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16. November, ARD, 20:15 Uhr
TV-Tipp: "Geburt der Drachenfrau – Der Usedom-Krimi"
Zu den Besonderheiten der 2014 gestarteten "Usedom-Krimis" gehört neben der stets formidablen Bildgestaltung und der exzellenten Musik auch der Mut, auf übliche Gepflogenheiten zu verzichten: Im 21. Film der Reihe wird der eigentlich doch obligate Mord erst kurz vor Schluss begangen.

Zu Beginn gibt es zwar auch einen Todesfall, doch die strafbare Handlung besteht in unterlassener Hilfeleistung: Eine Gruppe syrischer Flüchtlinge wird über die polnisch-deutsche Grenze geschmuggelt. Ein kleines Mädchen litt schon zuvor unter großen Schmerzen und verliert während der Fahrt in einem Transporter das Bewusstsein. Einer der Männer beschwört den Schleuser, zu einem Krankenhaus zu fahren, doch der weigert sich. 

Was nun passiert, spart der Film zwar aus, aber dafür verknüpft das Drehbuch die Handlung äußerst geschickt mit dem letzten Film (beide Drehbücher stammen von Dinah Marte Golch und Michael Vershinin), denn "Geburt der Drachenfrau" ist eine direkte Fortsetzung von "Friedhof der Welpen". Die Krimiebene dort war zwar in sich abgeschlossen, doch die wichtigsten Figuren wirken weiterhin mit. Das gilt nicht nur für den bodenständigen Tischler Jörn Scherer (Jörg Schüttauf), mit dem die ehemalige Staatsanwältin Karin Lossow (Katrin Sass) mittlerweile mehr als nur der Ausbau einer Scheune verbindet, sondern vor allem für dessen Tochter: Lara (Lilly Charlotte Dreesen) will nach wie vor eine alte Rechnung begleichen, verliebt sich aber ausgerechnet in die junge Komplizin (Ada Philine Stappenbeck) jenes Mannes, der indirekt für ihr entstelltes Gesicht verantwortlich ist.

Aussteiger Ivo Klose (Moritz Führmann) ist in den Wäldern untergetaucht, aber seit dem Verzehr eines Dachses schwer krank. Zu allem Überfluss fällt er schließlich in eine Grube, die er selbst gegraben hat. Das klingt zumindest nach Ironie, wenn nicht gar nach Schadenfreude, aber der Film bringt sogar ein gewisses Mitgefühl für diesen Mann auf, der sich seit geraumer Zeit auf den "Ernstfall" vorbereitet hat, weil er überzeugt ist, das gesamte System werde demnächst zusammenbrechen. 

Ein weiteres Merkmal der Reihe ist der regelmäßige Wechsel der Hauptfiguren. Karin Lossow ist zwar Dreh- und Angelpunkt, mitunter aber auch bloß teilnehmende Beobachterin, weil sich ein Drehbuch zum Beispiel auf die schwierige Beziehung von Ellen Norgaard (Rikke Lyllof), einst Nachfolgerin von Lossows Tochter als Kriminalhauptkommissarin, zu ihrer Mutter konzentriert; diese frühere Erzählung aus der Trilogie des Jahres 2021 greift das Drehbuch nun wieder auf, weil Patrizia (Marion Kracht) wegen einer lebensgefährlichen Erkrankung aus der Haft entlassen worden ist. Anstelle einer Aufklärung über die Hintergründe begnügt sich das Drehbuch mit einem einfachen optischen Hinweis, als die Frau einen walnussgroßen hellen Fleck aus einer Röntgenaufnahme ausschneidet. 

Im Mittelpunkt von "Geburt der Drachenfrau" steht jedoch Lara; der Titel bezieht sich auf eine großflächige Tätowierung, die sie sich auf den Rücken stechen lässt. Die Besetzung dieser Rolle mit Lilly Charlotte Dreesen war mindestens so gut wie die Entscheidung für Jörg Schüttauf. Die junge Schauspielerin mit dem ausdrucksstarken Gesicht hat ihr großes Talent bereits in der funk-Serie "Druck" (2018/19) und zuletzt in der Joyn-Serie "Katakomben" (2021) bewiesen.

Lara hat den Vater des verstorbenen Mädchens mitsamt dem Leichnam seiner Tochter auf einer Landstraße aufgelesen, aber Ahmad Bashmani (Yasin el Harrouk) weigert sich, der Polizei die Todesumstände zu erklären. Tatsächlich kriegt Lossows Neffe (Till Firit), kein einziges Wort aus ihm raus, obwohl er sehr behutsam mit ihm Mann umgeht. Die Frage ist allerdings, wen der Syrer mit seinem Schweigen schützen will: sich selbst oder die Schleuser? Was sich in dem Auto abgespielt hat, bleibt über den Schluss hinaus offen. Lara hat den Fahrer des Transporters zwar erkannt, aber der wird der Polizei keine große Hilfe mehr sein: Lossow wird Zeugin seiner Hinrichtung; dann endet die Episode mit einem ziemlich gemeinen Cliffhanger. 

Regisseur Grzegorz Muskala hat den Film mit exakt dem gleichen Team gedreht wie "Friedhof der Welpen", die Bildgestaltung (Micha? Grabowski) mit ihrem leichten Blaustich und einigen eindrucksvoll gefilmten Nebelszenen ist erneut ähnlich vorzüglich wie die diesmal allerdings wieder herkömmlich (also nicht mehr mit Orchester) eingespielte Musik von Colin Towns, dessen Kompositionen je nach Stimmung wirkungsvoll zwischen sanften und dramatischen Passagen mäandern.