Ganz gleich, ob es bloß tausend Schritte oder doch sieben Meilen sind, es gibt kaum einen treffenderen Appell an Toleranz und Großmut als ein Sprichwort der nordamerikanischen Ureinwohner: Man soll einen Menschen nicht beurteilen, bevor man nicht eine gewisse Strecke in seinen Mokassins zurückgelegt hat. Auf die elfte Episode aus der ARD-Reihe "Zimmer mit Stall" übertragen, müsste es allerdings heißen: bevor man nicht in seinem Rollstuhl gesessen hat.
Die eigentliche Handlung beginnt mit einer ruppigen Begegnung an der Tür zum Gemeindeamt: Bürgermeisterin Sophie Böhmler (Elena Uhlig) hat’s eilig, doch die Tür ist blockiert. Der Eingang für Menschen mit Behinderung sei auf der Rückseite, informiert Sophie den jungen Mann (Daniel Rodic), der sie erst mal belehrt, es heiße "Beeinträchtigung", und sich sodann darüber mokiert, dass Leute wie er die Hintertür benutzen müssen. Kurz drauf geraten die beiden noch mal aneinander.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Wie in einem Gleichnis folgt die Strafe auf dem Fuße: Weil immer wieder mal Ziegel vom Dach ihrer Pension fallen und der Dachdecker keine Zeit hat, errichtet Sophie eine halsbrecherische Konstruktion, um selbst nach dem Rechten zu sehen. Die Aktion geht prompt schief. Die unsanfte Landung hat schwerwiegende Folgen, vor allem für ihr Ego: Aufgrund diverser Blessuren an Arm, Bein und Wirbelsäule ist sie sechs Wochen lang nicht nur auf den Rollstuhl angewiesen, sondern auch auf die Hilfe anderer, was Rollstuhlfahrer Paul mit unverhohlener Befriedigung zur Kenntnis nimmt, als er gemeinsam mit Lebensgefährtin Lucija (Franziska Schlattner) in Sophies Pension einkehrt.
Seine Revanchegelüste sind damit allerdings noch längst nicht befriedigt. Das Pärchen hat eine einträgliche Betrugsmasche entwickelt: Entdecken sie eine Einrichtung, die nicht den Vorschriften genügt, weil zum Beispiel die Toiletten nicht behindertengerecht sind, gibt sich Lucija als Gewerbeaufsicht aus und kassiert ein fettes Bußgeld; Sophie soll nach Pauls Willen ordentlich für ihre Unhöflichkeit büßen.
Autoren sind wie schon beim ersten Film mit Elena Uhlig als Nachfolgerin von Aglaia Szyszkowitz wieder Holger Gotha und Philipp Weinges, aber Regie führte diesmal der mit so gut wie allen wichtigen Film- und Fernsehpreisen ausgezeichnete Rainer Kaufmann.
Die erzählerische Struktur ist zwar ähnlich episodisch wie zuletzt bei "Das Blaue vom Himmel", aber der Film wirkt trotzdem flüssiger. Mutig ist hingegen die Idee, die Hauptfigur konsequent negativ zu zeichnen. Natürlich ist Sophies Unleidlichkeit nachvollziehbar, aber als sich ausgerechnet Zwangsnachbar Barthl Fuchsbichler (Friedrich von Thun) bereiterklärt, ihr bei der Versorgung der Pensionsgäste beizustehen, stellt sich raus, dass sie als Arbeitgeberin völlig ungeeignet ist.
Clever nutzt das Drehbuch ein Ehepaar, um dieses unsympathische Persönlichkeitsmerkmal zu spiegeln: Die jungen Eltern (Hanna Plass, Flavius Hölzemann) geraten ständig aneinander, weil der Mann aus Sicht seiner Frau rund ums Baby alles falsch macht; genauso springt Sophie mit Barthl um. Die entsprechenden Auseinandersetzungen haben zur Folge, dass Tochter Leonie (Carolin Garnier) irgendwann seufzend feststellt, sie sei die einzige Erwachsene auf dem Fuchsbichlerhof.
Klugerweise haben Gotha, Weinges und Kaufmann dennoch darauf verzichtet, die Figuren mit eindeutigen Vorzeichen zu versehen: Pauls Haltung, eine Mischung aus Verbitterung und Selbstmitleid, ist ebenso nachvollziehbar wie Sophies Unzufriedenheit; ohne Unterstützung kommt sie nicht mal die Treppe hoch. Als sie dann auch noch in eine Falle Pauls tappt, ist auch ihr gesundes Bein nicht mehr belastbar. Selbst Lucija entpuppt sich als Frau mit Herz: Die Bulgarin hat einst Barthls Frau bis zu deren Tod gepflegt und bittet ihren Gefährten, auf seine Rache zu verzichten und die Pension zu verschonen.
Einzige durch und durch negative Figur ist wie gehabt der intrigante Maximilian Jungböck (Ferdinand Hofer), Sophies Konkurrent ums Bürgermeisteramt, der die Gelegenheit nutzen will, um sie abwählen zu lassen. Der Film, dessen Titel "Kuhhandel" allerdings etwas rätselhaft wirkt (der treffendere Arbeitstitel lautete "Sophies tiefer Fall"), hat zwar seine komischen Momente, ist aber trotzdem nicht in erster Linie Komödie. Für Heiterkeit sorgen vor allem Uhligs Slapstick-Einlagen, die angesichts der schmerzhaften Folgen eigentlich nicht lustig, aber witzig inszeniert sind. Hörenswert wie stets ist die muntere Musik der "Bananafishbones"-Brüder Sebastian und Peter Horn.