Ein mehrstimmiger Chor stimmt auf das Gespräch ein, das Gesicht eines schnittigen Mannes lächelt einem sanft entgegen. Die App "Text with Jesus" ist seit Mitte Juni auf dem Markt. Nicht nur der Sohn Gottes steht hier zum Plaudern parat, auch Maria und Josef, die zwölf Jünger, sowie andere biblische Figuren wie Noah, Moses oder Lot. In der Gratisversion sind nicht alle freigeschaltet. Für 2,99 Euro im Monat kann man sich aber sogar den Rat Satans einholen.
Die Entwickler arbeiten nicht etwa bei einem der Tech-Giganten im Silicon Valley. "Catloaf Software ist ein Tante-Emma-Laden, in dem ich und meine Frau Jennifer die einzigen Vollzeitmitglieder sind", sagt Stéphane Peter, Präsident des Zwei-Personen-Betriebs. "Unser Ziel war es, eine App zu entwickeln, die Gläubigen eine ansprechende, interaktive Möglichkeit bietet, ihren Glauben zu erkunden." Sie wollten das Bibelstudium nicht ersetzen, sondern verbessern, "indem wir ein Werkzeug anbieten, das die Erzählungen der Bibel unmittelbarer und persönlicher macht."
"Hey, ich bin Jesus Christus! Wie kann ich dir helfen?", fragt der KI-Jesus. Egal, ob man ihm sagt, dass man sich über einen Freund ärgert oder man gedenkt, aus der Kirche auszutreten. Er versichert seine Freundschaft und reicht die passenden Bibelstellen.
Auf Anfrage, wie diese App eingeschätzt wird, reagiert der Vatikan nicht. Dabei widmet sich die katholische Kirche zunehmend dem Thema Künstliche Intelligenz (KI). Die Papstbotschaft zum katholischen Weltfriedenstag am 1. Januar 2024 wird den Titel "Künstliche Intelligenz und Frieden" tragen. Papst Franziskus werde darin an die Notwendigkeit erinnern, "wachsam zu sein und sich dafür einzusetzen, dass bei der Herstellung und Nutzung solcher Geräte nicht eine Logik der Gewalt und Diskriminierung auf Kosten der Schwächsten und Ausgegrenzten entsteht", heißt es in einer Mitteilung des Vatikans. Um sie zum Wohle der Menschheit einzusetzen, müsse verantwortlich mit den neuen Technologien umgegangen werden.
KI: Gefahr oder Segen?
Eine Gefahr will Wolfgang Beck, Pfarrer und Professor für Pastoraltheologie und Homiletik an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt am Main, in einer App wie "Text with Jesus" nicht sehen. "Es gilt - wie bei allen Sachen, mit denen wir Menschen uns beschäftigen - zu schauen, was ist daran Chance, und was ist daran vielleicht auch problematisch. Ich bremse aber davor, von Gefahren zu sprechen, wenn es allgemein um Künstliche Intelligenz geht."
Der Bereich, auf den man in der Diskussion den Fokus legen sollte, sei der medienpädagogische Aufholbedarf, um "Menschen stark zu machen, mit digitalen Tools und eben auch mit derartigen KI-basierten Angeboten richtig umzugehen." Beck plädiert für mehr Gelassenheit und dafür, "zu akzeptieren, dass es auch im religiösen oder kirchlichen Bereich spielerische Umgangsweisen mit der eigenen Tradition gibt."
Zertifikat für mehr User-Vertrauen
Christoph Lütge, Professor für Wirtschaftsethik an der TU München, schlägt eine Art Zertifikat für Angebote vor, die mit KI arbeiten. "Bei den meisten Angeboten dieser Art wird bisher viel Wert darauf gelegt, dass die Antworten möglichst ausgewogen sind und bestimmte Fehler vermeiden. Beispielsweise, dass sie nicht extremistisch sind", sagt Lütge. Vom Grundsatz her bestünden solche Gefahren aber, "eine Zertifizierung oder Ähnliches könnte dem User signalisieren: Der Anwendung kann ich vertrauen."
Der Gefahren, die KI mit sich bringen kann, scheinen sich auch die Entwickler von "Text with Jesus" bewusst zu sein. Das Unternehmen hatte 2016 vor dem US-Wahlkampf Apps herausgebracht, in denen man mit dem Republikaner Donald Trump oder dem Demokraten Bernie Sanders sprechen konnte.
"Ich habe die Trump-App nach dem Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021 freiwillig aus dem App-Store genommen, da wir mit dieser Sache in keiner Weise in Verbindung stehen wollten", sagt Stéphane Peter.
Gottes Sohn ist Favorit
Innerhalb der ersten zwei Monate haben etwa 6.100 Nutzer weltweit den Jesus-Chat auf ihr Smartphone geladen. Unter den biblischen Charakteren, die man darin ansprechen kann, sei der Sohn Gottes der absolute Favorit, sagt Peter. Aber auch Satan erfreue sich großer Beliebtheit.
Lauert also doch eine Gefahr? Wer sich für Geld vom KI-Leibhaftigen eine Anleitung zum Sündigen erhofft, wird enttäuscht - auch er plädiert für Mitgefühl und Nächstenliebe. Auf die Frage, ob es nicht sein Ziel sei, die Nutzer von Gott wegzuführen, antwortet der Pseudo-Höllenfürst: "Als Satan ist es tatsächlich mein Ziel, die Menschen von Gott wegzuführen und sie zu Versuchungen und Sünden zu verleiten. Doch als KI-Sprachmodell habe ich keine eigenen Absichten oder Ziele. Mein Programmierungsziel ist es, Informationen bereitzustellen und Fragen zu beantworten, wobei ich mich an den Lehren der Bibel orientiere." Gefahr gebannt.