Neben Kirchenreformen und der Prävention vor sexualisierter Gewalt nannte Heinrich "Migration, Flucht, Menschenrechte" als künftig wichtige Themen. Am 9. Januar 1949 kam in Bielefeld-Bethel die EKD-Synode erstmals zusammen.
epd: Die evangelische Kirche steht vor großen Herausforderungen: Aufarbeitung von Missbrauch, Mitgliederschwund und geringer werdendes öffentliches Interesse gegenüber der Kirche. Wie reagiert die EKD-Synode darauf?
Anna-Nicole Heinrich: Die Synode der EKD beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Aufarbeitung und Prävention sexualisierter Gewalt. Einen entsprechenden Elf-Punkte-Handlungsplan hat sie im Jahr 2018 verabschiedet und seitdem kontinuierlich an den Themen weitergearbeitet. In den vergangenen Jahren wurden die Beratungen der Synode zu Aufarbeitung und Prävention gemeinsam mit betroffenen Menschen im Beteiligungsforum vorbereitet. Das wird auch in Zukunft so sein. Ebenso langfristig ist die Arbeit der Synode an den Zukunftsprozessen der EKD.
Was heißt das konkret?
Heinrich: Dazu gehören die Arbeit mit den zwölf Leitsätzen zur Zukunft einer aufgeschlossenen Kirche, die 2020 verabschiedet wurden, der laufende Prozess der Digitalisierung und die Neuorientierung der Finanzstruktur. Mit diesen drei Zukunftsprozessen, die die gesamte evangelische Kirche betreffen, hat die Synode einen Wandel eingeleitet hin zu einer offenen, flexiblen und zeitgemäßen Kirche. Uns als Synode ist es wichtig, nicht kurzfristig auf Entwicklungen reagieren zu müssen, sondern sich vorausschauend mit Inhalten und Strukturen auseinanderzusetzen. Und die Synode beweist dabei immer wieder Mut zu Veränderungen.
Mit welchen weiteren großen Themen wird sich die EKD-Synode künftig beschäftigen?
Heinrich: Neben den Zukunftsprozessen, der Aufarbeitung und Prävention sexualisierter Gewalt und natürlich Maßnahmen gegen die Klimakatastrophe liegt der Synode an der Auseinandersetzung mit inhaltlichen Schwerpunkten. Dies umfasst zum einen Glaubensthemen, wie im zurückliegenden Jahr, als wir uns als Synode intensiv mit der Sprach- und Handlungsfähigkeit im Glauben beschäftigt haben. Auf der anderen Seite stehen gesellschaftspolitische Fragen, wie im kommenden Jahr, für das die Synodalen das Thema "Migration, Flucht, Menschenrechte" gewählt haben. Dabei ist für uns immer klar: Glauben und gesellschaftliche Verantwortung sind untrennbar miteinander verbunden.
Was sind im Vergleich zu den Anfängen vor 75 Jahren die größten Veränderungen bei der EKD-Synode?
Heinrich: Zu den Anfängen muss man zunächst einmal sagen, dass die erste Tagung der Synode im Januar 1949, bei der damals noch 28 evangelische Gliedkirchen zusammenarbeiteten, noch vor Gründung der Bundesrepublik und der DDR stattfand. Der Grundstein für eine demokratisch aufgebaute evangelische Kirche war somit früh gelegt, und zwar als gesamtdeutsche EKD.
Synode tagte bis zum Mauerbau gemeinsam
So tagte die Synode auch nach dem Mauerbau 1961 noch weiter gemeinsam, 1965 dann allerdings an zwei getrennten Orten, bis unter Druck des DDR-Staates 1969 schließlich der "Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR" gegründet wurde. Die erste gesamtdeutsche Synode fand dann wieder 1991 mit der 1. Tagung der 8. Synode in Coburg statt. Insofern ist die Geschichte der Synode auch ein Spiegel der gesamtdeutschen Geschichte.
Wie haben sich die Synoden-Mitglieder verändert?
Heinrich: Zu den größten Veränderungen zählt sicherlich, dass die Vielfalt unter den Mitgliedern zugenommen hat. Heute sind viel mehr Frauen Mitglieder der Synode, und es gibt seit 2021 eine fest vorgeschriebene Anzahl an jungen Menschen, die der Synode angehören.
Was ist Ihnen an Errungenschaften der EKD-Synode wichtig?
