Sehr geehrte Präses Heinrich,
lieber Kirchenpräsident Jung,
lieber Direktor Bollmann,
lieber Oberkirchenrat Bräuer,
liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Gemeinschaftswerkes der Evangelischen Publizistik,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
die evangelische Publizistik hat eine beachtlich lange Geschichte. Sie reicht zurück in das erste Jahrzehnt des vergangenen Jahrhunderts, erhielt aber in den Nachkriegsjahren vor allem durch das Wirken Robert Geisendörfers die entscheidenden Weichenstellungen und Impulse. Der Aufbau des evangelischen Presseverbands seit den 50er Jahren, aus dem das 1973 gegründete Gemeinschaftswerk schließlich hervorging, verläuft parallel zum Aufbau des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland. Beide sollten auf ihre Weise zu einem wertebasierten Neuanfang nach den ungeheuerlichen Verbrechen im Dritten Reich und im Ergebnis zu einer humanen demokratischen Gesellschaft beitragen. Insofern haben das evangelische Gemeinschaftswerk und die öffentlich-rechtlichen Sender durchaus eine gemeinsame Wurzel, eine gemeinsame Begründung. Vielleicht ist die Partnerschaft, die sich daraus in den letzten 50 Jahren entwickelt hat, eine logische Konsequenz aus dieser gemeinsamen Tradition.
Beide, das GEP und die ARD, sind Prinzipien verbunden. Wir nennen das bei uns den öffentlich-rechtlichen Auftrag. Im christlichen Sprachgebrauch würde man sagen: Wir hören auf Gebote. Und deshalb möchte ich eingangs an das Gebot erinnern, das auch unsere journalistische Arbeit leitet, das uns im Geiste verbindet. Es ist das achte Gebot: "Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten."
Das Gebot, der Auftrag zum wahrheitsgemäßen wahrhaftigen Reden, die Verpflichtung zur Wahrheit im Wort, die den Nächsten – das ist ja der- oder diejenige, über den oder deren Sache gerade berichtet wird – achtet, gehört zum Kern unserer Arbeit, unserer unabhängigen Berichterstattung: "kein falsch Zeugnis zu reden", also aufzuklären, statt populistisch aufzutreten, kritisch zu hinterfragen, statt tendenziös zu agitieren oder zu verurteilen – diesem Grundsatz sind wir verpflichtet.
Unsere Gesellschaft befindet sich mitten in einem weltweiten digitalen Transformationsprozess. Anlässlich der Feiern zur deutschen Einheit war gestern oft die Rede von der Spaltung der Gesellschaft, die sicher auch damit im Zusammenhang steht. Veränderung, Globalisierung, offene Grenzen verunsichern und werden nicht nur als Segen, sondern auch als Bedrohung wahrgenommen. Umso wichtiger ist es unseren freiheitlich-demokratischen Prinzipien Gehör zu verschaffen. Ein engagiertes Eintreten für einen gemeinwohlorientierten Journalismus und eine wertebasierte Publizistik, die dem Gebot des wahrhaftigen Redens und Berichtens verpflichtet sind, ist hierfür Voraussetzung. Welchen passenderen Anlass als das 50-jährige Jubiläum des GEP könnte es also geben, um an diese große Aufgabe zu erinnern? Geht sie doch praktisch aus der Gründungsidee Ihrer Institution hervor.
Die Verpflichtung zur Wahrheit setzt Unabhängigkeit voraus. Ein Grundsatz, den Robert Geisendörfer von Beginn an für die evangelische Publizistik reklamiert hat. Sein Credo: Kirchliche Publizistik braucht Unabhängigkeit von kirchenamtlichen Weisungen. In Geisendörfers klarer und unverblümter Sprache: Seine Redakteure sollten "keine frommen Sprüche, sondern Journalismus produzieren".
Verantwortung für objektive Meinungsbildung
Eben diesen Grundsatz haben auch die Öffentlich-Rechtlichen: Er lautet Staatsferne. ARD und ZDF sind alles andere als Sprachorgane der Politik; sie müssen frei und unabhängig von der Politik auftreten und agieren, um glaubwürdig berichten zu können. Wir beide, GEP wie ARD, tragen Verantwortung für eine objektive, differenzierte und sachliche Meinungsbildung. Auch und gerade dann, wenn sie in eigener Sache selbst-kritisch sein muss – egal, ob es um sexualisierte Gewalt in der Kirche und die Ursachen schwindender Mitgliederzahlen geht oder um den rbb-Skandal oder die Beitragsdebatte.
