"Alles auf Anfang" lautet das Kommando, wenn eine Szene wiederholt werden soll. Nach diesem Prinzip funktionieren seit "Und täglich grüßt das Murmeltier" (1993) auch ganze Filmgeschichten: Die Hauptfiguren erleben das gleiche Geschehen immer und immer wieder. Der Schabernack des Schicksals hat jedoch seine Bewandnis: Der Meteorologe in dem romantischen Komödienklassiker soll ein besserer Mensch werden, der Held des Science-Fiction-Films "Edge of Tomorrow" (2014) muss die Welt retten.
So spektakulär ist die Handlung der "Nord bei Nordwest"-Episode "Die letzte Fähre" nicht; hier geht es nur um ein Menschenleben. Die Geschichte erinnert an "Limbus" (2020): In dem höchst originellen "Tatort" aus Münster landet Rechtsmediziner Boerne nach einem Anschlag in einer Zwischenwelt und muss nun als Geist seinen Mörder zur Strecke bringen, um zu überleben. Hauke Jacobs (Hinnerk Schoenemann) ergeht es ganz ähnlich: Bei einem Schusswechsel mit einem aus der Haft entflohenen Mörder trifft ihn eine Kugel ins Herz. Als er wieder zu sich kommt, ist er wie durch ein Wunder unverletzt und erlebt die Ereignisse des Vortags ein zweites Mal; aber nun ist alles anders.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Seit 2019 wechselt sich Niels Holle als Autor von "Nord bei Nordwest" regelmäßig mit dem Reihenschöpfer Holger Karsten Schmidt ab. "Die letzte Fähre" (Episode 23) ist bereits sein neuntes und mit Abstand originellstes Drehbuch für die Küstenkrimis, denn er hat die Welt des Helden kühn auf den Kopf gestellt. Die Grundidee ist eigentlich ganz simpel, aber der Effekt ist verblüffend: Sämtliche Mitglieder des Ensembles haben ihre Rollen getauscht.
Als der Tierarzt und Teilzeitpolizist Jacobs zu einem Bauernhof gerufen wird, trifft er dort nicht seine Praxispartnerin Jule Christiansen (Marleen Lohse), sondern die Kollegin Wagner (Jana Klinge), die höchst verwundert darauf reagiert, dass er an ihrer Kompetenz als Veterinärin zweifelt; Jule wiederum trägt nun Uniform. Was Jacobs zunächst für eine Narretei hält, hat Methode: Kriminaltechniker Putkammer (Joshy Peters) betreibt die örtliche Pension, in seinem Fachgebiet tummelt sich jetzt der Bestatter Töteberg (Stephan A. Tölle), dessen Metier wiederum der umtriebige Ösker (Cem Ali Gültekin) übernommen hat. Kein Wunder, dass Jacobs an seinem Verstand zweifelt und eine ganze Weile braucht, um sich zurechtzufinden.
Das klingt nach fröhlicher Verwechslungskomödie, und tatsächlich ist diese zweite Phase der Geschichte zunächst auch recht witzig, aber dann wird es wieder ernst, denn auch Jacobs’ Mörder weilt in der Nebenwelt noch unter den Lebenden. Wigald Tomke (Milton Welsh) ist ebenfalls lebensgefährlich verletzt, und nun kommt es zu einem makabren Wettlauf, bei dem Tomkes Weg von Leichen gepflastert ist: Wirklich tot ist man erst, wenn sich niemand mehr daran erinnert, dass man überhaupt gelebt hat. Gelingt es dem Verbrecher, alle zu ermorden, die Jacobs nahe stehen, muss der Polizist die titelgebende "letzte Fähre" ins Jenseits nehmen; Tomke wiederum würde aus dem Reich der Toten zurückkehren. Nach einem entsprechenden Massenmord kommt es schließlich zum packenden Finale: Jacobs hat bereits mit dem Leben abgeschlossen, erkennt aber zum Glück gerade noch rechtzeitig, dass ihm ein letzter Freund geblieben ist.
Schon in "Der doppelte Lothar" hatte es ein berührendes Wiedersehen mit einem alten Weggefährten gegeben, als der Polizist vom Vater seiner früheren Kollegin im Kampf gegen den russischen Geheimdienst unterstützt wurde. Holle setzt diesmal noch eins drauf, denn Jacobs hat im Jenseits einen Mentor, der ihm die Spielregeln erklärt; und das ist kein anderer als Simon Rost (Rainer Furch), der einst das Zeugenschutzprogramm für ihn organisiert hat und im ersten Teil der aktuellen Trilogie ("Kobold Nummer Vier") erschossen worden ist.
Regie führte diesmal Judith Kennel, die bis 2023 sämtliche Episoden der ZDF-Reihe "Unter anderen Umständen" inszeniert hat. Hier ist ihr eine geschickte Balance aus Krimi und Komödie gelungen, die selbst den tragischen Momenten eine unerwartete Leichtigkeit verleiht: Als Jacobs im ersten Akt von der beinahe tödlichen Kugel getroffen wird, schwimmt auf dem blutigen Rinnsal das vierblättrige Kleeblatt, das ihm Jule kurz zuvor geschenkt hat; es dauert allerdings noch eine ganze Weile, bis sich zeigt, dass es ihm tatsächlich Glück gebracht hat. In der Traumwelt gesteht Jacobs ihr auch endlich seine Liebe. Im wahren Leben wird er allerdings auch weiterhin zwischen ihr und der Kollegin Wagner hin und her gerissen bleiben.