Ein wichtiges Thema ist die Glaubwürdigkeit der Kirche. Anna-Nicole Heinrich sagt: "Glaubwürdig Kirche zu sein, mit einer klaren Botschaft, an der man sich messen lassen kann, das geht nur, wenn wir mit dem schrecklichen Leid und Unrecht, das inmitten unserer Institution geschehen ist, entschieden und transparent umgehen. Die Unterstützung betroffener Personen, unabhängige Aufarbeitung und flächendeckende Prävention müssen dabei im Mittelpunkt stehen." Um glaubwürdig Kirche sein zu können, sei aber auch ein entschiedener und transparenter Umgang mit der Aufarbeitung sexualisierter Gewalt notwendig, so die Präses, die auch Mitglied des Beteiligungsforum Sexualisierte Gewalt ist.
"Als Synode haben wir in den vergangenen Jahren in verschiedenen Formen und Beschlüssen immer wieder zum Ausdruck gebracht, dass wir keinerlei Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung und Formen der Diskriminierung tolerieren", sagte Heinrich. Auch für die Synodentagung in Ulm wurde ein eigenes Schutzkonzept erarbeitet. Erstmals wurde während der Tagung ein Awareness-Team eingerichtet, das für alle Synodalen und Teilnehmenden der Tagung ansprechbar ist und als Melde- und Clearingstelle tätig ist.
Wichtig sei auch die Offenheit der Kirche. "Wer von geistlicher Stärkung, ja von Empowerment spricht, von einer Gemeinschaft, die Glaube teilt, ihn erfahrbar macht und sich dazu gegenseitig ermutigt, der muss sich auch immer wieder die Frage gefallen lassen, wie offen diese Gemeinschaft ist", sagt Heinrich. Sie fragt: "Wer wird in den Blick genommen und wer nicht? Gibt es auch unter uns Mechanismen der Abwertung anderer? Gehen auch von uns diskriminierende Verhaltensweisen aus?" Wenn sich die Evangelische Kirche als missionale Kirche versteht, "dann müssen wir offen sein und Vielfalt zulassen", sagt Heinrich.
Sprach- und handlungsfähig werden
Schließlich ist die Sprach- und Handlungsfähigkeit ein zentrales Thema. "In dieser krisenhaften Welt sprach- und handlungsfähig zu glauben, heißt auch, den Mund aufzumachen für die Stummen. Mutig auf die hinzuweisen, deren Würde verletzt wird, die sonst übersehen werden. Für die Festsetzung des neuen Schwerpunktthemas für die 5. Tagung im kommenden Jahr schlagen wir als Thema 'Flucht und Menschenrechte' vor", berichtet Heinrich.
Auf die Sprachfähigkeit käme es insbesondere dann an, "wenn wir uns außerhalb unseres vertrauten kirchlichen Umfelds bewegen, wenn wir unseren "Safe Space" verlassen. Wenn wir da vom Glauben reden, wo es nicht mehr erwartet wird oder eben nicht selbstverständlich ist." Sprachfähig zu sein bedeute, auf Fragen, Zweifel oder erste Versuche eingehen zu können, eine hörende und dialogorientierte Kirche zu sein. "Sprach- und Handlungsfähigkeit im Glauben heißt gerade nicht, sich mit sich selbst zu beschäftigen, sondern sich aus dem Glauben heraus, klar mit Bezug auf die Botschaften des Glaubens verständlich, wahrnehmbar einzubringen und Position zu beziehen. Reden und Handeln gehören dabei untrennbar zusammen."
Für sie persönlich komme dem Gebet eine besondere Bedeutung zu: "Weil Gebet für mich der Ort ist, an dem ich Sachen zusammenbringe, die ich sonst nicht zusammenbringen kann, die oft in einer eigentlich unzusammenbringbaren Spannung stehen."
Zuversicht gewinnen können
Die Präses der Synode der EKD betont, dass Umbrüche und globale Krisen derzeit alle umtreiben: "Die Pandemie, der Krieg gegen die Ukraine, der Krieg im Nahen Osten und durchgängig aufdringlich die Klimakrise. Der Weg hin zu einer klimaneutralen Gesellschaft, die Transformation unserer Wirtschaft, der Wandel unserer Lebensweise ist mit Zumutungen verbunden, wirft Fragen auf und führt bereits jetzt zu Konflikten." Die Bibel sei voll von Geschichten des Wandels, der Umkehr, des Neuanfangs. In ihnen würden Menschen Gott begegnen und Hoffnung schöpfen, Zuversicht gewinnen und Neues wagen können.
Gerade in Zeiten des Umbruchs, der Veränderung, der zahlreichen Herausforderungen müsse Kirche in der Gesellschaft präsent, spürbar und wahrnehmbar bleiben. Gerade dann könne die Botschaft der Kirche eine andere sein, "die Hoffnung schöpfen lässt, die Mut zur Veränderung schenkt", sagt Heinrich.
Anna-Nicole Heinrich plädiert: "Ich bin überzeugt, als Christ:innen haben wir aus unserem Glauben heraus viel in unsere Gesellschaft einzubringen. Sprach- und Handlungsfähigkeit im Glauben heißt gerade nicht, sich mit sich selbst zu beschäftigen, sondern sich aus dem Glauben heraus, klar mit Bezug auf die Botschaften des Glaubens verständlich, wahrnehmbar einzubringen und Position zu beziehen". Für Präses Heinrich gehörten Reden und Handeln dabei untrennbar zusammen. Ihr geht es nicht nur um die Frage: "Was haben wir zu sagen?", sondern auch um die Frage "Was sagt unser Handeln aus?".
Heinrich will auf der Synode darüber sprechen, wie eine Kultur der Ermutigung und Befähigung, über den eigenen Glauben zu sprechen, aus dem eigenen Glauben zu handeln, verstärkt werden könne. Dabei stellt sie sich folgende Frage: "Aber wie können wir als Kirche unsere christliche Botschaft – unser Reden von Gnade, Rechtfertigung, Versöhnung, Sünde oder Erlösung – verständlich und authentisch gestalten? Wie unterstützen wir uns gegenseitig und andere darin, individuell und in Gemeinschaft aus dem Glauben zu leben und die gute Botschaft weiterzugeben? Wie gelingt es, geistliche Ressourcen weiter aufzubauen und zu mobilisieren?
Anna-Nicole Heinrich ist davon überzeugt, dass die Stimme der Kirche umso überzeugender ist, je klarer sie in den heilsvollen Erzählungen der Bibel gründe, je authentischer sie mit der persönlichen Glaubensüberzeugung übereinstimmt und je praktischer sie sich im eigenen Engagement widerspiegele.
#glaubensstark
Ganz konkret geht es der Präses der Synode darum, Menschen zu ermutigen, öffentlich über ihren Glauben zu sprechen. Mitte Oktober wurde deshalb die Aktion #glaubensstark gestartet. Über die sozialen Medien wurde gefragt, wann, wie und wo Menschen über ihren Glauben sprechen. "Was glaubst du eigentlich?"