Für den Hausherrn, Pastor Bernd Schwarze, sind schräge Performances und allerlei merkwürdige Inszenierungen in seiner Kunst- und Kulturkirche nichts Neues, aber dass seine Besucher in St. Petri in Lübeck jetzt auch ihre Einkäufe tätigen, das überrascht ihn doch.
Für zwei Wochen wandelten sich die heiligen Hallen vierer Kirchen in Lübeck in ein Mini-Kaufhaus und boten Lebensmittel, Bekleidung und Möbel an. St. Jakobi, St. Petri, die Evangelisch-Reformierte Kirche und die Johann-Hinrich-Wichern-Kirchengemeinde wagten dieses Experiment. Doch zu welchem Zweck? Es ging dem Berliner Künstler und den beteiligten Firmen um die Frage, was Kirche und Kommerz eigentlich miteinander zu tun haben.
Wie ist es um den Geschäftssinn der Kirchen bestellt?
Ein Händchen für Finanzen haben kirchliche Entscheidungsträger auf jeden Fall, glaubt Schwarze, denn wann immer Geistliche die Köpfe zusammensteckten, redeten sie über Kirchensteuern, Personalgehälter und was denn mit den Moneten überhaupt noch zu finanzieren sei. Firmen zu finden, die sich an dieser Kunst-Aktion beteiligen wollen, war dagegen nicht einfach. Künstler Jankowski war schon Monate vorher in Lübeck, führte unzählige Gespräche und konnte längst nicht alle überzeugen. Den Unternehmen standen bei einem vergleichsweise hohen Aufwand nur geringe Einnahmeerwartungen gegenüber. Auch einige Mitglieder von Gemeinderäten hatten Bedenken. Sie fürchteten Beschwerden, andere fühlten sich mit dem organisatorischen Aufwand überfordert und hatten schlicht keine Zeit für ein zusätzliches Projekt.
"Es muss sich reiben, es muss sich ärgern"
Doch während viele zauderten, konnte es Schwarze nicht streitlustig genug sein: "Wenn ihr das zu milde macht, dann bin ich nicht dabei." Schwarze muss weniger Rücksicht nehmen, denn seine Stadtkirche hat keine eigene Gemeinde und ist immer für eine Provokation gut. "Es muss sich reiben, es muss sich ärgern. Das ist das Mindeste, was ich von einem Kunstprojekt erwarte", so der Pastor. Doch auch wenn er in einer teuren Möbelecke hockt: Was er nicht wolle, das sei ein abgehobener Diskurs in Zeiten, in denen sich nicht jeder ein Sofa leisten könne und mancher unter der Brücke schläft.
Die Besucher blieben nicht aus. "Einige stolperten einfach so in die Kirchen, andere kamen bewusst", sagte Frieda Zapf von der Overbeck-Gesellschaft. Die Gesellschaft zeigte vor der Kirchen-Aktion eine Videoinstallation mit Pastor:innen in den Geschäften, die später als Filiale in ihren Kirchen öffneten. Die Besucher sahen die Geistlichen, wie sie durch einen Bio-Supermarkt schlenderten oder ein Möbelhaus besuchten und von ihrem kirchlichen Alltag erzählten. So gewährten sie seltene Einblicke in ihre Glaubenswelt.
Die Reaktionen des Publikums in den Kirchen waren gemischt. Die Lübeckerin Ann-Kristin Zoike fand beim Shoppen die Ruhe, die es in Geschäften einfach nicht gibt. Ihr Supermarkt, erzählte sie, mache jetzt immer eine "Stille Stunde" und stelle Musik sowie Werbung ab genau wie Friseure einen "Silent Cut" ohne nervigen Smalltalk anbieten würden. Ihr Mann sinnierte über Kunst im Allgemeinen. Gute Kunstwerke verhandelten Grenzen immer wieder neu, sagte er, alles sei ein Kommunikationsprozess.
Lebensmittel in einer Kirche zu verkaufen, müsse dazu führen, diese Lebensmittel auch wertzuschätzen, glaubte eine andere Besucherin. Viele Menschen würden jeden Tag hungern, das rege sie zum Nachdenken über das Christentum an, über den Glauben und wie sich heute alles verändere. Sie erinnerte sich an die Wirren des zweiten Weltkrieges und wie viele Flüchtlinge aus ihrer Heimat vertrieben wurden. Der religiöse Glaube sei damals wichtig gewesen, auch die Flüchtlinge strömten in die Gottesdienste, und die Kirchen waren voll. "Man musste keine Tomatenkisten oder Sofas hineinstellen", so die Besucherin. Heute seien die Kirchen leer, die Menschen suchten ihr Seelenheil offenbar woanders. Wie denn die Kirchen wieder attraktiver werden könnten, wird die Frau gefragt. "Wenn ich das wüsste", sagte sie.
Ganz unumstritten sind die Aktionen von Jankowski nie. Der Künstler ist international aktiv und dafür bekannt, unterschiedlichste Lebenswelten miteinander zu konfrontieren. Schon 1992 ging er mit Pfeil und Bogen "auf Jagd" in einem Supermarkt. 2013 konnte er dann hochrangige Vertreter des Vatikans zu einem Jesus-Casting überzeugen.
Ein bisschen beten, ein bisschen shoppen - so einfach sei es nicht, sagte Jankowski. Was er nicht wolle, das seien Effekthascherei und eine billige Marketingaktion des Handels. "Ich glaube, dass die Welt eine bessere wäre, wenn Menschen sich freier aufeinander einließen." Wie also sieht eine erste Bilanz aus? Schwierig, so der Künstler. Die Medien jedenfalls hätten den Spirit seiner Kunstaktion nicht so recht einfangen können. Wo also lässt sich dieser sammeln? Als elitäres Kulturgut in den heiligen Höhen von St. Petri oder auf den Wühltischen des Handels?