"Darfst du denn auch Alkohol trinken?" - Annika Kringel hat bei Partys schon solche Fragen gehört. Wenn sie preisgibt, dass sie evangelische Pfarrerin werden möchte und wenn sie dann auch noch erzählt, dass sie in der Bezirksoberliga kickt, muss sie anfangen, Klischees wegzuräumen. Danach sage ihr Gegenüber oft, "du wirkst eigentlich doch ganz cool". Die 28-jährige Kringel wollte einen sozialen, sinnstiftenden Beruf ausüben. Mit ihrer Ausbildung ist sie nahezu fertig. Ein Examen fehlt noch. Zwölf andere Männer und Frauen stehen noch ganz am Anfang.
Man beginne in einem Umbruchprozess, stellt John Pohler fest, einer der neuen Vikare in der Landeskirche. Er macht seine ersten Erfahrungen in St. Gumbertus in Ansbach.
Anna Weingart gehört auch zu den Neuen. Sie hat vor Studienbeginn zwischen Philosophie und Theologie geschwankt "und dann das Gefühl gehabt, mit Theologie hast du zumindest noch irgendwelche Berufsaussichten". Im Studium sei sie mit ganz vielen Leuten zusammengekommen, für die klar gewesen sei, dass sie Pfarrerin oder Pfarrer werden wollten. "Und die waren so erstaunlich normal und erstaunlich nett." Das hat in ihr die Frage reifen lassen: "Warum eigentlich nicht?"
Erst im Alter von 15 oder 16 Jahren hat sich Stefanie Fischer mit dem Glauben und der Kirche auseinandergesetzt. In der zwölften Klasse sei dann ihre Religionslehrerin auf sie zugekommen, ob sie nicht Pfarrerin werden wolle. Fischer, die so gerne im Religionsunterricht über die Dinge nachgedacht hat und sehr gerne Jugendarbeit macht, fand den Vorschlag nach einigem Überlegen spannend. In Cadolzburg im Dekanat Fürth steigt die 25-Jährige nun in den Beruf ein.
Riesenschritt im schrumpfenden Raum
Sie und die elf anderen werden ein anderes Vikariat machen, als es Annika Kringel nun beendet. Die Landeskirche hat die Ausbildung umgestellt, die Dauer auf zwei Jahre verkürzt, erklärt der Personalreferent der Landeskirche, Stefan Reimers. "Das bedeutet nicht, dass dieselben Inhalte in kürzerer Zeit geschafft werden müssen, sondern dass auch die Inhalte im Vikariat angepasst worden sind." Ein zusätzlicher Effekt der Verkürzung ist, dass die neuen Pfarrer früher und mit Pfarrersold in die Gemeinden kommen. "In Zeiten mangelnden Nachwuchses sind dies durchaus Argumente im Wettbewerb um hervorragende Nachwuchskräfte", sagt Reimers.
In ihren Prüfungen werden die Vikarinnen und Vikare selbst Schwerpunkte setzen können. "Das Vikariat in Bayern macht im Moment einen Riesenschritt", sagt der Personalreferent. Die Landeskirche plant in den kommenden zehn Jahren im Schnitt mit 26 Vikarinnen pro Jahr. Dies wiegt bei Weitem die Zahl der Pfarrerinnen und Pfarrer nicht auf, die in den Ruhestand eintreten werden. Deswegen rechnet die Landeskirche damit, dass die Zahl der Pfarrerinnen und Pfarrer bis zum Jahr 2033 um bis zu 50 Prozent abnimmt.
Als Beobachter dieses Riesenschritts tritt Albrecht Meinel aus dem Erzgebirge sein Vikariat an. Der 29-Jährige aus der sächsischen Landeskirche soll in Bayern für seine Kirche nebenbei die reformierte Vikariatsausbildung unter die Lupe nehmen. In seiner Heimat ist der Mangel schon lange real: "Bei uns kommt seit 20 Jahren ein Pfarrer auf zehn Gemeinden", berichtet der Sohn eines Pfarrers. Die Menschen hätten sich nicht komplett von der Kirche abgewandt, meint Meinel, sie seien interessiert, aber "sie kennen die Sprache nicht mehr".
Vorbilder wecken Wunsch Pfarrer:in zu werden
Ein Praktikum im Berliner Segensbüro ließ bei Anna Weingart den letzten Zweifel verschwinden: "Die machen dort Übersetzungsarbeit von dem, was die Kirche eigentlich heute noch leisten kann, was aber nicht ankommt, weil es nicht verständlich kommuniziert wird." Oft sind es Vorbilder, die den Berufswunsch Pfarrer oder Pfarrerin haben reifen lassen. Mathias Litzenburger hat in seiner Jugend in Gelsenkirchen einen Pfarrer gekannt, der den Schlüssel zur Kapelle im ehemaligen Parkstadion besaß. Für das Gemeindeleben, aber auch für ein Fußballstadion zuständig zu sein, sei eine spannende Sache gewesen. "Fußball hat ja selbst ganz viel mit Liturgie zu tun" und hat eine religiöse Dimension, sagt Litzenburger. "So kann nicht jede Gemeinde sein, aber ich glaube, so kann eben Kirche auch sein."
Dass die Bedeutung der Kirche in der Gesellschaft abnimmt, ist den zwölf neuen Vikarinnen und Vikaren klar. "Es ist so völlig normal für mich. Ich bin damit aufgewachsen", sagt Weingart. Für ihre Generation sei das ein befreiendes Wissen. "Wir gehen da ran mit: Ja, wir schrumpfen, und jetzt gucken wir mal, was wir daraus noch machen können."
Profil und Konzentration
Die bayerische evangelische Landeskirche reagiert mit dem Reformprozess "Profil und Konzentration", einem neuen Zusammenspiel der verschiedenen Berufsgruppen und der Ehrenamtlichen und eben mit dem neuen Vikariat auf die Entwicklungen. Die neue Ausbildung werde den angehenden Pfarrern "mehr Freiheit, mehr Möglichkeiten und mehr Förderung bieten - und damit auch unserer Kirche besser dienen", sagt Oberkirchenrat Reimers.
Anne Weingart spürt darin Vertrauen, das der angehenden Pfarrerin entgegengebracht wird. "Weil wir in diesem Vikariatskurs einerseits Versuchskaninchen sind und andererseits mitgestalten dürfen". Kirche werde nicht mehr als selbstverständlich empfunden. Daher müsse "wirklich alles hinterfragt werden". "Wir müssen uns darüber klar werden, was trägt noch und was trägt vielleicht auch nicht mehr."