Opfer der Feuersbrunst ist ein 15jähriges Mädchen, das kurz zuvor mit zwei Benzinkanistern über das Feld marschiert ist. Bente war laut ihrer Akte Pyromanin und lebte auf dem nahegelegenen Strandhof, dessen Besitzer schwierigen Kindern und Jugendlichen, die als "Systemsprenger" gelten, schon seit Jahrzehnten eine Zuflucht bieten.
Der mysteriöse Todesfall wäre als Krimihandlung vermutlich bereits reizvoll genug, aber tatsächlich nutzt Drehbuchautorin Martina Mouchot die Tragödie nur, um eine ganz andere Geschichte zu erzählen, die trotzdem eng mit dem schockierenden Vorfall verbunden ist. Zunächst stellt sich für das Potsdamer Kripoduo Maria Voss und Teo Kromann (Nina Kunzendorf, Godehard Giese) zwar die Frage, ob es sich bei Bentes Tod um Unfall, Mord oder Suizid handelt, aber schon das erste Aufeinandertreffen mit dem örtlichen Polizisten, Lars Klapproth (André Hennicke), lässt erahnen, dass lange zurückliegende Ereignisse bei den Ermittlungen eine immer größere Rolle spielen werden.
Nach und nach stellt sich raus, dass die Kommissarin in der Gegend aufgewachsen ist. Klapproth ist der Vater ihres Kindes. Kurz vor der Wende ist sie in den Westen geflohen. Als sie nach dem Mauerfall zurückkehrte, um die kleine Mathilde zu sich zu nehmen, war das Mädchen verschwunden. Die Spur verlor sich auf dem Strandhof.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Der besondere Reiz des Films liegt in der Verknüpfung der Gegenwart mit der Vergangenheit, und das gilt nicht nur für die Geschichte: Immer wieder lässt Regisseurin Lena Knauss die beiden Zeitebenen mit großem handwerklichen Geschick nahtlos ineinander übergehen (Schnitt: Anna Nekarda). Auch die Bildgestaltung (Valentin Selmke) ist eindrucksvoll. Nina Kunzendorfs Polizistin ist eine innerlich fragile, äußerlich jedoch kontrolliert wirkende Frau, die die Suche nach ihrer Tochter nie aufgegeben hat. Natürlich ist Marias persönlicher Bezug keine gute Grundlage, um den Fall unbefangen zu bearbeiten, zumal sie sich zunehmend obsessiv verhält; prompt bekommt sie Ärger mit ihrem Chef, weil sie die Ermittlungen für ihre eigene Agenda nutzt. Der empathielose Vorgesetzte ist die einzige Figur, die etwas überzeichnet wirkt.
Umso wohltuender ist die Gelassenheit, mit der Godehard Giese den loyalen Kollegen verkörpert. Der an Krebs erkrankte Teo kennt das Gefühl, wenn einzig die Hoffnung als letzter Strohhalm geblieben ist, aber irgendwann, rät er Maria, "muss Schluss sein." Knauss hat nach diversen Kurzfilmen 2019 ihr Kinodebüt ("Tagundnachtgleiche") und anschließend einen komplexen und ungemein interessanten Berliner "Tatort" gedreht ("Ein paar Worte nach Mitternacht", 2020).
Mouchot hat zuletzt unter anderem neben Drehbüchern für so unterschiedliche Reihen wie "Die Eifelpraxis" und "Der Bozen-Krimi" mit einem ungewöhnlichen "Tatort" aus Bremen beeindruckt: "Liebeswut" (2022) war ein Krimi mit gleich mehreren doppelten Böden. Für "Das Mädchen von früher" gilt das nicht minder, zumal Maria ständig zwischen Hoffen und Bangen schwebt: Gleich mehrere Frauen, die ihre Jugend auf dem Strandhof verbracht haben, sind unter ominösen Umständen ums Leben gekommen. Weil eine davon ihre Tochter sein könnte, lässt sie die Leichen exhumieren. Außerdem deutet einiges darauf hin, dass die Mädchen missbraucht worden sind; das könnte auch die Erklärung für den Tod Bentes sein. Aber was hat es mit dem Schlüssel auf sich, den sie verschluckt hat? Und falls Mathilde noch lebt: Wo mag sie sein?
Zumindest bei dieser Frage deutet sich irgendwann eine Antwort an, doch der Rest der Geschichte ist über weite Strecken völlig rätselhaft. Überdies erfreut "Das Mädchen von früher" durch diverse Details, die belegen, mit wie viel Liebe zum Detail Knauss und Mouchot den Film konzipiert haben. Als Maria vor Klapproths Haus steht, denkt sie daran, wie er sie in einem Zimmer eingesperrt und das Fenster mit Brettern vernagelt hat. Sie hat die hölzernen Fensterladen angezündet, um sich zu befreien; in ihren Augen spiegeln sich die imaginierten Flammen ihrer Erinnerung. Im Haus entdeckt sie eine Wand mit einer Chronik der letzten Jahrzehnte, nun wird sie von akustischen Eindrücken überflutet. Dank bewährter Kräfte in den Nebenrollen (Steffi Kühnert, Marie Anne Fliegel, Dietrich Hollinderbäumer) ist der Film auch darstellerisch sehr sehenswert.