Im Garten picken die Hühner, ein Kinderfahrrad liegt kopfüber, mehrere Tomatensträucher sind mit Folie bedeckt. "Das sind die letzten. Hier wurde im Sommer alles gepflanzt. Alle um uns herum wurden mit Tomaten verwöhnt, und es wachsen immer noch welche nach", sagt Iryna Werbiwska. "Die Ukrainer haben gepflanzt, sie können nicht ohne Gärten auskommen – wissen Sie doch… Wir haben eine Familie, die hier in dem Wohnheim lebt." Wir fanden für sie eine coole Wohnung in einer nahegelegenen Stadt. Aber sie werden nicht umziehen, denn die Frau hat hier bereits Arbeit, der Mann besucht Kurse, die Kinder gehen zur Schule, in Vereine. Und die Tomaten sind auch ein Grund zu bleiben."
Iryna Werbiwska ist Sozialarbeiterin im Zentrum für Flüchtlingshilfe der
Diakonie Ludwigsburg. Sie hilft Schutzsuchenden in einem neuen Land bei der Lösung vieler Probleme – alltäglicher, sozialer und persönlicher Natur. Wir sind mit ihr zusammen unterwegs und treffen Familien aus der Ukraine, die in Übergangsunterkünften in der Stadt Steinheim an der Murr bei Stuttgart leben.
"Ich habe hier übrigens auch einen Garten angelegt", sagt Werbiwska. "Ich hatte Glück mit der Unterbringung -- in der Nähe des Hauses gibt es ein sehr großes Grundstück. Also haben wir Tomaten, Gurken, sogar Physalis und Wassermelonen gepflanzt. Dieses Jahr wurden große, gute Wassermelonen geboren. Vor einiger Zeit kamen die Kühe des Nachbarn und fraßen alles. Es ist gut, dass sie gegen Schäden Dritter versichert waren."
Gern gesehener Gast
Iryna klingelt bei einer der Wohnungen der Flüchtlingsunterkunft. Sie wartet
lange. Dann öffnet ein junges Mädchen die Tür und ruft "Oh, Irochka ! Wie schön, dass du da bist. Weißt du, ich bin heute nicht zur Schule gegangen, weil es geregnet hat. Und die Eltern sind jetzt nicht zu Hause."
Man kann in einem solchen Wohnheim so lange wohnen, wie man möchte, und das manchmal sogar kostenlos. Wenn man dann einen Job findet, zahlt man für den eigenen Unterhalt, muss aber nicht in eine eigene Wohnung ziehen. Schutzsuchende, die früher nach Deutschland kamen, leben manchmal seit sieben bis zehn Jahren so. Vor Ort gibt es eine Geschäftsstelle mit qualifizierter Hilfestellung bei den meisten Anliegen.
Früher hatte Iryna Werbiwska ihr eigenes Reiseunternehmen in Tscherkasy. Nachdem die groß angelegte Invasion begonnen hatte, ging sie mit ihrer Mutter, ihrer Großmutter, zwei Katzen und einem Hund nach Moldawien. Und dann kam sie in die deutsche Stadt Ludwigsburg.
Der Anfang in Ludwigsburg
Dort waren die Ukrainer im Ibis-Hotel beherbergt, bei allem anderen half die Diakonie, eine große kirchliche Organisation. In der örtlichen Friedenskirche wurde ein humanitäres Hauptquartier eingerichtet: es gab kostenlose Speisen und Getränke, SIM-Karten, Kleidung, Spielzeug, Zertifikate für Lebensmittel und Hygieneprodukte von Sponsoren, von namhaften Einzelhandelsketten gespendet.
Übersetzerin von Beruf
Werbiwska ist Übersetzerin von Beruf – für Englisch, Deutsch und Französisch. Sie kam eigentlich nur in die Kirche, um Kaffee zu trinken, blieb dann aber, um anderen Asylbewerbern zu helfen, die keine Fremdsprachen sprachen. Im Ludwigsburger Rathaus wurde damals die Registrierungsstelle für Ukrainer eingerichtet – auch dort bestand großer Bedarf an Übersetzern. Sieben Tage nach ihrer Ankunft in Deutschland erhielt Verbivska ein Stellenangebot.
"Nach einem Jahr konnte ich all diese Formulare mit geschlossenen Augen ausfüllen. Für mich war es nützlich zu lernen, wie das System funktioniert, und es war ein Vergnügen, Menschen zu helfen", sagt sie. Als alle registriert und verteilt waren, ging Werbiwska hauptberuflich in die Diakonie und hilft nun Ausländern bei der Integration in Deutschland.
Dienst am Nächsten
Diakonie ist ein sozialer Dienst evangelischer Kirchen. Es hilft Menschen, "die
am Rande der Gesellschaft stehen, auf Hilfe angewiesen sind oder sich in einer benachteiligten Situation befinden." Aus dem Altgriechischen wird "diakonia" als Dienst am Nächsten übersetzt. Die Organisation wurde 1848 vom Theologen Johann Heinrich Wichern in Hamburg gegründet. Er versuchte, aus christlicher Verantwortung heraus anderen zu helfen.
Heute ist die Diakonie mit mehr als 1,18 Millionen Betten einer der bekanntesten Träger Deutschlands und einer der führenden gemeinnützigen Anbieter von Wohn-, Pflege- und Betreuungseinrichtungen. Mehr als 627.000 Mitarbeiter und 700.000 Ehrenamtliche engagieren sich in der Organisation.
