Ich habe einen Traum. Den Traum einer gerechten – und damit auch einer klimagerechten – Welt für alle. Ich bin Pfarrerin der bayerischen Landeskirche im Schuldienst. Lange Jahre war ich auch Mitautorin und -herausgeberin der Schulbuchreihe Ortswechsel. Für Ortswechsel+10 habe ich ein Kapitel über Klimagerechtigkeit geschrieben und mich dabei noch mal intensiv mit der Dringlichkeit der Klimakatastrophe auseinandergesetzt.
Wahrscheinlich kennen inzwischen die meisten das große Problem der Klima-Kipppunkte, der sich selbst verstärkenden Elemente im Klimasystem, welche auch ohne unser Zutun die Erde weiter aufheizen, wenn die kritische Schwelle überschritten ist. Wissenschaftler:innen sind sich deshalb einig, dass wir nicht mehr viel Zeit haben zu handeln und dass wir jetzt sofort drastische Maßnahmen ergreifen müssen, um das Schlimmste zu verhindern.
Wenn ein Teil leidet, leiden alle anderen Teile mit
Ich bin an meiner Schule für eine mittlerweile 12-jährige Partnerschaft mit einer tansanischen Mädchenoberschule verantwortlich. Im Austausch mit unseren Partner:innen werde ich seit vielen Jahren zunehmend mehr auf die Folgen der Klimakrise dort vor Ort aufmerksam. Eine befreundete Lehrerin hat mir beispielsweise im Sommer 2022 geschrieben, dass auf ihren Feldern alles vertrocknet ist, weil es in der letzten Regenzeit kaum geregnet hatte. Und dabei ist die Lage in Tansania noch deutlich besser, als z. B. in den Nachbarländern Uganda und Kenia, wo alleine im Jahr 2022 tausende Menschen und Tiere verhungert und verdurstet sind.
Die Theologin und Religionspädagogin Andrea Rückert ist Koordinatorin der Kirchenvernetzung der Letzten Generation und überzeugt: Mit friedlichem zivilen Widerstand lässt sich gemeinsam der Traum einer klimagerechten Welt für alle vorantreiben.
Die Evangelische Mission Weltweit (EMW) ist eine Gemeinschaft von evangelischen Kirchen, Werken und Verbänden in Mission und Ökumene. Missionstheologie, theologische Ausbildung weltweit, Schöpfung und Nachhaltigkeit, Dialog der Religion, interkulturelle und kontextuelle Theologien sowie Frieden und Gerechtigkeit gehören zu den Themen der Dach- und Fachorganisation.
Was bedeutet Mission heute? Das ist nicht leicht zu beantworten. Doch mission.de will genau das. Hier kommen Menschen zu Wort, die weltweit in Mission und Ökumene vernetzt und zuhause sind und etwas zu sagen haben. Ein Blog gibt Raum für pointierte Meinungen, aktuelle Themen und Beiträge zu laufenden Diskursen. mission.de ist eine Initiative evangelischer Missionswerke, Verbände und Kirchen unter dem Dach der Evangelischen Mission Weltweit (EMW).
Es zieht sich wie ein roter Faden durch die Bibel, dass Gott auf Seiten der Unterdrückten steht, für sie Stellung bezieht und eintritt. Wir Christ:innen reden von weltweiter Solidarität und Gemeinschaft. In 1. Kor 12 wird diese Verbundenheit mit dem Bild vom einen Leib und den vielen Körperteilen beschrieben. Dort heißt es auch: "Wenn ein Teil leidet, leiden alle anderen Teile mit." Als Christin kann ich deshalb nicht einfach wegsehen und verdrängen, was heute schon durch die Folgen der Klimakatastrophe in Ländern des Globalen Südens geschieht – und wofür historisch gesehen wir in Europa und den USA die Hauptverantwortung tragen, weil wir die Klimakrise verursacht haben. Darum bin ich auch ehrenamtlich Koordinatorin der AG Vernetzung mit den Kirchen der Letzte Generation.
