Die an Multipler Sklerose erkrankte Daniela Wirtz auf ihrem Zimmer im Bonner Evergreen Pflegezentrum
© epd-bild/Meike Boeschemeyer
In der Behindertenhilfe mangelt es an Fachkräften. Unregelmäßige Arbeitszeiten sowie Schichtdienste erschwerden es vor allem im Bereich Wohnen, passendes Personal zu finden.
Behindertenhilfe ohne Helfer?
Ohne Leiharbeit geht fast nichts mehr
In der Behindertenhilfe dauert es oft Monate, bis freie Stellen besetzt werden können. Längst fehlen nicht nur Fachkräfte. Betreuungsangebote werden bereits eingeschränkt. Fachverbände warnen vor gravierenden Folgen für die betroffenen Menschen.

In der Behindertenhilfe der Diakonie bleiben 60 Prozent der offenen Fachkräftestellen im Schnitt länger als sechs Monate unbesetzt, wie eine aktuelle Umfrage zeigt. Im September und Oktober befragt, gaben 53 Prozent der 147 teilnehmenden Träger an, dass wegen Personalmangels Einrichtungsplätze nicht wieder besetzt wurden. 66 Prozent der Befragten setzen bereits Zeitarbeiter ein, um ihre Betreuungsangebote weitgehend beibehalten zu können.

"Der Einsatz von Fremdpersonal ist an vielen Stellen fast schon normal", stellt Sabine Ulrich, Pastorin und Geschäftsführerin der Rotenburger Werke, einem großen diakonischen Anbieter der Behindertenhilfe im nordöstlichen Niedersachsen, fest. Die Folgen des Personalmangels seien deutlich spürbar, sagt die Chefin von rund 2.000 Beschäftigten: "Plätze werden nicht wiederbelegt. Zudem werden bei uns neue Wohngruppen mit insgesamt rund 35 Plätzen nicht eröffnet."

FlowTeam springt ortsübergreifend ein

"Bethel.regional" hat über 140 offene Stellen ausgeschrieben. "Aktuell kompensieren wir fehlendes Personal über Zeitarbeit und das 'FlowTeam', das in Teilen von Bethel.regional eingesetzt wird", berichtet Geschäftsführer Mark Weigand. Das FlowTeam ist ein ortsübergreifendes, multiprofessionelles Team aus 50 Fach- und Unterstützungskräften. "Die Teammitglieder können ihre Arbeitszeit flexibel mitgestalten. Nach über einem Jahr fällt das Fazit positiv aus", sagt Weigand. "Die gesamte Behindertenhilfe hat mit dem Fachkräftemangel zu kämpfen", sagt die Bundesgeschäftsführerin der Lebenshilfe, Jeanne Nicklas-Faust. Am Beispiel Wohnen zeige sich die Brisanz besonders deutlich, "weil dort als unattraktiv geltende Rahmenbedingungen vorherrschen: Schichtdienst und Arbeit zu ungünstigen Zeiten, auch an Wochenenden. Häufig gibt es nur Teilzeitstellen, mobiles Arbeiten oder Arbeitszeitflexibilität ist nicht oder schwer möglich", erklärt Nicklas-Faust.

Mehr Geld für Azubis

Zeitnah sei es schwierig, Abhilfe zu schaffen. "Eine leichtere Anerkennung internationaler Bildungsabschlüsse wäre wichtig", unterstreicht die Bundesgeschäftsführerin. Zudem müssten die Ausbildungsvergütungen steigen und das in manchen Bundesländern noch anfallende Schulgeld abgeschafft werden.

Hubert Vornholt, Direktor des Franz Sales Hauses in Essen und Mitglied im Vorstand des Bundesverbandes Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie, berichtet, dass auch Assistenz- und Hilfskräfte schwer zu finden seien: "Der Rechtsanspruch auf selbstbestimmte Teilhabe ist nicht zu verwirklichen, wenn das Personal nicht gewonnen werden kann." Vornholt fordert, die Anwerbung von Personal aus dem Ausland zu verstärken. Aber: "Es vergeht in Deutschland viel zu viel Zeit, in der ausländische Fachkräfte als Nichtfachkräfte tätig sind - und auch nur eine niedrigere Entlohnung erhalten", sagt der Fachmann. Das mache die Anwerbung zusätzlich unattraktiv. "Hilfreich wäre auch eine Offensive der Bundesregierung zur Steigerung der Attraktivität der Berufe in der Eingliederungshilfe."

Berufsbild Pflege positiv prägen

In diese Richtung denkt auch Frank Stefan, Vorstand der Diakonie Kork: "Der Beruf Pflege und Betreuung kommt in den Medien immer nur im Kontext mit Problemen vor. Das muss sich ändern." Christian Kranj?i?, Prokurist der Augustinum pädagogische Einrichtungen in München, berichtet, man baue seit Jahren das Recruiting aus: "Wir bemühen uns um Mitarbeiter aus dem Ausland, was aber mit erheblichen Anstrengungen verbunden ist." Denn die neuen Kollegen müssten in die Teams integriert werden sowie Hilfe bei der Wohnungssuche, beim Spracherwerb oder bei alltäglichen kulturellen Fragen bekommen.

Die Diakonie Kork wirbt dafür, deutlich mehr auszubilden. Vorstand Stefan berichtet, dass oft bis zu einem Jahr vergehe, wenn eine Stelle neu zu besetzen sei. Die Folge seien verzögerte Neuaufnahmen bei der Diakonie Kork, einem von sieben Epilepsiezentren in Deutschland. Es zeichne sich zudem ab, dass künftig ein ganzes Haus geschlossen werden müsse.