"Als ich einmal eine Wespe vom Pflaumenkuchen zuerst mit der Gabel verscheuchte und dann mit der Gabel um ihr Leben brachte", erinnert sich der evangelische Theologe Christoph Markschies: "bemerkte meine Großmutter: 'dieses Tierlein wird dich vor dem lieben Gott verklagen'." So weit ist es noch nicht mit dem Präsidenten der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, der sich - soweit an dem Abend erkennbar - guter Gesundheit erfreut. Aber Markschies weist darauf hin, dass es bereits seit dem 18. Jahrhundert mit der Ausbreitung des Pietismus eine gewisse Achtung gegenüber den Tieren als Mitgeschöpfen gab.
Es waren bibelkundige Bäuerinnen und Bauern, die ein gottgefälliges Leben führen wollten. Und dazu zählte für sie auch ein guter Umgang mit dem Vieh. Es zählt zu den pietistischen Erfindungen, dass man der Kuh und dem Pferd und dem Hund Namen gab, also eine persönliche Beziehung zu den eigenen Nutztieren entwickelte. Später übernahmen auch Prediger diese Geisteshaltung. Pars pro toto sei der pietistische Pfarrer Johann Wilhelm Flattich (1713–1797) erwähnt, der beim Essen auf dem Tisch kleine Speiseportionen verteilt haben soll, damit auch seine "Gäste", die Fliegen, speisen konnten.
Diese Geisteshaltung finde sich schon im Judentum, sagt Hanna Rheinz, Gründerin der Initiative Jüdischer Tierschutz. Ob nun im Mystizismus, in der Kabbala, oder anderen jüdischen Traditionen, schon lange werde das Tier als Du wahrgenommen. Und es werde dem Tier im Judentum Achtung entgegengebracht, ja sogar eine Rechtsstellung eingeräumt.
Schon in den 10 Geboten ist festgeschrieben, dass am 7. Tag nicht nur der Mensch, sondern auch das Vieh ruhen soll. Und Tiere können mehr sehen als der Mensch. Bileams Eselin sieht zumindest mehr als Bileam selbst. Während Bileam auf sein scheinbar störrisches Reittier eindrischt, nimmt die Eselin längst den himmlischen Boten auf dem Weg wahr und steht still. Sind Tiere dem Himmel vielleicht sogar näher als der Mensch?
Tiere weisen auf heilige Orte hin
Zumindest kommen sie gewichtig in den Religionen vor. Mira Sievers lehrt und forscht am Berliner Institut für Islamische Theologie der Humboldt-Universität zu Berlin. In Medina steht die Moschee des Propheten. "Der Ort wurde ausgewählt von der Kamelstute des Propheten. Die Moschee steht dort, wo sich die Kamelin das erste Mal niedergelassen hat", sagt Sievers. Der Prophet lässt sich von seiner Kamelstute nicht nur heilige Orte zeigen. Er sorgt auch dafür, dass es den Tieren besser gehen soll. "Der Prophet sagt: Tiere sollen nicht sehen, wie andere Tiere geschlachtet werden. Sie sollen nicht das Messer sehen. Man soll die Angst für sie vermeiden. Man soll nicht Tiere gegeneinander kämpfen lassen, etwa bei Hahnenkämpfen", so Sievers weiter.
Allerdings wissen wir nicht, ob Mohammed und seine Gefolgsleute zu regelrechten Tierschützern wurden. Bestimmt aber wurden sie nicht vor lauter Tierliebe zu Vegetariern. Mohammed aß, soweit wir heute wissen, Fleisch. Wie eben auch der Buddha. Dennoch hat sich in vielen buddhistischen Schulen bis heute eine große, vielleicht die größte religiöse Hochachtung vor Tieren herausgebildet. Das sieht man schon an den für alle Buddhisten weltweit geltenden Laienregeln. Es gilt das Tötungsverbot gegenüber Menschen wie eben auch Tieren.
"Die Zweite verbietet schon das Töten von Tieren. Die Dritte verbietet den Gebrauch von Wasser, in dem sich Kleintiere befinden könnten und die Vierte verbietet das Schlagen von Tieren, also Tierquälerei", sagt die Hamburger Buddhologin Carola Roloff. Die Hochachtung vor Tieren gehe sogar soweit, dass das eigene menschliche Leben nicht über dem der Tiere steht, wie sie gerade bei einem buddhistische Seelsorgertreffen per Zoom geschildert bekam: "Und da erzählte jemand von einer Dame aus Sri Lanka, die eine Herz-OP abgelehnt hatte, weil sie erfuhr, dass ein Tier für sie hätte sterben müssen. Da hat sie es vorgezogen, selbst zu sterben."
Tiere sind im Buddhismus gleichwertig
Und das aus dem Grund, dass Tiere von vielen Buddhisten als gleichwertig zu Menschen gesehen werden. "Dass wir die Tiere als empfindungsfähige Wesen sehen und es wird ihnen aus der Lehre des Buddhismus heraus auch das Erleuchtungspotential zugesprochen, dass Tiere auch die Buddhanatur haben", erklärt die buddhistische Nonne, die an der Akademie der Weltreligionen der Universität Hamburg lehrt. Aber Carola Roloff warnt vor Glorifizierungen, wie sie im Westen nur allzu gerne gemacht werden, als sei der Buddhismus die beste Religion der Welt. Denn Buddhisten sind weder alle lieb und friedliebend noch überzeugte Vegetarier. Immer aber gebe es das Bemühen, sich mit den Tieren in ein gutes Verhältnis zu setzen.
"Es gibt Erzählungen von meinem tibetischen Lehrer, der sagte, in Tibet haben sie nur von den Tieren gelebt. Was haben dann die Nomaden gemacht? Bevor sie ein Yak getötet haben, haben sie Mantras gesprochen, haben ihm eine gute Wiedergeburt gewünscht und dann möglichst schnell zugestochen und geschaut, dass es nicht so furchtbar leiden muss", sagt Roloff.
Tiere sind also nicht nebensächlich, sondern scheinen in allen Religionen einen wichtigen Platz einzunehmen, als Gesellen des Menschen und eben als Mitgeschöpfe eines gemeinsamen Schöpfergottes oder eines gemeinsamen Weltganzen. Man dürfe Tiere daher nicht als Objekte betrachten, sondern als Subjekte mit Gefühlen, denen man Mitgefühl oder zumindest Respekt entgegenbringen sollte. So könnte heute ein gemeinsamer Nenner der Religionen lauten, so die Quintessenz dieses Berliner Diskussionsabends.