Unterkünfte in vielen kleinen Städten
In vielen Kleinstädten Deutschlands wurden Unterkünfte für Flüchtlinge eingerichtet. In dem Wohnheim in Steinheim an der Murr leben fast 40 Menschen: Ukrainer, Kurden, Syrer, Türken. Hier befindet sich auch ein kleines Hilfezentrum der Diakonie – dort arbeiten Werbiwska und fünf ihrer deutschen Kollegen. Jeder von ihnen betreut bis zu 150 Flüchtlinge, auch in Nachbarorten. So fährt Iryna einmal pro Woche ins nahegelegene Sachsenheim. Dort leben nicht nur Ukrainer, sondern auch Flüchtlinge aus Nigeria, Mazedonien und anderen Ländern.
Sie bitten ständig um Hilfe: Roma-Familien aus der Ukraine können manchmal überhaupt nicht lesen und schreiben, manche müssen Dokumente für die Fortsetzung ihrer Zahlungen ausfüllen, manche haben kein Geld für ein Kind erhalten, manche haben eine Geldstrafe verhängt. "Deutschkenntnisse sind nicht alles", sagt Werbiwska. "Sie müssen wissen, wie Sie das Formular richtig ausfüllen und was all diese bürokratischen Begriffe bedeuten. Darüber hinaus helfen wir bei der Integration. Es fällt mir leicht, es durch mein eigenes Beispiel zu tun: Ich bin auch eine Geflüchtete, bin seit zwei Jahren hier und habe bereits eine Blaue Karte erhalten."
Mancher kann nicht gut lernen
Für manche Ukrainer ist die deutsche Sprache zu einer Herausforderung geworden. "Vorher habe ich nicht geglaubt, dass so etwas passieren könnte. Ich dachte, nur Faulheit könne der Beherrschung der Sprache im Wege stehen. Die Leute machen fleissig alle ihre Hausaufgaben, aber es funktioniert einfach nicht mit dem Lernen. In Wirklichkeit zeigt sich, dass es sehr schwierig ist. Der Mann will arbeiten, aber er kann nicht, denn ohne Sprache nimmt ihn niemand. Die Kinder reden schon, die Frau auch, aber er nicht. In solchen Fällen rate ich Leute, ihre Bemühungen trotzdem nicht einzustellen, sondern sich mehr auf den Wortschatz zu konzentrieren – lernt man schneller mithilfe von Karten Neues."
Ein Sozialarbeiter ist auch ein bisschen Psychologe und sogar ein Freund. Es
kommt vor, dass ein Flüchtling in ein fremdes Land kommt und seine engste Person ein Sozialarbeiter ist, der seine Muttersprache spricht und die Probleme versteht. "Wir haben Menschen, die aus Butscha, aus der Region Charkiw, aus der Region Saporischschja geflohen sind. Ihre Geschichten über die Gräueltaten russischer Soldaten können einen grau werden lassen – diese Ukrainer sind zutiefst traumatisiert. Eine Frau legte eine Sprachprüfung ab, und Überwachungsinspektoren gingen um die Prüflinge herum – damit niemand sie abschrieb. Und es schien ihr, als wären es russische Soldaten, die gingen. Und die Frau verließ einfach den Prüfungsraum, sie konnte nicht dabei sein und konnte den Prüfern noch nicht einmal erklären, warum sie das tat – so ein starkes Trauma,", erzählt Werbiwska. "Gleichzeitig spricht sie sehr gut Deutsch."
Um Schutzsuchende zu trösten oder besser zu integrieren, organisiert die Diakonie regelmäßig Aktivitäten: Meisterkurse, Yoga-Kurse, Sprachcafé, "Café für gute Laune", Kinderfeste. Jeder Mitarbeiter kann eine Idee für eine Veranstaltung einbringen, und wenn sie von anderen unterstützt wird, wird sie gemeinsam umgesetzt.
Grillen gegen Vorurteile
"In einer nahegelegenen Stadt gibt es ein Wohnheim nur für Männer. Dort leben überwiegend Syrer. Die einheimischen Deutschen waren von einer solchen Nachbarschaft schockiert und hatten Vorurteile. Deshalb beschlossen wir, die Nachbarn einander vorzustellen und eine Grillparty zu veranstalten. Einladungen wurden an Briefkästen verschickt, Tische gefunden, Erfrischungen organisiert", erinnert sich Werbiwska.
Neben ihrer Haupttätigkeit bei der Diakonie unterrichtet Iryna Deutsch für Ukrainer, die in einem Privatunternehmen arbeiten. Das Unternehmen sei an einer Zusammenarbeit mit Ukrainern interessiert, möchte aber gleichzeitig deren Sprachniveau verbessern. Deshalb lud man Werbiwska ein.
Und mit Hilfe des örtlichen Rotary Clubs bereitet die Frau zwei Wärmekraftwerke mit einem Gewicht von jeweils 4,5 Tonnen für den Transport in ihre Heimat Tscherkasy vor. Sie wurden zehn Jahre lang betrieben und abgebaut. Jetzt werden sie in die Fabrik zur Herstellung von Konserven für ukrainische Soldaten in der Stadt Tschygyryn gehen.
evangelisch.de dankt der Diakonie Württemberg und Amal, Berlin! für die inhaltliche Kooperation.