epd: Wie stehen denn die Chancen, dass es das "Grüne Band" auf die nationale Antragsliste schaffen wird?
Bernhard Stengele: Ich bin zuversichtlich. Aber ich weiß, dass es eng werden kann.
Warum das?
Stengele: Zum einen hat Thüringen ja gleich zwei Kandidaten am Start, für die wir um Zustimmung bitten - die Residenzkultur Thüringen und eben das "Grüne Band". Das könnte die Sache erschweren. Zum anderen habe ich schon festgestellt, dass die Idee und das Verständnis des "Grünen Bandes" umso mehr abnimmt, je weiter die Menschen von der innerdeutschen Grenze entfernt wohnen. Das sollten wir ändern. In Baden-Württemberg etwa oder Aachen ist die Erfahrung der friedlichen Revolution von 1989 eben oftmals sehr weit aus dem Bewusstsein verschwunden. Dabei geht es um Friedenssymbol mit Ausstrahlung weit über Europa hinaus.
Wie argumentieren sie dann?
Stengele: Das "Grüne Band" ist sowohl ein Natur- als auch ein Kulturerbe. Der ökologische Wert des 1.500 Kilometer langen innerdeutschen Grenzstreifens zwischen der Ostsee und der Grenze zu Tschechien ist recht leicht zu vermitteln. Hier wurde die Natur schließlich über 40 Jahre hinweg in großen Teilen sich selbst überlassen. Zwischen den Minen und den Selbstschussanlagen, dem Stacheldraht und den Wachtürmen ist ein fast einzigartig großer Biotopverbund von großer Artenvielfalt entstanden. Vor fünf Jahren ist dieses unersetzliche Rückzugsgebiet und Wanderkorridor für bedrohte Tiere und Pflanzen unter Naturschutz gestellt worden. Das ist der eine Aspekt.
Und es gibt auch eine kulturelle Komponente?
Stengele: Genau, ins Welterbe gehören kulturelle Leistungen, die einzigartig und beispielgebend sind. In diesem Sinne ist die innerdeutsche Grenze mehr als nur ein nationales Kulturmonument. Das wird sichtbar in den Resten der Grenzbefestigungen und den Grenzmuseen wie dem geteilten Dorf Mödlareuth an der thüringisch-bayerischen Grenze oder Schifflersgrund im Eichsfeld. Diese Relikte sind Zeugnisse einer einzigartigen historischen Entwicklung.
Der DDR-Todesstreifen als kulturelle Leistung?
Stengele: Nein, nicht die Grenzbefestigungen an sich, sondern vielmehr, was aus ihnen wurde. In der Erinnerungskultur auf Grundlage der historischen Substanz. Es gibt wohl kaum eine Revolution, in der eine solch mörderische Grenze ohne einen einzigen Schuss, ohne einen einzigen Toten abgerissen worden ist. An diese Leistung der ostdeutschen Gesellschaft müssen wir uns gerade in der heutigen Zeit mehr denn je erinnern. Gerade bauen wir doch die Mauern überall wieder auf.
Wenn wir davon ausgehen, dass die Kulturminister dem Vorschlag Thüringens folgen: Wie schätzen Sie die Chancen ein, dass das Unesco-Komitee diesen Vorschlag annimmt?
Stengele: Wir haben uns beim "Grünen Band" bislang stark auf die Entwicklung des Naturschutzes konzentriert. Es ist nicht auszuschließen, dass wir im weiteren Prozess den Antrag noch nachbessern müssen, wenn er denn angenommen wird. Dann könnte uns etwa aufgegeben werden, die Rolle der Museen oder die Standorte der Überbleibsel von Grenzbefestigungen stärker in dem Antrag zu betonen. Aber solche Nachbesserungen sind in dem Verfahren normal.
Und wenn schon in deutschen Regionen fern der innerdeutschen Grenze das "Grüne Band" und seine Geschichte auf Desinteresse stoßen, haben sie keine Angst, international für die Idee zu werben?
Stengele: Nein, vergessen wir beispielsweise nicht die europäische Dimension dieses Themas. Der Eiserne Vorhang zog sich ja von Finnland bis Bulgarien quer über den Kontinent. In Deutschland war die Grenze noch ein wenig aggressiver und bedrohlicher als in anderen Staaten. Aber gerade von ausländischen Besuchern erfahre ich viel Unterstützung für die Idee. Vor zwei Jahren etwa war einmal eine südkoreanische Delegation in Thüringen, nur um sich anzuschauen, wie wir mit der Grenze umgehen und wie die Region zusammenwächst - um Lehren für ihr eigenes geteiltes Land zu ziehen.