Als er in einem Krankenhaus einen Spiegelschrank einbaute, merkte Lion Beganovic, dass er nicht sein Leben lang mit Holz arbeiten möchte - sondern mit Menschen. Er machte zu diesem Zeitpunkt eine Lehre zum Tischler in der Nähe von Tübingen, nachdem er zuvor ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) im Albstädter Klinikum absolviert hatte. Heute ist Beganovic aus Meßstetten auf der Schwäbischen Alb so etwas wie ein Exot in seinem Studium. Er studiert im fünften Semester Pflege an der Universität Tübingen.
Der 26-Jährige ist nur einer von acht Männern, die sich für diesen dualen Kooperationsstudiengang mit der Hochschule Esslingen entschieden haben. Zusätzlich erhalten sie noch einen zweiten Abschluss als Staatliche Pflegekraft. Der Frauen-Anteil liegt bei 86 Prozent. "Ich finde das schade", sagt Beganovic, "es müssten sich viel mehr Männer zutrauen, in einem frauendominierten Berufsfeld zu arbeiten." Im Jahr 2020 waren laut Statista nur rund 17 Prozent der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Pflegefachpersonen in Deutschland Männer.
Warum noch immer so wenige von ihnen den Weg in die Pflege finden, hat viele Ursachen. Vor allem herrsche noch das Stereotyp vor, dass Frauen besser für fürsorgliche Arbeiten geeignet seien. "Quatsch", sagt Beganovic. Männer können das genauso gut und seien eine prima Ergänzung zu den Frauen. "Es fehlt ihnen schlichtweg an Vorbildern, für viele ist das ein klassischer Frauenberuf, und deshalb machen sie sich überhaupt keine Gedanken darüber, ob Pflege für sie infrage kommen könnte", sagt Beganovic.
Ihm ging es ganz ähnlich. Er selbst kannte bis zu seinem FSJ keinen Pfleger. Auch sein Vater hatte zunächst reserviert auf seinen Berufswunsch reagiert. Um mehr Männer für die Pflegeberufe zu begeistern, hat das Bundesgesundheitsministerium eine Broschüre im Rahmen des Projekts "Modern Men do Care - mehr Männer für die Pflege von morgen" herausgebracht. "Wir müssen dringend Männer und Frauen für die Pflege gewinnen", sagt Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD).
Dafür seien vor allem drei Dinge entscheidend: Öffentlichkeitsarbeit, Akquise und Personalmanagement. Aus diesem Grund kann sich Lion Beganovic sehr gut vorstellen, später mal in der Ausbildung als Dozent zu arbeiten, um zu zeigen, dass Männer auch gute Pfleger sein können. "Grundsätzlich geht es darum, dass wir top qualifizierte Fachkräfte bekommen."
Denn Pflege wird vielschichtiger und komplexer. Es geht dabei nicht nur um Kranken- oder Altenpflege, sondern darum, den Menschen ganzheitlich zu betrachten und ihm so die bestmögliche Unterstützung zukommen zu lassen. "Pflege kann viel mehr als sie darf", sagt Beganovic. Bisher beschränkt sie sich hauptsächlich darauf, die Patienten zu waschen, ihnen den Blutdruck zu messen oder mit ihnen zum Arzt oder einkaufen zu gehen.
Zusammenarbeit von Pflege und Ärzten
Im Studium, das neben Medizin unter anderem auch psychologische, rechtswissenschaftliche und ethische Inhalte umfasst, beschäftigen sie sich deshalb mit hochkomplexen Fällen. Zum Beispiel: Ein junger Familienvater bricht sich das Bein. Er wird operiert und erleidet im Krankenhaus eine Psychose, weil seine Frau gerade ausgezogen ist und er sich nun allein um drei Kinder kümmern muss. "Es geht darum, dass Pflege und Ärzte eng und auf Augenhöhe zusammenarbeiten", sagt Beganovic. Bisher sei das fast gar nicht ausgeprägt.
Deshalb hofft er, dass sich der Teamgedanke durch die Verwissenschaftlichung der Pflege grundlegend verbessert. Zum Wohle der Patienten. Unumstritten ist der Studiengang aber auch innerhalb der Pflege nicht. Viele der älteren Arbeitskräfte bezweifeln, dass er einen Mehrwert hat. Doch, widerspricht Lion Beganovic. "Der ganzheitliche Blick wird vieles zum Positiven hin verändern. Die Vielseitigkeit und Tiefe der Unterstützung." Und hoffentlich auch mehr Männer dazu bewegen können, Pflege als Beruf zu wählen. Lion Beganovic wünscht sich, nicht länger ein Exot zu bleiben.