Grundgesetz verpflichtet zu Klimamaßnahmen
Vielleicht stellt sich für manche nun die Frage, warum ich mit meinem Engagement "ausgerechnet" bei der Letzten Generation bin. Seit Jahrzehnten erklären Wissenschaftler:innen, dass wir dringend unsere Lebensweise ändern müssen und viele Menschen leben auch vor, wie diese Änderung aussehen kann. Seit Jahrzehnten setzen sich Menschen in der Kirche weltweit für Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung ein. Aber dieser Einsatz, diese Warnungen, das Vorleben haben nicht zu der physikalisch notwendigen Klimapolitik und zum Artenschutz geführt. Notwendig wäre laut renommierter Wissenschaftler:innen, damit wir zumindest mit einer 50 prozentigen Wahrscheinlichkeit 1,5 Grad Celsius Erwärmung nicht überschreiten, dass wir in Deutschland bis 2030 aus der Nutzung fossiler Energieträger aussteigen – und genau das ist auch die zentrale Forderung der Letzten Generation. Das wäre technisch möglich – aber politisch sieht es leider momentan nicht so aus, dass alles für den Erhalt der Lebensgrundlagen auch künftiger Generationen (Art 20a GG) getan werden würde. Über 80 Verfassungsrechtler:innen betonen in einer gemeinsamen Erklärung vom 31. August, dass das Bundesverfassungsgericht im März 2021 deutlich gemacht hat, dass das Grundgesetz zu wirksamen Maßnahmen gegen die Erderwärmung verpflichtet.
Realistisch betrachtet wird das, was in den letzten Jahrzehnten nicht zu einer grundlegenden Änderung der Klimapolitik geführt hat, auch jetzt nicht dazu führen. Aber es ist keine Option aufzugeben. Wenn man sich historisch anschaut, wie Umschwünge, die zuvor für unmöglich gehalten wurden, doch erreicht werden konnten, so findet man immer wieder die Methode des friedlichen zivilen Ungehorsams. Wir hier in Deutschland befinden uns in der glücklichen Lage, in einer Demokratie zu leben. Wir dürfen protestieren, ohne um unser Leben fürchten zu müssen. Das ist in vielen Ländern des Globalen Südens ganz anders. Auch deshalb dringen Menschen im Globalen Süden darauf, dass wir uns hier in Deutschland unignorierbar für eine Klimapolitik, die ihre Menschenrechte schützt, einsetzen.
Nicht in den zivilen Ungehorsam zu gehen, heißt nicht, nicht schuldig werden
Wichtig ist mir und uns allen bei der Letzten Generation die Gewaltfreiheit. Alle Menschen, die mit der Letzten Generation in Proteste gehen, müssen sich dazu verpflichten und das vorher auch in Rollenspielen üben. Wir planen unsere Proteste sehr sorgfältig, damit möglichst niemand gefährdet wird: Wir gehen nur bei stehendem Verkehr auf die Straße, wir legen genau fest, wer sich nicht festklebt, damit schnell eine Rettungsgasse frei gemacht werden kann. Bei Aktionen in Museen achten wir sehr genau darauf, Bilder zu wählen, die durch Glasscheiben geschützt sind, bei Farbaktionen wählen wir abwaschbare Farben und so weiter. Das sind nur ein paar Beispiele dafür, wie wir versuchen, Gefährdungen und auch Beschädigungen von Dingen zu vermeiden.
Wir können natürlich trotz aller sorgfältigen Planung nicht ausschließen, dass durch unsere Proteste jemand zu Schaden kommt, das ist uns allen bewusst. Nicht in den zivilen Ungehorsam zu gehen, heißt aber nicht, nicht schuldig werden angesichts der Opfer, die die Klimakatastrophe schon jetzt fordert. Mein Glaube gibt mir Mut und Hoffnung, dass es möglich ist, die enormen politischen Veränderungen, die wir angesichts der Dringlichkeit der Klimakatastrophe brauchen, zu erreichen. Gottes Geist kann mehr bewirken, als wir denken, wenn wir es ihm zutrauen und uns auch selbst trauen. Gerade deshalb ist es in der aktuellen Situation meiner Meinung nach unsere Aufgabe als Christ:innen und auch von Kirche, mit friedlichem zivilen Widerstand gemeinsam den Traum einer gerechten – und damit auch einer klimagerechten – Welt für alle voranzutreiben. Darum engagiere ich mich bei der Letzten Generation.
evangelisch.de dankt der Evangelischen Mission Weltweit und mission.de für die inhaltliche Kooperation.