atemlos" jedoch dem Titelthema und dem Hintergrund des Tauchsports. Bei der Sichtung von Victors Videobeiträgen für die digitalen Medien fällt Oberländer ein Detail auf: Der Mann hat seit einem Tauchunfall am berüchtigten Teufelstisch vor etwa einem Jahr eine kaum merkliche Sprachstörung, die auf einen kleinen Schlaganfall schließen lässt; mit dem Rekordversuch geht er ein lebensgefährliches Risiko ein.