Tabletten auf einem Ultraschallbild
© epd-bild/Heike Lyding
Für viele Frauen ist ein Schwangerschaftsabbruch ein echtes Dilemma. Denn nach wie vor ist er in Deutschland rechtswidrig. Das Evangelische Literaturportal stellt drei Bücher zum Thema vor.
Blick in die Literatur
Buchtipps zum Thema Abtreibung
Kaum ein Thema wird so kontrovers diskutiert, wie die Abtreibung. Das Evangelische Literaturportal stellt heute drei Titel vor, in denen Betroffene selbst berichten, einen Einblick in die Beweggründe geben, in ihre persönlichen Lebensumstände, in die Details eines Abbruchs und auch in die weiteren Auswirkungen, die die Entscheidung für ihre Leben hatte.

Ich muss darüber sprechen

Die Autorin hat abgetrieben und beschreibt die komplexe Erfahrung individuell und gesellschaftspolitisch

Mit 23 und Spirale, in prekärer Lage wird die Autorin 2018 ungewollt schwanger. Sie beschreibt anschaulich und nachvollziehbar, was in ihr vorgeht. Im Rahmen des Trauerprozesses findet sie die Kraft zur Darstellung ihres persönlichen Umgangs sowie zur Auseinandersetzung mit statistischen Befunden, abstrahierenden Theorien und den Erfahrungsberichten ihres Umfelds. Die aus französischer Perspektive genannten Befunde werden in Fußnoten mit den deutschen angereichert. Eine gute Lösung. Die Infragestellung gängiger Diskurse gelingt überzeugend. Das Bändchen ist schmal, thematisch sinnvoll in Kapitel aufgeteilt, gut lesbar und geht nahe.
Mutig, beherzt, unprätentiös und in kritischer Distanz zu sich selbst schreibt die Autorin sich von der Seele, was gesagt werden muss. Ausgewählte Literatur und aussagekräftige Quellen ergänzen den Band um weitere Hinweise auf lesenswerte Literatur wie wissenschaftliche Zugänge zum Thema.
Für alle, die sich - mit anderen Menschen - über Frausein in der modernen Gesellschaft auseinandersetzen wollen. Ebenso für jene, die eine Identifikation suchen oder eine neue, bereichernde Perspektive kennenlernen wollen.
Frauke Thees

Harmange, Pauline: Ich muss darüber sprechen. Die Geschichte meines Schwangerschaftsabbruchs. Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verl. 2023. 127 S. ISBN 978-3-499-01156-6, geb.: 12,00 €

Das Ereignis

Detaillierter Bericht über eine illegale Abtreibung im Frankreich der 1960er Jahre

Die 23-jährige Studentin Annie ist schwanger und weiß, sie kann und will das Kind auf keinen Fall bekommen. Doch an wen kann sie sich wenden? Zwar hat sie von "Engelmacherinnen" gehört, doch wo kann sie diese finden, wie Kontakt aufnehmen? Obwohl das Buch sehr schmal ist, lässt es nichts aus: die skeptischen Blicke der Kommiliton:innen, von denen Annie sich plötzlich abgeschnitten fühlt, einen selbst durchgeführten Abtreibungsversuch mit Stricknadeln, den "erniedrigenden Spießrutenlauf" bei verschiedenen empathielosen Ärzten, die ihr nicht helfen, die Abtreibung selbst auf der Toilette des Studentenwohnheims, die sie in Lebensgefahr bringt. Weil sie zu viel Blut verliert kommt sie in die Notaufnahme und wird dort  gefragt, warum sie so weit gefahren ist, schließlich wohne eine andere "Engelmacherin" doch in ihrer Straße. Der Bericht ist tief beeindruckend und - gerade weil er so persönlich ist - hochgradig politisch, denn er zeigt eindringlich, in welche Situationen junge Frauen geraten, wenn sie nicht selbst über sich und ihren Körper bestimmen dürfen.
Miriam Weinrich

Ernaux, Annie: Das Ereignis. Berlin: Suhrkamp 2022. 103 S. ISBN 978-3-518-47275-0, kt.: 11,00 €

(K)eine Mutter

Jeanne Diesteldorf bricht mit dem Tabu: In der Sammlung "(K)EINE MUTTER" porträtiert sie Frauen, die abgetrieben haben

Jeanne Diesteldorf will einen Raum schaffen für die Stimmen, die in der öffentlichen Debatte um Abtreibung, zu kurz kommen: Frauen, die selbst diese Erfahrung gemacht haben. Gemeinsam mit der Fotografin Laura Wencker besucht sie die Protagonistinnen und erzählt von deren Erfahrungen. 12 Frauen in verschiedenen Lebenssituationen, verschieden in Alter, Beruf, Wohnort, nicht allerdings in ihrer Herkunft. Von der Entscheidung bis zum Tag des Abbruchs, von Selbstbestimmung bis hin zu Konflikten werden Erfahrungen sichtbar gemacht, so dass eine persönliche Annäherung an das Tabuthema jenseits von hitzigen Debatten möglich wird. Immer wieder kommen eindringlich die Hindernisse auf dem Weg zur körperlichen Selbstbestimmung zur Sprache: die unklare rechtliche Situation oder bürokratische Hürden etwa. Besonders beeindruckend ist die sensible Darstellung - stets respektvoll, nie voyeuristisch. Texte und Fotografien bilden dabei eine starke Einheit, ergänzt durch ein kluges Vorwort von Teresa Bücker.
Eine Bereicherung für alle Leser:innen, die weniger theoretische Inhalte als vielmehr neue Impulse suchen und ein hilfreicher, berührender Zugang zu einer hochrelevanten Thematik.
Sofie Fiebiger

Diesteldorf, Jeanne: (K)eine Mutter. Abtreibung. Zwölf Frauen erzählen ihre Geschichte. Köln: Kiepenheuer & Witsch 2021. 237 S. ISBN 978-3-462-00210-2, kt.: 14,00 €

evangelisch.de dankt dem Evangelischen Literaturportal Eliport für die inhaltliche Kooperation.