© Getty Images/iStockphoto/vicnt
24. September, ARD, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Tatort: Blinder Fleck"
Anders als die "Tatort"-Beiträge des ORF haben die Sonntagskrimis aus der Schweiz hierzulande einen schweren Stand. Das hat nicht zuletzt mit den zumeist wenig bekannten Mitwirkenden zu tun.

Zumal die Produktionen für die Ausstrahlung in Deutschland neu gesprochen werden und daher oft synchronisiert klingen, doch auch handwerklich erreichen die Filme oftmals nicht das sonst übliche hohe "Tatort"-Niveau. Insofern fällt der sechste Fall für das Damenduo Grandjean und Ott (Anna Pieri Zuercher, Carol Schuler) wohltuend aus dem Rahmen. "Blinder Fleck" ist vom gleichen Team wie die spannungsarme und allzu komplizierte letzte Episode, "Seilschaft", aber ein viel besserer Krimi, der zudem gleich zwei relevant Themen bearbeitet.

Schon der Auftakt weckt die Neugier: Zwei Männer treffen sich auf einem Waldparkplatz, der eine kommt mit dem Rad, der andere in Begleitung von Frau und Tochter mit dem Auto. Kurz drauf fallen mehrere Schüsse. Grandjean und Ott bietet sich ein Bild wie nach einer Hinrichtung: Alle Beteiligten sind tot. Das kleine Mädchen, von dem die beiden nichts ahnen, scheint verschwunden, taucht aber schließlich traumatisiert unter dem Kleid der Mutter auf. Des Rätsels Lösung scheint Habgier zu sein: Der ermordete Familienvater, Marco Tomic, hat eine Software erfunden, die er "Blind Spot" (Blinder Fleck) genannt hat; mit ihrer Hilfe lassen sich KI-gestützte Gesichtserkennungsprogramme täuschen. Der zweite Mann war sein Bankberater. Hauptverdächtiger ist Tomics Geldgeber: Joel Müller (Raphael Gassmann) will die gemeinsame Start-up-Firma an ein amerikanisches Unternehmen verkaufen, das Überwachungsdrohnen herstellt. Tomic wollte das verhindern, weil ihm klar war, dass der Drohnenentwickler "Blind Spot" in der Versenkung verschwinden lassen würde.

 

Dieser Teil der Geschichte würde vermutlich bereits für einen fesselnden Krimi genügen, zumal Regisseur Tobias Ineichen das Thema für diverse Luftaufnahmen nutzt. Viele Filme wirken mitunter, als hätten die Kameraleute mit der Drohne ein neues Spielzeug entdeckt, aber hier sind die Bilder elementarer Teil der Handlung, schließlich geht es um eine sehr relevante Frage. "Der Himmel gehört den Drohnen", wird Ott von Ken Rumpf (Jarrett J. Merz), dem Chef der US-Firma, belehrt. Der Amerikaner möchte die neue Technologie der Schweizer Polizei als "freundlichen Helfer" andienen. Die fliegenden Augen spielen jedoch auch jenseits dieser Ebene eine Rolle, denn das Drehbuch bringt noch ein gänzlich anderes Thema ins Spiel: Offenbar gibt es einen Zusammenhang zwischen dem dreifachen Mord und einem dreißig Jahre zurückliegenden Massaker während des Kriegs im ehemaligen Jugoslawien.

Selbst wenn es weit hergeholt klingt, die Debatte über moderne Überwachungstechniken mit dem Balkankrieg zu kombinieren: Die Verknüpfung gelingt den Autorinnen Claudia Pütz und Karin Heberlein völlig plausibel. Es ist schließlich Ella, das nunmehr verwaiste kleine Mädchen, das die Ermittlerinnen auf eine weitere Spur führt. Schon auf den Drohnenaufnahmen des jungen Vogelkundlers Luca (Nicola Perot) war ein Motorrad zu sehen, dessen Fahrer ebenfalls am Schauplatz des Verbrechens zugegen war; eine Gestalt auf einer Zeichnung Ellas stellt eindeutig einen Motorradfahrer mit Helm dar. Dieser Lars Diemer (Marcus Signer) ist ein verurteilter Kriegsverbrecher und gerade erst nach 25 Jahren aus der Haft entlassen worden, beteuert allerdings seine Unschuld. Tomic ist gebürtiger Kroate, der Bankberater hat ebenfalls eine serbokroatische Vergangenheit, und selbst Luca ist nicht so unbeteiligt wie er vorgibt.

Der Film ist schon allein wegen Michael Saxers Bildgestaltung sehenswert. Die optische Umsetzung war bereits bei "Seilschaft" (ebenfalls von Ineichen und Saxer) einer der wenigen Pluspunkte. Fabian Römers Musik ist ein weiterer Spannungstreiber. Darüber hinaus hat Ineichen dafür gesorgt, dass auch die emotionalen Anteile nicht zu kurz kommen. Gerade die Szenen mit Anna Pieri Zuercher und der Darstellerin des kleinen Mädchens sind sehr berührend: Ella hat Grandjean zur Ersatzmutter erkoren und klammert sich buchstäblich an sie. Ott hat sich derweil eines Kanarienvogels angenommen, der ebenfalls Zeuge der Morde war, allerdings nicht viel zur Wahrheitsfindung beiträgt. Aller Tragik zum Trotz gibt es ohnehin einige Momente kleiner Heiterkeiten, weil Ott in diesem Film sehr viele Treppen zu bewältigen hat. Bis zu Beginn des ausführlichen und gleich doppelt dramatischen Finales bleibt völlig offen, wie die Dinge miteinander zusammenhängen.