Die Offene Ganztagsschule - kurz OGS - in Bonn-Medinghoven betreut täglich mehr als 120 Kinder aus dem Umfeld der schmucklosen Siedlung am westlichen Rand der Stadt. Medinghoven gilt in Bonn als Problemviertel. Die Wohnungen in den meist fünf- bis sechsstöckigen Sozialbauten sind preiswert, oftmals viel zu klein für die Anzahl ihrer Bewohner.
Die OGS im Zentrum der Siedlung liegt gleich neben der Grundschule. Hier leben viele kinderreiche Familien, rund die Hälfte haben einen Migrationshintergrund. Ein typischer 1970er Betonbau beherbergt die Schule sowie die OGS – außen grau und abgewaschen, innen dagegen freundlich, bunt, hell und voller lärmender Kinder.
Kristina Hach, die Einrichtungsleiterin macht ihren Gefühlen Luft: "Wir möchten die Betreuung aufrecht erhalten, müssen aber kürzen, wenn die Gelder fehlen. Und ich frage mich, wie das alles gehen soll? Wir haben so ja schon kaum Zeit genug für die Kinder, hier gibt jeder sein Bestes."
Kinder aus einem sozialen Brennpunkt brauchen besonders viel Aufmerksamkeit und Betreuung. Der Betreuungs-Schlüssel liegt hier bei einer Fachkraft mit rund 25 Kindern. Das ist bereits jetzt eine große Herausforderung, viele Kinder stammen aus Problemfamilien mit zahlreichen Geschwistern und Eltern, die beide berufstätig sind. Ohne Ganztagsschule sind diese Kinder sich selbst überlassen.
"Wenn uns Gelder fehlen, müssen die Betreuungszeiten gekürzt werden", berichtet Kristina Hach, "was können wir sonst tun? Wir brauchen unbedingt Fachkräfte, Erzieher:innen und Sozialarbeiter:innen, die für die Herausforderungen hier gut ausgebildet sind. In der Siedlung gibt es Familien, die leben auf engstem Raum, mit acht Personen in einem kleinen Haushalt. Wenn wir deren Kinder nicht mehr umfänglich betreuen können, hat das für diese Familien katastrophale Auswirkungen!"
Wer heute kürzt, zahlt morgen drauf
Fachkräfte fehlen ohnehin in allen Berufssparten, in einem sozialen Brennpunkt noch mehr als anderswo. Aber gerade hier werden sie dringend gebraucht. Besonders in Zeiten multipler Krisen ist eine zuverlässige soziale Infrastruktur zur Stabilisierung der Gesellschaft von Nöten. Investitionen bei der Förderung von Kindern, in Bildung und Kinderschutz sind wesentliche Stabilitätsanker für den gesellschaftlichen Zusammenhalt in der Zukunft. Wer gerade hier spart, der riskiert noch mehr Spaltung, Ausgrenzung und sozialen Unfrieden.
Ulrike Schmitt, Leiterin für die Offenen Ganztagsschulen bei der Caritas in Bonn sieht das genauso: "Bei weiteren Kürzungen müssen wir den Personalschlüssel reduzieren. da wir aber mit den Mitarbeiter:innen vertragliche Vereinbarungen haben, müssten wir alternativ die Betreuungszeiten kürzen. Das geht in jedem Fall zu Lasten der Kinder beziehungsweise der Familien. Zudem können dann Zusatzangebote wie Hausaufgaben- und Ferienbetreuung, Sport- oder Bastelkurse, Ausflüge und vieles mehr nicht mehr stattfinden. Das alles können wir mit unserem eigenen Personal nicht stemmen, dazu beschäftigen wir zusätzlich Leute von außerhalb als Honorarkräfte. Der Betreuungsschlüssel in unseren OGS sollte bei 1 zu 25 liegen, de facto aber sind die Gruppen um einiges größer, oftmals mit mehr als 30 Kindern."
