Sandra Kwijas und Kiek van der Laan-Fischer müssen die vergangenen Tage erst einmal für sich sortieren. Kein Wunder, die beiden engagierten Frauen der Bremer Kirchengemeinde Borgfeld hatten zusammen mit zahlreichen anderen Helfer:innen viel zu tun. In der Nachbarschaft des Gemeindezentrums an der Kantrepeler Landstraße waren die Wümme und die Wörpe über die Ufer getreten und hatten viele Häuser unter Wasser gesetzt. Die Lage zwang die Behörden, den Strom abzuschalten – warme Mahlzeiten gab es nicht und die Heizungen fielen aus.
In dieser für alle Bewohner:innen des Bremer Stadtteils ungewohnten Situation zeigten engagierte Menschen wie Sandra Kwijas, Mitglied des Kirchenvorstands und Kiek van der Laan-Fischer, ehrenamtlich Mitarbeitende in der Gemeindevertretung, was Kirche spontan zu leisten in der Lage ist: Zwischen Weihnachten und Neujahr sorgten Ehrenamtliche dafür, dass die vom Hochwasser betroffenen Menschen es warm hatten und täglich eine warme Mahlzeit bekamen. Vom 27. Dezember bis einschließlich 5. Januar leisteten die Borgfelder auf diese Weise Hilfe beim Kampf gegen das Wasser.
Die beiden Frauen haben die Ereignisse sortiert und geben den Ablauf wieder: Am 27. Dezember hätten die Menschen erst einmal angefragt, ob sie sich im Gemeindehaus ein wenig aufwärmen könnten. Daraus sei schnell mehr geworden. "Ich habe unseren Schlachter vor Ort angesprochen", sagt Sandra Kwijas. Bereits am 28. Dezember sowie in den folgenden Tagen habe es Suppe für 30, nur einen Tag später sogar für 60 Leute gegeben. Am 1. Januar kamen zudem Menschen im Gemeindezentrum zu einem Neujahrsfrühstück zusammen. "Angemeldet hatten sich zehn, nachher waren es 25", erinnert sich Kiek van der Laan-Fischer.
Als Ehrenamtlicher geben und bekommen
Menschen in einer Notlage wie dem aktuellen Hochwasser beizustehen, sei nicht nur für sie wichtig, sondern bringe auch den Ehrenamtlichen der Gemeinde etwas: "Vielen Leuten macht es Freude zu helfen", ergänzt Kiek van der Laan-Fischer. Dies geschieht in Bremen auch noch auf andere Weise: Seit dem 8. Januar ist in der Stadtkirche Unser Lieben Frauen die sogenannte Winterkirche geöffnet. Jeweils montags von 10 bis 15 Uhr wird der Chorraum hinter dem Altar von Bremens ältester Innenstadtkirche zu einem "Gasthaus für Leib und Seele", wie es in einer Mitteilung heißt.
Rund 40 Ehrenamtliche der Gemeinde bewirten dort Menschen aller Couleur: von Obdachlosen bis Passanten und Touristen. Das Motto: Begegnung auf Augenhöhe. Die Besucher:innen können ihre Lebensgeschichten teilen, finden ein offenes Ohr für ihre Nöte und es gibt Andachten sowie kleine Konzerte. Die Anzahl der Besucher gibt die Gemeinde Unser Lieben Frauen mit rund 100 an.
Druck der Lebenshaltungskosten steigt
Ähnlich hoch sind die Zahlen bei der Ökumenischen Essensausgabe Hannover – rund 120 Menschen nehmen das Angebot an; vor fünf Jahren waren es lediglich 80. Bis zum 15. März gibt es von montags bis freitags jeweils in der Zeit von 11.30 Uhr bis 13.30 Uhr im Saal der Evangelisch-reformierten Gemeinde eine warme Mahlzeit. In diesem Jahr feiert die Ökumenische Essensausgabe ihren 30. Geburtstag. Es ist ein gemeinsames Angebot des Stadtkirchenverbandes und der Katholischen Kirche in der Region Hannover. Seit dem Beginn der Essensausgabe läuft die Koordination über das Diakonische Werk der niedersächsischen Landeshauptstadt. "Die Ökumenische Essensausgabe ist ein Baustein im Hilfeangebot für Menschen, die dem Druck der Lebenshaltungskosten nicht mehr standhalten und das Angebot wahrnehmen. Sie ist Ausdruck gelebter Solidarität," sagt dessen Geschäftsführer, Diakoniepastor Friedhelm Feldkamp.
Helfen im säkularen Umfeld
Hilfe in herausfordernden Zeiten leisten auch die Kirchengemeinden in Ostdeutschland – so etwa im Landkreis Mansfeld-Südharz. Dieser hat ebenso mit Hochwasser zu kämpfen wie unter anderem Bremen. Aufgrund der angespannten Lage waren die Menschen entlang des Flusses Helme und rund um die Talsperre Kelbra aufgefordert worden, vorsichtshalber freiwillig ihre Häuser zu verlassen. Die evangelische Kirchengemeinde Kelbra, die zum Kirchenkreis Eisleben-Sömmerda gehört, hätte die Menschen bei Bedarf seelsorgerisch begleitet – "um Ängste zu zerstreuen", wie Mareike Blischke, Pfarrerin für den Bereich Berga-Kelba, erklärt.
Die Gemeinde beteilige sich über die Gottesdienste und die Sternsinger-Aktionen an der Spendensammlung für den Wiederaufbau der Region nach dem Hochwasser. Als Beispiel nennt Mareike Blischke das Sternsingen mit dem Kinderchor in der Ortschaft Roßla. Bei allen Aktionen und Veranstaltungen sei es für die Gemeinde eine "Gratwanderung", weiß die Pfarrerin: Würden noch Helfer bei der Deichsicherung benötigt oder könne die Gemeinde die Menschen schon einladen?
Zudem hat Kelba auch in Notzeiten wie alle Gemeinden in Ostdeutschland mit dem niedrigen Organisationsgrad zu kämpfen. "Das ist ambivalent", weiß Mareike Blischke. Während der Corona-Pandemie seien die Menschen besser erreicht worden, doch bei der Flut hätten sie sich "phasenweise von der Kirche abgewandt". Sie darum gebangt, dass sie ihre Häuser verlassen müssen und dies wohl als eine Art Strafe angesehen. Die Pfarrerin hingegen ist glücklich, dass es nicht so gekommen ist: "Das ist eine Geschichte der Bewahrung." Sie weiß auch: "Gebetsangebote lassen sich in einer säkular geprägten Gesellschaft schlecht vermitteln."