In Kenia ist zu Weihnachten Beschneidungszeit. Wenn die Schulen wie derzeit wegen der langen Ferien für zwei Monate geschlossen bleiben, müssen Tausende Mädchen von 10 bis 18 Jahren eine Verstümmelung ihrer Genitalien über sich ergehen lassen. Etwa 450 von ihnen könnten diesem Schicksal entkommen. Sie haben sich in die zwei Schutzcamps in den westlichen Regionen Kuria und West Pokot retten können, die von der Organisation "Zinduka" und der Stiftung "I-am-Responsible" (I_Rep) betrieben werden.
Domtila Chesang, die I_Rep gründete, stammt aus der Region West Pokot, wo etwa 70 Prozent aller Frauen das grausame Prozedere erleiden. Im gesamten Land sind es etwa 15 Prozent. Sie war dabei, als ihre Cousinen beschnitten wurden und ist dem Eingriff nur knapp entkommen. Seitdem setzt sie sich mit allem, was sie hat, dagegen ein. Gerade ist sie noch ihre Miete für Dezember schuldig, weil sie das Geld für Benzin ausgegeben hat, um Mädchen in abgelegenen Regionen mit ihren ermutigenden Botschaften zu erreichen.
Mehr als 200 Millionen Frauen und Mädchen weltweit sind an ihren Genitalien verstümmelt. Und weiterhin halten Gemeinschaften in mehr als 30 Ländern an der gefährlichen Praxis fest - mit oft schwerwiegenden gesundheitlichen und psychischen Folgen für die Opfer, manchmal bis zum Tod. In den meisten Fällen ist die Genitalverstümmelung, die oftmals ohne Betäubung vorgenommen wird, Teil des Übergangs vom Mädchen zur Frau. Danach kann sie verheiratet werden.
"Genitalverstümmelung ist keine kulturelle Tradition, sondern eine Menschenrechtsverletzung", sagt Chesang. Das Thema werde in Kenia nicht als dringend genug behandelt, sondern nur als eines von vielen. "Wir können dieses Land nicht voranbringen, solange Frauen verstümmelt werden." Mit I_Rep beteiligt sich die Aktivistin an der Kampagne "#FrontlineEndingFGM", die sich vor einem Jahr gegründet hat und von mehr als 1.000 kleinen, lokalen Organisationen aus 15 afrikanischen Ländern getragen wird. FGM ist die Abkürzung für den englischen Begriff Female Genital Mutilation, weibliche Genitalverstümmelung. Die Kampagne klärt auf und kämpft für mehr Fördergelder vor Ort.
Familieneinbindung verbessert die Lage
Denn laut Analysen der "Global Media Campaign Against FGM", die Medienschaffende gründeten, um Aktivistinnen in Öffentlichkeitsarbeit fortzubilden und mit Mikrokrediten zu unterstützen, landen nur etwa zwei Prozent der Fördergelder gegen Genitalverstümmelung direkt bei Aktivistinnen und Organisationen vor Ort. Dennoch bewirken sie schon jetzt, dass sich die Lage in Kenia verändert. "Wir binden die komplette Familie in die Schutzcamps ein", berichtet die Deutsche Antonia Waskowiak, die "Zinduka" 2016 gründete. Außerdem erstelle die Organisation, deren Arbeit durch Spenden finanziert wird, Radioshows in den lokalen Sprachen, um möglichst viele Menschen zu erreichen. Oft feiern sie Erfolge. Aber manchmal reicht ihre Hilfe nicht aus.
Wie bei Yulita Chacha. Die 21-Jährige suchte im vergangenen Jahr Zuflucht im Schutzcamp, konnte bleiben und erhielt ein Stipendium für ihre weitere Ausbildung. Im Januar wollte sie nur ihre Zeugnisse zu Hause abholen, als ihr Bruder und andere Dorfbewohner sie überwältigten und der schlimmsten Form der Genitalverstümmelung unterzogen: Ihr wurden die Klitoris und die äußeren und inneren Schamlippen komplett entfernt.
Ein Leben lang Schmerzen
Viele Frauen leiden danach ein Leben lang unter Schmerzen oder werden unfruchtbar. Natürliche Geburten sind oft unmöglich oder lebensbedrohlich für Mutter und Kind. Je schwerer die Verstümmelung, desto schwerwiegender die Folgen. Die WHO unterscheidet vier Typen von Genitalverstümmelung. Sie gehen von der Verletzung der Klitoris-Vorhaut bis zur Entfernung der Klitoris, der inneren Schamlippen sowie der Innenseite der äußeren Schamlippen.
Auch wenn die Zahl der Opfer in Ländern wie Kenia stetig abnimmt, sind zum Beispiel in Somalia laut den UN noch immer 98 Prozent der Frauen beschnitten. Inzwischen haben Ärzte Operationen entwickelt, mit denen der Intimbereich teilweise rekonstruiert werden kann. Auch Yulita Chacha hat sich dazu entschieden und dafür Hilfe von "Zinduka" erhalten. In der Hauptstadt macht sie jetzt eine Ausbildung im Catering.
"Es gibt Hoffnung", sagt Domtila Chesang. Wenn kleine Organisationen wie I_Rep und "Zinduka" mehr Geld zusammenbekämen, könnten sie die Schutzcamps das ganze Jahr aufrechterhalten und nicht, wie derzeit, nur in den Schulferien. "Wir werden nicht aufgeben."