"Kein falsch Zeugnis zu reden" – das ist gerade in der heutigen Zeit entscheidender denn je. Denn wir stehen vor gewaltigen Herausforderungen, die uns Medienmacher täglich in die Pflicht nehmen: die Macht der Bilder, die in Zeiten von ChatGPT und KI nicht nur zur Aufklärung dienen, sondern oft wie ein Brandbeschleuniger wirken; die Möglichkeit, Bilder und Botschaften beliebig zu manipulieren, Fakenews und Shitstorms in Windeseile zu entfachen; die Geschwindigkeit, mit der vermeintliche Informationen heute durchs Netz gejagt werden und deren Wahrheitsgehalt überholen; die zunehmende Schwierigkeit der Nachprüfbarkeit in der täglichen Informationsflut. Wer all das jemals erlebt hat, weiß wie schwer es ist, die Stimme zu finden, die sich diesem Meinungstsunami dann konkret entgegenstellt, gewissenhaft recherchiert und in Ruhe die Fakten überprüft. Aber genau, das ist unsere Aufgabe, dazu sind wir da.
Mehr denn je ist es heute unsere Aufgabe die Menschen zu befähigen, sich selbst eine fundierte, aus- und abgewogene Meinung zu bilden und sie dabei nicht in der Blase der vermeintlich Gleichgesinnten zu lassen. Am Ende geht darum auch wahr von falsch unterscheiden zu können. Wir müssen dabei junge Menschen sensibilisieren, das heißt sie auch befähigen zu kritischer Distanz in der medialen Reizüberflutung. Manche verwechseln diese publizistische Aufgabe mit einem Auftrag, Menschen umzuerziehen. Das ist aber nicht gemeint, sondern es geht darum, die Grundlage, die Fakten zu liefern, damit die Menschen sich eine innere Haltung und Kritikfähigkeit bilden können. Beides ist im Übrigen auch Voraussetzung für Respekt und Toleranz. Und dabei sind uns wiederum die aus dem christlichen Kulturkontext abgeleiteten Grundsätze des Gemeinschaftswerks ein Gebot, ein Auftrag. So, wie sie sein Gründer Robert Geisendörfer benannt hat: "Was evangelische Publizistik kann: etwas öffentlich machen, Fürsprache üben, Barmherzigkeit vermitteln und Stimme leihen für die Sprachlosen."
Und machen wir uns nichts vor: Die Zeiten, in denen die Medienlandschaft so übersichtlich war, dass sich die sogenannte Meinungsführerschaft auf eine überschaubare Anzahl von medialen Institutionen verteilte, sind vorbei. Wir alle stehen in einem ständigen, immer aggressiver geführten Wettbewerb um Aufmerksamkeit. Wir sind auch nicht mehr per se relevant und erreichen nicht mehr einfach so die Menschheit.
Hier möchte ich Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen des GEP, auch ermuntern, nicht nachzulassen in dem intensiven Bemühen, gehört zu werden. Zuhörer zu gewinnen, Öffentlichkeit zu generieren im Sinne Robert Geisendörfers ist alles andere als Populismus; im Gegenteil: Es ist eine Notwendigkeit für jede wahrhaftige Rede. Mit Sorge beobachte ich die schwindende Relevanz und gesellschaftliche Verankerung gemeinwohlorientierter Institutionen auch in den Medien. Gerade für Sie wie für die ARD muss es deshalb ein innerer Antrieb sein, die Türen weit aufzumachen und selbstbewusst rauszugehen – ein urchristlicher Impuls der Verkündigung übrigens, auf die Marktplätze zu gehen und die Menschen direkt anzusprechen, da muss man nicht nur, aber auch an Martin Luther denken. Heute liegen diese Marktplätze im Digitalen: in Chats und Foren, Plattformen und Portalen. Aber gerade das bietet ja auch eine Riesenchance, in Kontakt zu treten, sich bis in die Regionen hinein zu vernetzen. Digitale, zielgruppenadäquate Kommunikation ist entscheidend, wir müssen dorthin gehen, wo gerade jüngere Menschen auch sind und ihre Informationen beziehen.
Wenn wir im Konkurrenzkampf um Aufmerksamkeit mit unseren Prinzipien bestehen wollen, dürfen wir diesen Wettbewerb nicht scheuen oder uns auf elitäre Positionen zurückziehen und nur die ohnehin gut Informierten erreichen. Auch für die ARD bedeutet das: Wir müssen uns der kommerziell und v.a. international operierenden Konkurrenz mit unseren Qualitätsangeboten stellen. Das heißt: Wir müssen dorthin gehen, wo die Debatten und Diskurse heute stattfinden, mit den Mitteln und Formen, in denen sie geführt werden, und bei den jüngeren Bevölkerungsschichten ankommen, die unser Gesellschaftsverständnis in der Zukunft prägen werden. Mit fiktionalen, gesellschaftsrelevanten Produktionen wie "Asbest" oder "All You Need", aber auch mit Serien wie "Babylon Berlin" oder Dokumentationen wie "Being Jan Ulrich" können wir es mit den internationalen Streaming-Konkurrenten aufnehmen. Dieses Selbstbewusstsein, diesen Anspruch müssen wir haben.
