Gottheit "Pachamama"
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"Die indigen-andine Kosmovision mit der Gottheit 'Pachamama – Mutter Erde' kann eine inspirierende Begegnung für christliche Schöpfungstheologie und Naturschutz in Deutschland sein", meint Theologiestudent und FSJler Leander Knoop.
Blog aus Bolivien
Mutter Erde hat Rechte!
Über 70 Prozent der Bolivianer:innen gehören der katholischen Kirche an. Über 50 Prozent zählen sich zu einer der 36 indigenen Volksgruppen. Im Jahr 2010 hat das bolivianische Parlament das "Gesetz über Mutter Erde und ganzheitliche Entwicklung für gutes Leben" verabschiedet. Der Deutsche Bundestag hingegen lehnte im November 2021 in einer Diskussion über die "Anerkennung einer eigenen Rechtspersönlichkeit für Natur und Umwelt" diesen Ansatz ab. "Die indigen-andine Kosmovision mit der Gottheit 'Pachamama – Mutter Erde' kann eine inspirierende Begegnung für christliche Schöpfungstheologie und Naturschutz in Deutschland sein", meint Theologiestudent Leander Knoop, der in seinem Freiwilligendienst in La Paz für acht Monate in die andine Kultur eingetaucht ist.

"Halt, warte! Hast du Pachamama schon bedacht?", mein Gastvater hielt mich vom Trinken ab, schrägte sein Glas Cerveza an, sodass ein Tropfen auf den Boden fiel. Ich sollte ihn nachahmen. "Bei allem, was wir trinken, ehren wir immer zuerst Pachamama. Dies ist ein kleines Geschenk als Zeichen des Dankes, denn von ihr kommt alles Leben und Wohlergehen", erklärte er mir. Das war in der ersten Woche meines Freiwilligendienstes.

Das Alti Plano ist eine kalt-karge Trockensteppe mit wenig Vegetation. Über Jahrhunderte haben die Menschen dort gelernt, nur durch den sorgsamen Umgang mit den natürlichen Ressourcen zu überleben. Ein tiefes Verständnis für die Zusammenhänge der umgebenden Natur ist hier unverzichtbar. Die Geschichte der heimischen Völker, lässt sich nur weitererzählen, indem das Gleichgewicht zwischen Mensch und Natur und zwischen den Menschen selbst bewahrt und stets wiederhergestellt wird. Die indigenen Menschen der Anden kommen nicht auf die Idee, sich als Mittelpunkt der Welt oder Krone der Schöpfung zu begreifen. Für sie ist alles mit allem verbunden. Ihr tiefer Respekt gegenüber Mutter Erde drückt sich in den Bräuchen aus. Die nachhaltige Lebensweise zeigt sich in der Spiritualität der andinen Völker, wie den Aymara, Quechua und Uru.

Ich stehe am Rand der Hochebene und blicke in den Talkessel, in dem die Stadt La Paz liegt. Darüber glänzen imposant die schneeweißen Gipfel des über 6400 Meter hohen Berggiganten Illimani. Wie er dort thront, ist er omnipräsent und zugleich unerreichbar. Er versorgt die drei Millionen Einwohner:innen der Metropole mit seinem Gletscherwasser. Es heißt, Pachamama offenbart sich in unserer Welt durch die gewitternden Berggipfel, Tiere und Pflanzen, wie Illimani, Lama und Coca-Strauch. Sie sind heilig. Sie vermitteln zwischen der himmlischen und der irdischen Sphäre. Das, was ist, das Universum, das macht Pachamama auf Erden erkennbar. In diesem Land, welches dreimal so groß wie Deutschland ist, von kaltem Hochgebirge bis heißen tropischen Regenwald, identifiziert sich die Hälfte der etwa zwölf Millionen Einwohner:innen als Indigene. Bolivien ist zwar ein stark katholisch geprägtes Land, den Alltag hingegen bestimmt meist ein pragmatischer Synkretismus mit den vorkolumbischen Religionen. Etwas am Zeitverständnis ist anders – es ist mehr ein zyklischer Blick auf die Welt.

Gottes Liebe gilt nicht dem Menschen allein

Die Cholita (eine in traditionelle Tracht gekleidete Frau), die ich hierauf begleitet habe, und ich, machen uns von der Weide zurück auf den Weg in ihr Bergdorf. Unterwegs erklärt sie mir: "Das Lama ist ein heiliges Tier. Es gibt uns alles, was wir brauchen. Seine Wolle wärmt uns, sein Fleisch nährt uns. Wir hüten und pflegen es wie unseren Augapfel." Über ein Drittel der Bevölkerung ist in der Landwirtschaft beschäftigt. Insbesondere im Andenhochland leben noch viele in Subsistenzwirtschaft. Die Betroffenheit vom Klimawandel ist groß. Entweder bleibt der Regen ganz aus oder kommt in einer unbekannten Heftigkeit. Die Gletscher schmelzen, die Wege zum Trinkwasser werden länger. Und das, obwohl sie eine enge Beziehung zur Pachamama pflegen, sie ehren und schützen. Alles auf dieser Erde ist mit allem verbunden.