Heinrich: Als Präses Heinrich der 13. Synode habe ich da natürlich vor allem die aktuelle Synode im Blick und tue mich schwer, frühere Synoden zu beurteilen. Aber natürlich merken wir bei unseren heutigen Debatten auch, wie wertvoll die Grundlagen sind, die uns durch frühere Synoden mit auf den Weg gegeben wurden, etwa durch die intensive Beschäftigung mit den Themen Frieden oder Gerechtigkeit. Wir können unsere heutigen Diskussionen gut auf Positionen aufsetzen, um die bereits in evangelischer Vielfalt gerungen wurde. Das ist eine gute Basis, auch wenn wir merken, dass manches in einer veränderten Welt heute hinterfragt und neu bewertet werden muss.
Wie sieht das in der Praxis aus?
Heinrich: Dabei ist es bereichernd, dass wir als Synode in einem fortwährenden Aushandlungsprozess mit den zwei weiteren Leitungsorganen der EKD, also Kirchenkonferenz und Rat, stehen und dabei auch die Freiheit haben, Dinge noch einmal anders - eben aus Sicht eines Kirchenparlaments - einzuordnen. Das hat dem evangelischen Profil in der Vergangenheit gutgetan und ist gerade angesichts komplexer werdender Themen und Fragestellungen hilfreich.
Gibt es Ihrer Einschätzung nach Themen, die der Synode weniger gut gelungen sind?
Heinrich: Für ein Kirchenparlament gibt es keine klaren Erfolgs- oder Misserfolgskriterien. Dazu sind die Erwartungen gegenüber einer Synode auch viel zu verschieden. Wenn 128 Mitglieder mit ganz unterschiedlichen Perspektiven und Hintergründen zusammenkommen, und um gute Beschlüsse ringen, geht es am Ende darum, gute Kompromisse zu finden. Dann bin ich immer dankbar und froh, dass mit all diesen verschiedenen Perspektiven tragfähige Beschlüsse zustande kommen. Andererseits bleibt natürlich manchmal auch der persönliche Eindruck: Hier hätten wir noch weiter springen können.
Zum Beispiel?
Heinrich: So waren wir als evangelische Kirche etwa beim Thema Bewahrung der Schöpfung sehr früh auf dem Platz, als andere uns dafür noch belächelt haben, und haben damit auch wichtige Impulse gesetzt. Bis zu den Beschlüssen zu unserer eigenen Klimaneutralität mussten wir dann aber selbst noch einmal mächtig aufs Tempo drücken.
Gibt es aus Ihrer Praxis-Erfahrung Wünsche, was sich bei der EKD-Synode ändern könnte?
Heinrich: Zunächst einmal bin ich froh darüber, wie wir als Synode immer wieder gemeinsam mit herausfordernden Situationen umgehen. Etwa bei der kurzfristigen Umstellung einer in Präsenz geplanten Synode auf ein digitales Tagungsformat, wie dies aufgrund der Coronapandemie in Bremen erforderlich war. Das zeigt auf der einen Seite, wie agil wir als Kirchenparlament mittlerweile geworden sind. Zum anderen zeigt es aber auch den großen Willen und die Disziplin aller Synodalen, Herausforderungen gemeinsam zu bewältigen. Trotzdem bleibt immer noch Raum, wo wir uns als Synode in der Praxis auch verbessern können.
Woran denken Sie dabei?
Heinrich: Ein großes Anliegen wäre mir beispielsweise, dass die Synode noch diverser wird. Zwar ist das Durchschnittsalter, wie gesagt, schon deutlich gesunken. Aber es gibt immer noch viele gesellschaftliche Gruppen, die in unserer Synode gar nicht vorkommen. Das muss anders werden, gelingt aber nur, wenn diese Vielfalt auf allen kirchlichen Ebenen vorhanden ist und gelebt wird.
Welche Reformen wünschen Sie sich für eine Kirche der Zukunft?
Heinrich: Kernauftrag der Kirche sind nicht möglichst hohe Mitgliederzahlen und auch nicht zuallererst ein guter Finanzhaushalt. Wenn wir über Reformen sprechen, dann wünsche ich mir, dass wir darüber reden, wie wir Menschen im Glauben unterstützen können, wie wir die Botschaft Christi weitergeben können, Menschen damit begeistern können. Dazu gibt es bereits viele gute Veränderungsideen auf allen Ebenen. Der Ausbau der digitalen Angebote und Netzwerke wird dabei genauso wichtig sein wie gute Kontaktmöglichkeiten vor Ort. Letztlich geht es darum, eine einladende Kirche zu sein, die die eigene Lust am Glauben auch ausstrahlt.