Die Stimmung im Café K in Hannovers alternativem Stadtteil Linden ist ausgelassen an diesem Donnerstagabend. Immer mehr Menschen strömen ins Innere. Ihr Ziel: der monatliche Stammtisch des "Unterstützerkreises Flüchtlingsunterkünfte Hannover". Die Menschen kommen aus verschiedenen Ländern, etwa Algerien, Syrien, Senegal, Eritrea, Afghanistan, Ukraine.
Viele kennen sich. Sie umarmen sich zur Begrüßung, klopfen sich auf die Schulter. Einige Blicke aber sind schüchtern, die Gesichter ernst. So wie das einer Frau aus Somalia. Sie ist beim Integrationstest durch die Sprachprüfung gefallen. Wie soll es nun weitergehen?
Der junge Mann aus Pakistan neben ihr hat zwar eigene Fragen, auf deren Klärung er an diesem Abend hofft. Er sucht einen Ausbildungsplatz. Doch mit dem Integrationstest kennt er sich aus. Aufmunternd lächelt er der jungen Frau mit dem Kopftuch zu und bespricht mit ihr die nächsten Schritte.
Fragen klären, sich gegenseitig helfen, Tipps geben, das steht beim Stammtisch des 2013 gegründeten Unterstützerkreises Flüchtlingsunterkünfte Hannover (UFU) im Fokus. Zwar sind auch ehrenamtliche, einheimische Helfer da, doch viel klären die Geflüchteten untereinander. Jobcenter, Asylantrag, Arbeitserlaubnis: Die "alten Hasen", die schon länger in Deutschland sind, nehmen die Neuen unter ihre Fittiche.
"Uns fehlen schlicht die Leute"
Unterstützung, gerade in den ersten Monaten, da sind sich Migrationsexperten einig, ist unabdingbar für eine gelungene Integration. Doch das zivilgesellschaftliche Engagement geht zurück. Die Willkommenskultur, mit der Geflüchtete in den Jahren 2015 und 2016 empfangen wurden, ist vielerorts abgeebbt. Etliche Flüchtlingsinitiativen haben sich nach Angaben des Osnabrücker Migrationsforschers Jochen Oltmer aufgelöst. Die, die es noch gibt, suchen händeringend Verstärkung - so auch der UFU.
"Wir haben Schwierigkeiten, Ehrenamtliche zu finden", sagt Sabine Berge, die sich seit vielen Jahren für die Integration von Geflüchteten engagiert. Insbesondere die Listen von Migranten, die auf einen Paten warten, jemanden, der fest an ihrer Seite steht und bei Behördengängen, Deutschlernen, Wohnungssuche hilft, sei lang. "Das Integrationspotenzial ist groß, doch uns fehlen schlicht die Leute."
Forderungen nach restriktiverer Asylpolitik
Woran liegt es, dass die Einsatzbereitschaft im Vergleich zur sogenannten Flüchtlingskrise 2015/2016 abgenommen hat? Reiner Melzer, sitzt im Café K und nimmt einen Schluck aus seinem Bierglas. "Corona hat uns auf jeden Fall ziemlich ausgebremst, da ist viel Energie flöten gegangen", sagt der 63-Jährige nachdenklich, der mit seiner Frau Reneé Bergmann, den heute rund 300 Mitglieder zählenden Verein UFU gegründet hat.
Auch das Alter der Ehrenamtler spiele eine Rolle. Viele, die sich engagierten, seien Ruheständler. "Wir sind älter geworden, uns fehlt der Nachwuchs."
Im letzten Jahr gingen das Forschungsprojekt "Die aktivierte Zivilgesellschaft" der Frage nach, was vom Engagement für Geflüchtete im Jahr 2015 geblieben ist. In der vom Bund geförderten Analyse des Berliner Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung, dem Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung und der Universität Osnabrück heißt es: Der "phasenweise euphorische Diskurs über die sogenannte Willkommenskultur" sei zunehmend von Forderungen nach einer restriktivere Migrations- und Asylpolitik überlagert worden.
Bürokratische Hürden, persönliche Überforderungen, gesellschaftlicher Gegenwind - dieser Dreiklang sei eine Zerreißprobe für Flüchtlingsinitiativen wie die des UFU. Das habe zu Frustrationen unter den Freiwilligen geführt und in der Folge zu einem Rückgang des Engagements. Doch ein "harter Kern" an Engagierten sei aktiv geblieben, Freundschaften zwischen freiwilligen Helfern und Geflüchteten an die Stelle formeller Unterstützung getreten.
So wie bei den Melzers. Mit seiner Frau hat der pensionierte Umweltberater drei von ihm so genannte "Patenkinder", einen Syrer, einen Afghanen sowie eine Ghanaerin. "Das Engagement für Geflüchtete könnte eine Win-Win-Situation sein", sagt Melzer seufzend. Für die Flüchtlinge, denen ein Start in ein neues Leben ermöglicht werde, für die alternde Gesellschaft, die Nachwuchskräfte benötige, aber auch für die Ehrenamtlichen, die lebensbereichernde Beziehungen aufbauten.
Ohne zivilgesellschaftliche Unterstützung wären viele der Zugewanderten nicht da, wo sie heute sind. "Allein diese ganze Monster-Bürokratie, da kommen die ohne unsere Hilfe nicht durch", sagt Melzer. "Jammerschade" sei es, dass Menschen leer ausgehen, weil niemand für sie da ist. "Wenn wir alle mithelfen würden, dann würden wir das auch schaffen."
Der Blick zum Stammtisch des Unterstützerkreises, der vom Landessportbund Niedersachsen gesponsert wird, gibt ihm recht. Im Café K gelingt an diesem Abend mühelos und lebensbejahend das, was oft gefordert wird, aber kein Selbstläufer ist: Integration.