© Getty Images/iStockphoto/vicnt
7. November, ZDF, 20:15 Uhr
TV-Tipp: "Ich bin! Margot Friedländer"
Mit über hundert Jahren ist Margot Friedländer geistig immer noch hellwach. Auch körperlich scheint sie bemerkenswert rüstig zu sein; beides ist ein Phänomen. Das größere Wunder hat sich jedoch vor achtzig Jahren zugetragen: Sie ist Jüdin und hat den Holocaust überlebt, mit Glück natürlich, aber vor allem dank der Unterstützung von Menschen, die ihr eigenes Leben riskiert und sie versteckt haben.

Wer wäre geeigneter als Raymond Ley, Margot Friedländers Geschichte zu erzählen. Der vielfach ausgezeichnete Autor und Regisseur hat gemeinsam mit seiner Frau Hannah Ley 2014 den Grimme-Preis für das Doku-Drama "Eine mörderische Entscheidung" (ARD) über die Bombardierung von Kunduz (2009) bekommen. Dank Filmen wie zuletzt unter anderem "Schuss in der Nacht – Die Ermordung Walter Lübckes" (2020) gehören die beiden seit vielen Jahren zu den wichtigsten filmischen Chronisten der jüngeren und älteren deutschen Zeitgeschichte. 

Eins der besten Werke des Ehepaars ist "Meine Tochter Anne Frank" (2015) mit der damals praktisch unbekannten Mala Emde als Hauptdarstellerin. Die Grundzüge der Handlung von "Ich bin! Margot Friedländer" sind gänzlich andere, aber natürlich gibt es angesichts von Margots Erlebnissen einige Parallelen. Dass Ley für die zum Teil winzigen Rollen der Helferinnen und Helfer prominente Mitwirkende wie Iris Berben, Axel Prahl und Herbert Knaup gewinnen konnte, unterstreicht die Bedeutung des Themas.

Ungleich entscheidender war jedoch die Besetzung der Titelrolle. Erneut hat sich Leys Gespür als goldrichtig erwiesen. Julia Anna Grob, zuletzt bereits sehr positiv als junges Alter Ego der Heldin in der ZDF-Mystery-Serie "Der Schatten" aufgefallen, verkörpert sowohl die jugendliche Unbedarftheit wie auch das erzwungene Erwachsenwerden sehr glaubhaft. Als Margots Mutter (Hannah Ley) und der kleine Bruder deportiert werden, ist sie auf sich allein gestellt, um dem Vermächtnis ihrer Mutter gerecht zu werden: "Versuche, dein Leben zu machen"; so lautet auch der Titel von Margot Friedländers 2008 erschienener Autobiografie. 

In anderen Produktionen dieser Art sind die Spielszenen oft nur Ergänzung des dokumentarischen Materials, bei Ley ist es andersrum. Regelrecht verblüffend ist die Kombination der beiden Ebenen, denn er nutzt seine Hauptdarstellerin buchstäblich als Projektionsfläche: Die zeitgenössischen Bilder spiegeln sich in Grobs Antlitz. Zwischendurch bedient sich Ley typischer Bühnenszenen, wenn Margot im Traum von einer verschlossenen Tür zur nächsten irrt. Auch das hat seine Bewandnis: Zu Beginn, 1939, arbeitet sie als Statistin und Kostümgehilfin am Theater des Jüdischen Kulturbunds; die entsprechenden  Aufführungen bescheren Charly Hübner einige heitere Auftritte als Alfred Berliner, dem Star des Ensembles. 

Im Theater ist Margot auch zum ersten Mal Stella Goldschlag (Luise von Finckh) begegnet. Die junge Frau wird in der irrigen Hoffnung, ihre Mutter retten zu können, Spitzel für einen Gestapo-Mann. Die Momente, in denen der Nazi ihr Gewalt antut, um ihren Widerstand zu brechen, gehören zu den bedrückendsten des Films und sind nur schwer auszuhalten. Während Ley keinen Hehl daraus macht, wie verabscheuungswürdig dieser Faschist ist, weckt er für die sogenannten Greifer zumindest ein gewisses Verständnis; die jüdischen Kollaborateure halfen der Gestapo, untergetauchte Juden ausfindig zu machen.

Nach 15 Monaten im Untergrund wird Margot im April 1944 schließlich doch noch verhaftet und nach Theresienstadt deportiert. Auch dafür findet der Film starke Bilder: Anstatt Szenen aus dem Lager nachzustellen, lässt Ley seine Hauptdarstellerin durch die heutigen Ruinen wandern. 

Bei allem Respekt für die einfallsreichen und auch handwerklich sehr gelungenen Verknüpfungen der verschiedenen Zeitebenen sowie die große Kinomusik (Hans P. Ströer): Es ist vor allem die Mitwirkung von Margot Friedländer, die diesen Film zu einem herausragenden Werk macht. Sie ergänzt die Handlung mit ihren Aussagen, setzt aber auch rote Linien: Nicht alle, die sie versteckten, haben uneigennützig gehandelt.

"Der Mann war das Problem"; mehr wird sie dazu nicht sagen. Ähnlich klar ist sie in ihrer Mission: "Ich will für alle sprechen, die man umgebracht hat." Nicht nur für die sechs Millionen Juden, sondern auch für die vielen anderen, die ermordet wurden, weil sie anders gedacht haben und weil "Menschen sie nicht als Menschen anerkannt haben." Das Doku-Drama endet mit der Begegnung von Gegenwart und Vergangenheit, als die alte Dame auf die junge Frau trifft, die sie verkörpert.