Im 4. Jahrhundert, mit der Herausbildung des Kirchenjahres, entstanden neue christliche Feste, so auch das Weihnachtsfest. Lieder wurden geschrieben, welche die bevorstehende Ankunft Christi besangen, sagte Martin Mautner, Rektor der Hochschule für Kirchenmusik Heidelberg der Evangelischen Landeskirche in Baden, im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Der Lehrbeauftragte für Hymnologie hebt etwa die besondere Geschichte von "Nun komm der Heiden Heiland" hervor. Das Lied geht auf einen altkirchlichen Hymnus des Bischofs Ambrosius von Mailand (339-397) zurück und wurde in der Reformationszeit von Martin Luther (1483-1546) aufgegriffen. Die kurzen, vierzeiligen Strophen waren als Gemeindegesänge geschrieben.
Ursprünglich in der damaligen Volkssprache Latein verfasst, waren sie im besten lutherischen Sinn "dem Volk aufs Maul geschaut". Kirchenpolitisch jedoch missfielen diese "gemeinen" Stimmen von der Kirchenbank. Singen im Gottesdienst blieb für rund 1.000 Jahre ausschließlich Profisängern vorbehalten.
Mit der Reformation erinnerte sich Luther des Liedes und übersetzte es ins Deutsche, die nunmehr vorherrschende Volkssprache. "Luther verfolgte zwei Ziele: die Gemeindebeteiligung und die Vermittlung christlicher Glaubensinhalte", beschreibt Mautner das Anliegen des Reformators.
Von Paul Gerhardt (1607-1676), dem nach Martin Luther zweithäufigsten im Gesangbuch vertretenen Kirchenliederdichter, stammt "Ich steh an deiner Krippen hier" (Evangelisches Gesangbuch 37). Das Lied ist als Solostück für den privaten Gebrauch geschrieben und wird von einem Bassinstrument, etwa dem Violoncello, begleitet. Die Musik der "kleinen geistlichen Arie" schrieb der bekannteste Komponist für Kirchenmusik, Johann Sebastian Bach (1685-1750).
Das Lied rege dazu an, über die persönliche Bedeutung des Weihnachtsfestes nachzudenken, weiß Mautner und erinnert sich: "Bei uns zuhause war das Lied ein Muss." Die meditative Stimmung von Musik und Text kämen der Betrachtung eines Bildes, in das man sich versenkt, gleich, sagte er.
Ein "typisches Lied der Romantik" sei das weltweit bekannteste Weihnachtslied "Stille Nacht, Heilige Nacht", das am 24. Dezember 1818 in Oberndorf an der Salzach in Österreich uraufgeführt wurde. "Das kennen sogar meine Studenten aus Korea", berichtete der Hochschullehrer. Es sei "im Volkston" geschrieben, jedoch kein Volkslied, wie vielfach fälschlicherweise angenommen, so Mautner.
Das Lied erlebte seinen Siegeszug in den USA, wohin es Auswanderer europäischer Chöre mitnahmen. Das schlichte Lied habe den Nerv der Ausgewanderten getroffen, die bei den "Betrachtungsseufzern" des Textes "dahingeschmolzen" seien, sagte Mautner. Als eine Art "Reimport" kam es später zurück nach Deutschland, wo es bis heute auf so gut wie keinem Weihnachtsmarkt fehlt.
Ein touristischer Kniff ist die "Stille-Nacht-Kapelle" in Oberndorf. Sie ist dem Weihnachtslied gewidmet. Hinter einer Lichtschranke ertönt zu jeder Jahreszeit "Stille Nacht, Heilige Nacht", gesungen von den Wiener Sängerknaben.
Das Dunkel der Welt hingegen, das beschwert und Sorge bereitet, besingt das Lied "Die Nacht ist vorgedrungen" von Jochen Klepper (1903-1942). Der evangelisch-lutherische Pfarrer aus Niederschlesien schrieb den Text unmittelbar nach der Reichspogromnacht am 9. November 1938. Verheiratet mit einer Jüdin, war Klepper von der Judenverfolgung existenziell betroffen. Er selbst war zwar vom Naziregime anerkannt, Frau und Tochter erhielten jedoch 1942 den Deportationsbefehl. Klepper, Frau und Kind nahmen sich das Leben.
"Ich begegne dem Lied oft in Nachtgottesdiensten an Heiligabend", berichtete Mautner. Das "Hoffnungslied in Bedrängnis" spreche einen kleinen, nachdenklichen Kreis von Gottesdienstbesuchern an, wenn es in der vierten Strophe heißt: "Noch manche Nacht wird fallen auf Menschenleid und Schuld. Doch wandert nun mit allen der Stern der Gotteshuld. Beglänzt von seinem Lichte, hält euch kein Dunkel mehr, von Gottes Angesichte kam euch die Rettung her."