Ein Dominoeffekt, der die Krise nur noch verstärkt
Die OGS der Caritas in Bonn liegen im Bonner Süden, keineswegs in sozialen Brennpunkten. Dennoch kann es auch hier, in den Mittelschichtsstadtteilen, eng werden, wenn die Kinder nicht mehr vollumfänglich in der Ganztagsschule betreut werden können, berichtet Ulrike Schmitt. "Alleinerziehende Mütter oder Familien, in denen beide Eltern berufstätig sind, können dann möglicherweise ihren Job nicht mehr wie bisher ausführen. Aber angesichts der massiven Preissteigerungen bei Mieten und allen Produkten des täglichen Lebens sind sie ihr Einkommen angewiesen. Ein Dominoeffekt!", betont sie, "Auch für die Wirtschaft. Denn dann fehlen wiederum Menschen auf dem Arbeitsmarkt."
Geld fehle überall, ergänzt Ulrike Schmitt, nicht nur für Personal, auch für die Instandhaltung und Erneuerung der Schulgebäude. Am 19. Oktober fuhr sie mit rund 450 anderen Beschäftigten aus dem Sozialbereich von Bonn nach Düsseldorf, um gegen die Kürzungen zu demonstrieren. Über 22.000 Menschen haben an dem Tag gemeinsam vor dem Landtag auf die Konsequenzen dieser Entscheidungen aufmerksam gemacht. Ein Protest mit viel medialer Aufmerksamkeit.
Im Stadteilbüro läuft alles zusammen
Zurück in Bonn-Medinghoven: In einem der grauen Betonbauten befindet sich auch das Stadtteilbüro der Diakonie. "Bei uns läuft hier alles zusammen", berichtet Helmut Goebel, Leiter des Stadtteilbüros. "Wir erfüllen hier im Viertel eine Art 'Hausarztfunktion' für die Menschen in ihren komplexen Problemlagen. Hier vor Ort bieten wir Familien-, Schuldner-, Sucht- und Schwangerschaftsberatung an, aber es geht auch um Hilfe bei Wohnangelegenheiten oder dem Antrag von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe. Wir unterstützen beim Umgang mit Behörden und Institutionen. Die Leute kennen und vertrauen uns. Wenn wir unseren Dienst hier nicht mehr anbieten können, würden diese Menschen keine weiten Wege in die Innenstadt zu einer anderen, anonymeren Beratungsstelle auf sich nehmen. Ihre Hemmschwelle, sich zu öffnen, ist viel zu groß!"
Die Stadt plant, in Medinghoven ein Quatiersmanagement einzurichten. Aber ob dies vor dem Hintergrund der angekündigten Kürzungen noch finanziert werden kann, steht in den Sternen. Sozialberatung ist in NRW zu 100 Prozent kommunal finanziert. Bei den geplanten Sozialkürzungen ist es wie bei anderen Entscheidungen: Der Bund und das Land beschließen, die Kommunen zahlen.
"Stadtteilarbeit muss dort stattfinden, wo die Menschen leben. Unsere Beratung ist sehr personalintensiv und erfüllt vor Ort eine wichtige Funktion, auf die eine kluge und nachhaltige Politik nicht verzichten sollte. Kürzungen bei Sozial- und Migrationsberatung gehen enorm zu Lasten von sozialem Frieden und Integration", ergänzt Helmut Goebel, der seit Jahrzehnten im sozialen Bereich tätig ist und sich in der Sozialpolitik sehr gut auskennt.
Kristina Hach, die Leiterin der OGS in Medinghoven, ist enorm besorgt, wie es in der Zukunft weitergeht. Auch sie war auf der Demo vor dem Düsseldorfer Landtag und kann die Entscheidungen der Politik kaum nachvollziehen. Sie wirkt so, als ob sie den Tränen nahe ist: "Es ist auch eine Frage der Wertschätzung von Seiten der Politik für unsere Arbeit. Ich bin jetzt schon zehn Jahre in diesem Bereich tätig und die Arbeit macht mir Freude. Als ich nach dem Studium angefangen habe, war ich sehr engagiert – das bin ich im Grunde auch heute noch. Zugleich bin ich desillusioniert und traurig über diese Entwicklung. Aber auch sehr wütend! Gerade Menschen, die im sozialen Bereich arbeiten, identifizieren sich ja sehr mit ihrem Job. Sie machen es nicht, um Geld zu verdienen, sondern weil sie andere unterstützen wollen."