Gestehen wir uns ein, es ist uns bisher nicht gelungen, auf der Basis des Grundgesetzes unsere menschlichen Freiheiten mit Natur, Tier und Klima ins Gleichgewicht zu bringen. Es ist zwar anzuerkennen, dass wir eine Regeneration von bedrohten Arten und Ökosystemen in Deutschland beobachten, dennoch hört fragwürdige Umweltzerstörung nicht auf. Die Existenz, Unversehrtheit und Regeneration von Natur und Lebewesen schützen wir mangelhaft. Der Pro Kopf-Ressourcenverbrauch übersteigt das, was uns zusteht und gefährdet die Existenzgrundlagen von uns und allen anderen Geschöpfen – heutiger und zukünftiger Generationen – bei weitem. Dennoch wollen wir immer weiter, mehr und intensiver konsumieren – höher, tiefer, weiter. Unsere Spezies Mensch versucht, überallhin zu dringen und alles zu beherrschen. Der Deutsche Bundestag diskutierte die Anerkennung einer eigenen Rechtspersönlichkeit für Natur und Umwelt im November 2021. Auch deshalb verebbte die Diskussion, weil es von vielen als in sich widersprüchlich empfunden wurde, dass in einem Verfahren die Klägerin (Erde) durch den Beklagten (Mensch) vertreten würde. Der systemische Vorteil sei nicht gegeben.

Tiere und Erde als Personen mit Rechtsansprüchen

Mit Blick auf die Realpolitik Boliviens wird klar, dass es auch dort möglich ist, die mit Eigenrechten versehene Mutter Erde im ersten bolivianischen Naturschutzgesetz überhaupt zu übergehen, beispielsweise durch Brandrodung und Quecksilber belastete Flüsse aus dem Goldabbau. Aber ist es deshalb absurd, davon zu sprechen, dass Mutter Erde Rechte hat? Rechte darauf, dass ihre Ökosysteme und Lebewesen Gegenwart und Zukunft haben?

Die Erde als Person mit Rechtsansprüchen gegenüber ihren Bewohner:innen ist kein völlig abwegiger Gedanke. Auch nicht für die christliche Theologie. Franz von Assisi erkennt das Göttliche in allen Geschöpfen. Und schon der Gott der Bibel schließt am Anfang einen Bund mit der Erde im Zeichen des Regenbogens (Gen 9,8–13). Nicht nur mit der gesamten Menschheit, sondern mit allen Lebewesen schließt er einen Bund. Unser Gott JHWH verbindet Schöpfung und Geschöpfe in seinem Wort. Auch andernorts gibt es Anklänge, die Tieren und der Erde durchaus Rechtspersönlichkeit zugestehen (Dtn 22,6f.25,4; Lev 25,4).

Wenige Kapitel zuvor definiert sein Wort das Verhältnis von Geschöpf-Mensch und Schöpfung: "Seid fruchtbar und vermehrt euch, bevölkert die Erde, unterwerft sie euch und herrscht über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die sich auf dem Land regen" (Gen 1,28). Wie oft dieser Vers herangezogen wurde, um Machtansprüche und Naturausbeutung zu rechtfertigen! Ein schwer belasteter Vers, der Kolonialgeschichte geschrieben hat und zum europäischen Werkzeug weltweiter Unterwerfung wurde, insbesondere indigener Völker.

Wir brauchen einen erneuerten gesellschaftlichen Geist auf Erden

Die im Wesentlichen literarische Einheit der Urgeschichte ist in der alttestamentlichen Wissenschaft eine allgemein anerkannte These. Ich höre Hoffnung, lese ich Gen 1,28 im Horizont von Gen 9,13. Sie bedingen einander. Die Freiheit, Herrschen anzunehmen, ist nur dann ein Segen, wenn ich das Geschöpf-Sein und Schöpfung-Sein von Mutter-Erde, Lama und Coca-Strauch bejahe. Gottes Liebe gilt nicht dem Menschen allein.

Wenn die juristische Transformation der Erde von Objekt zu Subjekt, wenn mehr Gesetze zu verabschieden nicht zielführend sind, dann hilft es, unsere Wahrnehmung, unsere Behandlung der Erde zu verändern, in der dunklen Not zu reagieren und die Natur zu achten. Wir brauchen Licht, mehr Verständnis und mehr Vertrauen. Wir brauchen einen Paradigmenwechsel, einen erneuerten gesellschaftlichen Geist auf Erden, um in der Erkenntnis zu leben, dass wir Geschöpfe einander Geschwister sind. Der Fortschritt ist kein aufzuhaltender Prozess. Der menschengemachte Klimawandel ist es schon. Die verstellbare Schraube ist unser Umgang mit unseren Erkenntnissen. Wir sind heute am Zug, unser Wissen in Verantwortung zu transformieren. Kein:e Aymara, Quechua, Uru würde davon ausgehen, dass die Lebensgrundlagen grenzenlos sind und dass bloßes "Nehmen" ohne Konsequenzen bleibe. Sie verhalten sich als Teil zum Ganzen und beherzigen Würde und Recht der Erde.

Wer die Schöpfung bewahrt, achtet die Geschöpfe und schenkt Hoffnung. Kirche besitzt viele Gebäude und viel Land. Sie vermag bei sich selbst die sozio-ökologische Transformation anzufangen. Kirche hat zahlreiche Verbindungen in die Welt und ist vernetzt in unserer Gesellschaft. Sie vermag andere mit auf diesen Weg zu nehmen. Die Kirche beansprucht die Nachfolge. Möge sie Dialog schaffen und Vertrauen schöpfen! Lasst uns der Mutter Erde gedenken und den Schöpfer in der Schöpfung ehren!

evangelisch.de dankt der Evangelischen Mission Weltweit und mission.de für die inhaltliche Kooperation.