Diesmal sind der Oberkommissar und der Privatdetektiv allerdings ausnahmsweise einer Meinung, zumindest in Bezug auf den Engländer John Cross (August Zirner): Der Mann ist höchst verdächtig. Dabei ist der Historiker bloß nach Münster gekommen, um in Erinnerungen zu schwelgen: Die Kaserne, in der er Mitte der Achtziger als Soldat stationiert war, soll einer Wohnsiedlung inklusive Einkaufszentrum weichen. Auf der Suche nach einem Buch über die jüngere Stadtgeschichte taucht Cross im Antiquariat auf, als Anna ihren Freund Georg gerade mit selbstgekochter Orangenmarmelade beglückt. Der Brite findet das Gelee köstlich; prompt ist die Polizistin von seiner ausgesuchten Höflichkeit und seinem Charme entzückt.
Zum Krimi wird die Geschichte durch einen Mord, der mit der Einführungsebene selbstverständlich nur scheinbar nichts zu tun hat: Ein Fahrgast hat seine Taxirechnung mit Blei beglichen. Ein grobkörniges Überwachungsvideo zeigt einen Mann, der durchaus Cross sein könnte; er taucht ohnehin auffällig oft an Orten auf, die im Zusammenhang mit den Ermittlungen stehen. Für Overbeck, der den Engländer auf Anhieb ebenso wenig leiden kann wie der eifersüchtige Wilsberg, ist der Fall daher klar.
Der Detektiv wird auch beruflich involviert, als sich rausstellt, dass Cross einst in Tessa Tilkers Mutter verliebt war. Die entschied sich dann allerdings für seinen besten Freund; Tessas vor langer Zeit bei einem Unfall verstorbener Vater war ebenfalls englischer Soldat. Die Anwältin (Patricia Meeden) findet den Briten "spooky", sie bittet Wilsberg, ihn im Auge zu behalten. Als dann auch noch die die Irisch-Republikanische Armee mitmischt, nimmt das Drehbuch (Eckehard Ziedrich, Marko Lucht) eine Komplexität an, die für einen Reihenkrimi mehr als beeindruckend ist. Cross und Tessas Vater waren an einem Einsatz in Belfast beteiligt, bei dem ein IRA-Mitglied getötet wurde und 100.000 Pfund verschwunden sind; später hat die IRA auch in Münster Anschläge begangen. Aber was hat das alles mit dem Mord an dem Taxifahrer zu tun?
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Eine Geschichte, die zunehmend undurchschaubar wird: Das ist mit das Beste, was sich über einen Krimi sagen lässt; vorausgesetzt, die Handlung bleibt schlüssig. Tatsächlich kommt noch eine weitere Ebene ins Spiel: Baulöwe Randlitz (Tobias van Dieken) benimmt sich höchst verdächtig, was zu einer typischen "Wilsberg"-Situation führt, als der Detektiv im Archiv des Unternehmens nach den Bauplänen fürs "Shopping Center" sucht und dank Tessas Geistesgegenwart nur um Haaresbreite entkommt.
Etwas konstruiert wirkt allein ein Nebenstrang mit Kumpel Ekki (Oliver Korittke): Dessen Chef (Vittorio Alfieri) hat auf der Baustelle Pflastersteine für seine Einfahrt geklaut und nötigt den Steuerprüfer, sie zurückzubringen, was zu einigem Hin und Her führt. Viel witziger ist ein Auftritt bei Randlitz, als sich die beiden Freunde als potenzielle Investoren Georgi & Eckstein ausgeben.
Sehr sehenswert ist auch das amüsante Zusammenspiel von August Zirner und Leonard Lansink. Wer will, mag bemäkeln, dass Zirner, der in einer Kleinstadt in Illinois zur Welt gekommen und in den USA aufgewachsen ist, wie ein typischer Fernsehamerikaner klingt, aber nicht wie ein Engländer, der ein paar Jahre in Deutschland gelebt hat.
Davon abgesehen vermitteln die beiden alten Hasen sehr sympathisch, wie Wilsbergs Voreingenommenheit im Verlauf der gemeinsamen Ermittlungen zunehmend bröckelt; ihr Gezänk, wer Holmes und wer Watson sei, wird zum Running Gag des Films. Unbezahlbar ist auch der fassungslose Blick von Zirner, als Wilsberg Kaffee auf den Teebeutel des Engländers gießt.
Trotzdem bleibt ein Schatten des Zweifels, zumal der Taxifahrer mit einem alten britischen Armeerevolver erschossen worden ist. Die Tatumstände lassen den vermeintlichen Raubmord ohnehin wie eine Hinrichtung wirken. "Ein Detektiv und Gentleman" ist Philipp Osthus’ vierte "Wilsberg"-Regie. Inszenierung und Bildgestaltung (Daniel Bussmann) sind solide, jedoch längst nicht so raffiniert wie das detailfreudige Drehbuch, das Overbeck unter anderem ein skurriles Tischtennistrauma andichtet.