Tim Seebach (Oliver Mommsen) hat seinen Zenit womöglich gleichfalls erreicht: Der Held der Krimiserie "Der Lux" ist in die Jahre gekommen. Bislang hat er waghalsige Stunts stets selbst ausgeführt, nun besteht die Versicherung auf einem Double. Nach einem Skateboard-Unfall braucht Seebach eine Auszeit und besucht seine Mutter (Angelika Thomas). Die alte Dame lebt in dem beschaulichen Wilhelmshavener Viertel Westerfleth und klagt gern über allerlei eingebildete Wehwehchen. An ihrem Ableben kurz drauf kann allerdings kein Zweifel bestehen. Da Hedi Seebach kerngesund war, ist der Sohn überzeugt, sie sei vergiftet worden.
Bereits der Auftakt mit einer witzigen und sehr flott gefilmten Szene über die Dreharbeiten der Serie gibt den heiteren Tonfall dieser neuen Freitagsfilmreihe vor. Der Titel "Mord oder Watt?" lässt zwar ein weiteres Kapitel des kaum noch überschaubaren Genres "Morden im Norden" erwarten, aber auch dank André Erkaus Umsetzung ist die Premiere, "Ebbe im Herzen", ein überaus kurzweilige, sehr sympathische und mit großer Spielfreude dargebotene Krimikomödie.
Schon allein die Idee, den TV-Star und die zuständige Polizistin unter einem Dach leben zu lassen, führt zu vielen lustigen Momenten: Wiebke Tönnessen (Antonia Bill) ist Mieterin von Timms Mutter und darf deren Bad benutzen, so lange ihr eigenes renoviert wird, was zur Folge hat, dass sie ständig unverhofft in der Wohnung auftaucht; unter anderem gleich zu Beginn, als der Schauspieler die Nummer des Notrufs wählt und Wiebke dank der Rufumleitung Sekunden später am vermeintlichen Tatort erscheint.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Das fröhliche Potenzial der gemeinsamen Szenen von Oliver Mommsen und Antonia Bill resultiert nicht zuletzt aus der vermeintlichen Expertise des Fernsehkommissars (156 gelöste Fälle!). Der Exitus seiner Mutter erinnert ihn frappierend an die "Lux"-Episode "Der blaue Tod". Weil sich Seebach stets akribisch auf die Dreharbeiten vorbereitet, verfügt er tatsächlich über ein profundes kriminalistisches Wissen, wie Wiebke zähneknirschend einräumen muss. Trotzdem will sie sich nicht von einem Schauspieler ins Handwerk pfuschen lassen, was sie ihn immer wieder spüren lässt; ihre bissigen Bemerkungen triefen geradezu vor Süffisanz, weshalb "Ebbe im Herzen" mindestens so sehr romantische Komödie wie Krimi ist.
Außerdem führt das Drehbuch (Michael Gantenberg und Lars Albaum) eine weitere Hauptfigur ein, die allerdings zum Kreis der Verdächtigen gehört: Hannah Lübker (Ulrike C. Tscharre) führt ein Restaurantschiff, das ihr nun allein gehört, als kurz nach Hedi auch Hannahs Gatte das Zeitliche gesegnet. Der Doktor (Nikolaus Okonkwo) diagnostiziert zwar erneut einen Herzinfarkt, doch für Tim kann es keinen Zweifel geben: Seebestatter Lübker ist ebenfalls vergiftet worden, wie eine Untersuchung seines bevorzugten Likörs tatsächlich bestätigt. Dummerweise fühlt sich der Schauspieler ganz erheblich zu Hannah hingezogen, aber selbst das passt ins Bild; es wäre bei weitem nicht das erste Mal, dass sich ein Ermittler in eine Frau verliebt, die sich als Täterin entpuppt.
Neben der abwechslungsreichen Krimihandlung erfreut das Drehbuch vor allem durch viele muntere Dialoge, an denen die Mitwirkenden spürbar Freude hatten. Leitragender der Scherze ist meist Seebach ("außen Lux, innen Bambi"), zumal ihn zu allem Überfluss ein weiblicher Fan mit ihrem Lieblingsarzt aus der Serie "In aller Freundschaft" verwechselt, aber rund um die Figur entwickelt die Geschichte auch eine nachdenkliche Seite: Der Titel "Ebbe im Herzen" ist eine Anspielung auf den Seelenzustand des eitlen TV-Stars, der vor lauter Ich-Bezogenheit zum Beispiel nie mitbekommen hat, dass Wattkutscher Erik (Niels Bormann), sein Freund aus gemeinsamen Jugendtagen, schwul ist.
Aller Popularität zum Trotz ist Tim einsam; echte Zweisamkeit erlebt er nur in den berührenden Zwiegesprächen mit der Mutter, die ihm immer mal wieder erscheint. Das klingt zwar nach Klischee, aber auch auf dieser Ebene findet Erkau genau den richtigen Tonfall. Die Fortsetzung, "Eine Hand voll Austern", ist bereits abgedreht.