Malerin Rita Kasimow Brown
© farbfilm Verleih
Die Malerin Rita Kasimow Brown macht bei dem ungewöhnlichen Schönheitswettbewerb "Miss Holocaust Survivor" mit.
Misswahlen für Shoah-Überlebende
Dokumentarfilm würdigt Leben betagter Jüdinnen
"Miss Holocaust Survivor" heißt dieser einzigartige Schönheitswettbewerb aus Israel. Die Teilnehmerinnen sind Jüdinnen aus einem Seniorenheim in Haifa. An diesem Donnerstag kommt darüber ein Dokumentar-Film in die Kinos. Er zeigt in eindrucksvollen Porträts die betagten Damen und ihre Freude am Leben.

Um es gleich vorweg zu nehmen. Ja, der Titel provoziert und der Wettbewerb ist auch in Israel nicht unumstritten. Aber dieser Dokumentarfilm ist so gestaltet, dass einem das Herz aufgeht. Denn diese betagten alten Damen, die in einem Altersheim in Haifa leben, haben nicht nur alle den Holocaust in Europa überlebt. Regisseur Radek Wegrzyn ist es gelungen, eindrucksvolle Porträts am Rande der Bühne einzuholen. Die kleinen liebenswerten Macken der Frauen und ihre Begeisterung für das Leben. Die älteste der Jüdinnen ist Tova Ringer – sie ist mittlerweile 100 Jahre alt und geht noch immer täglich ins Fitness-Studio.

Der Heimleitung gelingt es in langen Gesprächen, ein gutes Dutzend Frauen zwischen 77 und 93 Jahren für die Wahlen zu begeistern. Es geht um die inneren Werte. Mit der Aktion werden sie gewürdigt für ihr Lebenswerk. Wie sie geworden sind nach der Shoah. Die ganze Vorbereitung ist eigentlich wie eine Therapie. Es geht um Ablenkung, darum, die schönen Seiten des Lebens zu genießen. Denn alle Shoah-Überlebenden werden heute von ihren Traumata heimgesucht. Die betreuende Trauma-Psychologin sagt, dass diese Verletzungen so tief liegen, dass man sie nicht therapieren kann. Man muss mit diesen Schatten leben.  

An sieben Tagen bereiten sich nun die alten Damen auf den großen Auftritt der Misswahl vor. Die betagten Jüdinnen lernen, wie sie Kontakt mit dem Publikum aufnehmen. Wie sie sich auf der Bühne bewegen und verbeugen. Sie suchen ihre schönsten Kleider aus, essen zusammen und tauschen sich aus.

Behutsam zeigt der Regisseur in Rückblenden auch die dunkle Seite in der Kindheit und Jugend dieser Frauen. Nach der Shoah haben sie Familien gegründet, sind nach Israel ausgewandert. Tova kam 1948 nach Israel mit 25 Jahren.

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Die weit über 80-jährige Rita Kasimow Brown gründete in den USA ihre Familie. Sie kam sie erst im Alter nach Israel. Rita hatte mit ihrer jüdischen Familie die Verfolgung in Polen in einem Versteck überlebt. 18 Monate lang lebte sie in einer Erdgrube in einem Stall. Die Achtjährige saß dort neben ihrer Mutter, ihrem Bruder und ihrem Vater. Es fühlte sich an wie ein Grab, sagte sie in der Rückblende.

Diese existentielle Erfahrung, dass Rita Familie jederzeit entdeckt und getötet werden konnte, erfasste auch das kleine Mädchen. In dieser Enge unternahm das Mädchen einen Suizidversuch – als Achtjährige, weil sie nicht mehr leben wollte. Sie schluckte alle Knöpfe eines Kleidungsstücks, doch sie konnte gerettet werden. Und sie wollte leben und in der Welt sein. Ihre Befreiung erlebte sie wie ein Wunder. Heute arbeitet sie als Malerin. Die Sinnsuche hat alle Shoah-Überlebenden beschäftigt. Rita studierte jüdische Theologie, hat später als Therapeutin gearbeitet, bevor sie dann die Malerei für sich entdeckte.  

Der Kinofilm "Miss Holocaust Survivor" berichtet einfühlsam über einen Schönheitswettbewerb in Haifa.

Tova Ringer sagt, dass sie ihren Kindern nie von den Qualen im Konzentrationslager erzählt hat. Dabei hat sie drei Lager überlebt. Der ständige Hunger, dass sie verprügelt wurde, dass der Kommandeur mit ihr schlafen wollte - alles hat sie verschwiegen und in sich eingeschlossen. Sie konnte es ihren Kindern einfach nicht sagen, zu groß war der Schmerz. Aber eine Geschichte erzählt sie dann doch: wie der Lagerkommandant den Zahnarzt ankündigte. Tova hat einen schmerzenden Zahn. Als sie auf dem Behandlungsstuhl sitzt, ahnt sich nicht, was man ihr antun wird. Der Arzt zieht ihr alle Zähne ohne Betäubung. Sie wird ohnmächtig. 14 Zähne hat der Lagerarzt gezogen und den schmerzenden Zahn hat er drin gelassen, sagt Tova.

Im Alter hat Tova eine weitere Strategie gefunden, wie sie mit dem Gefühl des Ausgeliefertseins und der Schwäche umgeht. Sie geht täglich ins Fitness-Studio, um bei Kräften zu bleiben. Und so kommen einem diese alten Damen langsam näher. Man versteht, dass sich hinter mancher vermeintlichen Macke, eine Geschichte steht.

Regisseur Radek Wegrzyn ist es gelungen, diesen Holocaust-Überlebenden seinen Respekt zu zollen - mit all den kleinen Geschichten, die er eingeflochten hat. Und wenn diese Frauen im Bus zum Auftrittsort ein jüdisches Lied singen oder sie in einer Limousine abgeholt werden, dann freut man sich mit den Frauen. Zum Auftritt der Misswahlen kommen übrigens alle Familien der Frauen. Am Ende gibt es einen tosenden Applaus für die Teilnehmerinnen. Der Film ist eine Hommage an die Frauen. Und am Abend blickt man anders auf das Leben.