Ideenreichtum und Intelligenz gefordert
Deshalb ist es mein ganz persönliches Anliegen, die ARD mit der Mediathek in die digitale Zukunft zu führen. Unsere Inhalte für heutige Nutzungsgewohnheiten und ein diverseres Publikum im Streaming-Zeitalter zugänglich zu machen, bedeutet nicht, sie zu verflachen. Vielmehr erfordert es Ideenreichtum und Intelligenz, Botschaften so aufzubereiten und zu platzieren, dass sie ankommen. Und selbst Akzente und Themen zu setzen, die unser Weltbild und unsere kulturelle Identität ausmachen. Ich bin zutiefst überzeugt, dass wir dies schaffen können, wenn wir unsere Kompetenzen und unsere Stärken bündeln – im Schulterschluss mit Partnern wie es das evangelische Gemeinschaftswerk seit 50 Jahren ist.
Ich möchte zumindest beispielhaft ganz konkret werden. Unsere Reihe "Echtes Leben" sagt nicht nur im Titel programmatisch, um was es geht. Jede Woche zeigen wir in einer spannenden Reportage, was das heißt, ‚Echtes Leben‘. Wir sind mit unseren Filmemachern dabei, wenn das Leben – gefühlt – von vorne beginnt. Wir "verleihen den Sprachlosen eine Stimme", wie Robert Geisendörfer es ausgedrückt hat. Wir interessieren uns für die vielfältigen, individuellen, oft harten Schicksale der Menschen im Land – von der Topmanagerin, die ihren Job aufgibt, um sich der Elternpflege zu widmen, über eine junge krebskranke Frau, die ihr Kind austrägt, bis zur Leistungssportlerin, die mit ihrem Burnout umzugehen lernt. Gerade hat diese Reihe einen Relaunch bekommen: Sie erprobt neue Erzählformen für junge Menschen und wird damit künftig noch attraktiver sein für die ARD Mediathek.
"Das Wort zum Sonntag" ist eine der ältesten Sendung in der ARD: An keinem anderen Format kann man besser studieren, wie wandlungsfähig und stets zeitgemäß diese Verkündigungssendung ist. Sehr persönlich und in komprimierter Form über Dinge zu reden, über die wir sonst nicht so gern sprechen, etwa als Pastorin Annette Behnke kürzlich ein "Wort" über ihr eigenes behindertes Kind hielt – auch das ist eine Form der Wahrhaftigkeit. Regelmäßig kommen aus unserer ARD-Koordination Wissen, Bildung und Kirche zudem verantwortungsbewusste Dokumentationen, gerade etwa das Projekt "Deutsche Schuld – Namibia und der Völkermord" für die ARD Mediathek.
Und natürlich sind wir immer dankbar, wenn Sie besonders relevante ARD-Produktionen und herausragende Persönlichkeiten mit dem renommierten Geisendörfer-Preis würdigen. Im letzten Jahr etwa vier Porträts aus unserer Reihe "Wenn nicht ihr, dann wir" über die Folgen der Globalisierung, die sich an Erwachsene ebenso wie an Kinder richten. Eine Auszeichnung, über die ich mich persönlich besonders gefreut habe, weil ich im Kinderprogramm des SWR begonnen habe und mich seither immer wieder intensiv mit der heute so entscheidenden Frage der zielgruppengerechten Vermittlung und authentischen Aufbereitung befasst habe. Dass Sie 2019 Sophie Burkhardt und Florian Hager für den Aufbau des Content-Netzwerks "funk" geehrt haben, war für die ARD und mich persönlich eine Bestärkung, dass wir mit unserer Innovationskraft auf dem richtigen Weg sind. Nicht zuletzt möchte ich noch anfügen, dass ich eine bekennende epd-Leserin bin: Die Artikel über die Branche empfinde ich als wohltuend unaufgeregt, informativ und sachlich. Wo sonst findet man obendrein noch so differenzierte Programmkritiken?
Ein paar Beispiele nur, die anschaulich machen, um was es uns gehen sollte: Wahrheit zu zeigen, wahrhaftig zu sein, "kein falsch Zeugnis zu reden" bei allem medialen und gesellschaftlichen Druck, der auf uns lastet. Dafür steht das Gemeinschaftswerk evangelischer Publizistik seit über 50 Jahren, darauf haben Sie, lieber Herr Bollmann, und Ihre 130 Mitarbeiter, die dieses Gemeinschaftswerk heute tragen und prägen, allen Grund, stolz zu sein.
Herzlichen Glückwunsch!