Eine deutsche Agentin will das um jeden Preis verhindern. Zu ihrer wichtigsten Komplizin wird ausgerechnet eine junge Schweizer Pazifistin. Krankenschwester Johanna Gabathuler hat als Rot-Kreuz-Helferin die Sinnlosigkeit der Kämpfe hautnah miterlebt. Kaum hat sie einen Soldaten zusammengeflickt, wird er wieder als "Kanonenfutter" an die Front geschickt. Ihr Entschluss, sich als Spionin anwerben zu lassen, hat jedoch einen sehr persönlichen Grund.
Öffentlich-rechtliche Produktionen über einen der beiden Weltkriege sind meist schwere Kost mit einem hohen moralischen Anspruch; sehr aufwändig und hochwertig umgesetzt, aber in der Regel vorhersehbar und mit Bedacht inszeniert. "Davos 1917" ist zwar nicht komplett anders, doch die schweizerisch-deutsche Koproduktion, trotz einer Gesamtdauer von viereinhalb Stunden keine Minute zu lang, wirkt mit ihrer Mixtur aus historischem Drama, Sittengemälde, Agenten-Thriller und Liebesgeschichte wie ein Stoff des schottischen Thriller-Autors Alistair MacLean ("Die Kanonen von Navarone") und ist äußerst kurzweilig. Als Dreingabe gibt es prachtvolle Schneebilder und Alpenpanoramen.
Blickfang der sechsteiligen Serie ist allerdings Dominique Devenport. Die Schweizerin war bereits der Star der RTL-Serie "Sisi" (2021/22). Während sie die Kaiserin mit einer reizvollen Mischung aus attraktiver Anmut und amüsantem Trotz verkörperte, ist ihre Rolle diesmal ungleich kämpferischer. Johanna ist schwanger von der Front heimgekehrt. Damit sie nicht als "Kriegshure" gilt, hat ihr Vater dafür gesorgt, dass ihr das Baby gleich nach der Geburt weggenommen wird. Fortan nutzt Ilse von Hausner (Jeanette Hain) das Kind als Faustpfand. Die vermeintliche Gräfin setzt die junge Frau auf einen britischen General an. Im Gegenzug will sie ihr verraten, wo das Baby ist.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Neben der Bildgestaltung und der Musik beeindruckt die von einem insgesamt sechsköpfigen Buch- und Regie-Team verantwortete Serie vor allem durch ihre inhaltliche Komplexität. Die nur bedingt bekannte, aber markante Besetzung der Nebenfiguren sorgt dafür, dass der Überblick gewahrt bleibt. Die Männer sind überwiegend unsympathisch, allen voran der Politiker, an den der alte Gabathuler (Hanspeter Müller Drossaart) seine Tochter verschachern will. Weil sein Kurhotel vor dem Bankrott steht, soll sie einen vermögenden Großrat (Sven Schelker) heiraten. Als sich herausstellt, dass er entscheidend an der alliierten Mission beteiligt ist, obwohl seine Heimat damit zum Kriegsschauplatz wird, muss Johanna auch noch gute Miene zum bösen Spiel machen, um an die Informationen ranzukommen; spätestens jetzt wird "Davos 1917" zur Mata-Hari-Geschichte.
Tatsächlich hatte Adrien Illien, der kreative Kopf hinter der Serie, die Führungsoffizierin der legendären Spionin im Kopf, als er die Rolle der Gräfin entwarf. Neben Devenport ist Jeanette Hain ein weiterer Einschaltgrund. Die gern als Femme fatale besetzte Schauspielerin darf hier lauter verschiedene Facetten ausleben, zumal lange Zeit offen bleibt, ob es die Agentin, die sich keineswegs nur zum Schein in der Kurklinik aufhält, wirklich ehrlich mit Johanna meint. Ein unerwartetes Doppelspiel treibt auch der Mann, in den sich die junge Frau schließlich verliebt. Selbst Doktor Mangold (David Kross) ist in die alliierten Pläne verwickelt.
Clever verknüpft das Drehbuchtrio die Befindlichkeiten mit dem großen Ganzen. In der Hoffnung, dass Russland als Kriegspartei ausscheiden werde, finanziert das Deutsche Reich die Revolutionspläne eines Exilrussen, den die Welt schon bald unter seinem Kampfnamen Lenin kennenlernen wird; und selbst bei diesem Unterfangen spielt Johanna eine entscheidende Rolle. Die Geschichte ist abwechslungsreich, immer wieder überraschend und dank cleverer Cliffhanger ziemlich spannend, das filmische Handwerk erfüllt höchste Ansprüche. Deshalb fällt es kaum ins Gewicht, dass nicht alle Mitwirkenden das Niveau des zentralen Trios erreichen; Sunnyi Melles zum Beispiel bewegt sich als russische Adelige gefährlich nah am Rand zur unfreiwilligen Parodie. Das "Erste" zeigt die Serie heute und morgen ab 20.15 Uhr, sie steht komplett in der ARD-Mediathek.