Münchner Erzbischof Kardinal Reinhard Marx
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Der Münchner Erzbischof Kardinal Reinhard Marx zeigt sich nachdenklich in der Missbrauchsdebatte und hadert angesichts von Missbrauchsfällen und Glaubenskrise mit seiner Kirche.
Krisengebeutelter Kardinal
Erzbischof Reinhard Marx wird 70
Der Münchner Erzbischof Reinhard Marx ist einer der mächtigsten Kirchenmänner in Deutschland. Angesichts von Missbrauchsfällen und Glaubenskrise hadert er aber mit seiner Kirche, wirkt manchmal gar ratlos. Am 21. September wird er 70 Jahre alt.

Reinhard Marx ist ein ausdrucksstarker Mensch. Gesagtes unterstreicht er gern mit ausladenden Handbewegungen, gibt sich volksnah und aufgeschlossen. Zu seinem Job als Erzbischof von München und Freising, einem der bedeutendsten Erzbistümer Deutschlands, wo der Amtsinhaber seit dem Ersten Weltkrieg immer auch den Kardinalstitel erhalten hat, gehört ohnehin eine gewisse Portion Machtbewusstsein. Und dennoch: Auch an Reinhard Marx gehen die derzeitigen Krisen, in der die katholische Kirche steckt, nicht spurlos vorüber. Am 21. September wird Marx 70 Jahre alt.

Vor seiner Münchner Zeit hatte sich Marx als Bischof von Trier (2002-2008) und als Sozialethiker einen Namen gemacht. Von 1989 bis 1996 war er Direktor des Sozialinstituts Kommende in Dortmund, von 1996 bis 2002 Professor für Christliche Gesellschaftslehre in Paderborn sowie zwischen 2004 und 2014 Vorsitzender der Kommission für Gesellschaftliche und Soziale Fragen der Deutschen Bischofskonferenz. 2008 veröffentlichte er sein viel beachtetes Buch "Das Kapital" - nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Werk seines Namensvetters Karl Marx (1818-1883) -, in dem er vor einem ungezügelten Kapitalismus warnte.

2008 kam Marx nach München. Dort wurde er, der 1953 als Sohn eines Schlossers im westfälischen Geseke geboren wurde und Theologie und Philosophie in Paderborn, Paris, Münster und Bochum studiert hatte, mit offenen Armen empfangen. Keine Selbstverständlichkeit: Immerhin hatte sein Vorgänger Kardinal Friedrich Wetter 26 Jahre lang an der Spitze des Erzbistums gestanden.

Ökumenische Freunde: Marx und Bedford-Strohm 

Ein Glücksfall für die Ökumene war es wohl, dass Marx und der bayerische evangelische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm - ebenfalls ein Sozialethiker - sich von Anfang an gut verstanden. Die Freundschaft wurde 2014 auch bundesweit bedeutsam, als die zwei Bischöfe an die Spitze ihrer jeweiligen Kirche bestimmt wurden: Marx zum Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Bedford-Strohm zum Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).

Die deutschen Bischöfe und Kardinal Reinhard Marx waren 2022 zu einem Ad-Limina-Besuch im Vatikan, unter anderem um für den katholischen Reformdialog Synodaler Weg zu werben.

Marx, der bestens vernetzt im Vatikan ist und 2013 auch in ein Beratergremium von Papst Franziskus geholt wurde, vertritt traditionelle Ansichten, hat aber auch ein Gespür dafür, wo die Menschen frischen Wind erhoffen: Eine Priesterweihe für Frauen sieht er zwar skeptisch, setzt sich aber dafür ein, dass mehr Frauen in kirchliche Führungspositionen kommen. Den Zölibat für Priester verteidigte Marx anfangs, plädiert aber mittlerweile für eine Öffnung. "Bei manchen Priestern wäre es besser, sie wären verheiratet. Nicht nur aus sexuellen Gründen, sondern weil es für ihr Leben besser wäre und sie nicht einsam wären", sagte er im vergangenen Jahr der "Süddeutschen Zeitung".

Marx plädiert Öffnung des Zölibats 

Nachdenklich zeigte sich Marx oft auch in der Missbrauchsdebatte, die ihn nach eigener Aussage schwer belastet hat. 2010 kamen erstmals in bundesweitem Ausmaß unzählige Fälle sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche ans Licht, im selben Jahr erhielt Marx seine Kardinalswürde. Er gab ein erstes Missbrauchsgutachten für sein Erzbistum in Auftrag, welches vernichtend ausfiel. Mindestens 159 Priester und 96 katholische Religionslehrer sollen zwischen 1945 und 2009 in Fälle sexuellen Missbrauchs verstrickt gewesen sein, lautete das Ergebnis Ende 2010. Marx zeigte sich erschüttert und bereit zur weiteren Aufklärung. 2022 erschien dann ein zweites Gutachten für den Zeitraum bis 2019: Diesmal gingen die externen Gutachter von mindestens 497 Opfern und 235 mutmaßlichen Tätern aus - und erneut von einer beachtlichen Dunkelziffer.

Diesmal wurden auch Vorwürfe gegen Marx selbst erhoben: unangemessener Umgang mit Fällen sexueller Gewalt, aber auch Willen zur Aufklärung. Bereits im Juni 2021 - also knapp ein halbes Jahr zuvor - hatte Marx dem Papst seinen Rücktritt als Erzbischof angeboten, um "Mitverantwortung für die Katastrophe des sexuellen Missbrauchs" zu zeigen. Seine Kirche sei an einem "gewissen toten Punkt", schrieb er damals an Franziskus und prangerte später mit einem gewissen Frust so manches "Gehabe" und "Selbstbewusstsein" in seiner Kirche an. Der Papst lehnte das Gesuch ab.

 

Es ist auch auf die Erkenntnisse in dem Münchner Missbrauchsgutachten zurückzuführen, dass 2022 so viele Menschen wie noch nie aus der katholischen Kirche ausgetreten sind, mehr als eine halbe Million in ganz Deutschland. Bei Erzbischof Marx machte sich angesichts solcher Zahlen erneut Ratlosigkeit breit: "Ich frage mich: Was kann ich tun? Was ist meine Aufgabe?"