Vergangene Woche folgten viele Tausende dem Aufruf von Fridays for Future und demonstrierten für besseren Klimaschutz. Kurz zuvor hatte die EU eine Richtlinie erneuert, die den Anteil erneuerbarer Energien bis 2030 EU-weit auf 42,5% hebt, von bislang 32%. Das klingt nach einem Fortschritt. Aber die EU wird auch weiterhin die Holzverbrennung als eine Quelle erneuerbarer Energie zählen. Auch im deutschen Energiehaushalt spielt die Holzverbrennung eine wichtige Rolle. Natürlich stößt die Verbrennung Treibhausgase aus. Dabei brauchen wir doch die Wälder, die grüne Lunge unseres Planeten. Und dann ist da noch eine andere Dimension der Ethik – mal abgesehen von der Klimabilanz. Bäume werden Jahrhunderte alt, sie folgen einem ganz anderen Takt als wir kurzatmigen Menschen. Diese wunderbaren Lebewesen gilt es zu erhalten!
Mehrere Umweltverbände kritisieren die Holzverbrennung in Deutschland. Doch seit mit dem Ukrainekrieg Deutschlands Gasversorgung weggebrochen ist, herrscht eine Energiekrise. Ist es überhaupt politisch möglich, das Verfeuern von Holz zu stoppen? Immerhin ist die Holzverbrennung nicht ganz so dreckig wie Deutschlands Kohlekraftwerke. Außerdem wird besonders viel Totholz verbrannt. Es werden also für diesen Zweck nicht so viele Bäume gefällt, wie man vermuten könnte.
Ich mache in dieser Kolumne einen Vorschlag, wie Deutschland mit einem Teil seines Holzes umgehen soll. Auch das Verbrennen von Totholz ist nämlich ein großes Problem, nicht nur wegen des Kohlendioxids. Beim Thema Wald und Holz zeigt sich aber außerdem, wie schwierig es ist, sich das Thema ethisch zu erschließen. Unzählige ethische Publikationen benutzen das Wort "Ökosystem", aber das bedeutet noch längst nicht, dass man damit ein Ökosystem wie den Wald sachgemäß in den Blick bekommt!
Holz im Energiemix
Wenn in Deutschland letztes Jahr erneuerbare Energien zum Heizen eingesetzt wurden, geschah das zu zwei Dritteln durch die Holzverbrennung. Vom Stichpunkt Wärme ist dann der Bereich Stromgewinnung zu unterscheiden. Im Strommix ist Holz längst nicht so bedeutend wie im Wärmemix. Doch immerhin gewinnen wir fast 10% unseres Stroms aus Biomasse, und dort spielt Holz ebenfalls eine bedeutende Rolle.
Alexander Maßmann wurde im Bereich evangelische Ethik und Dogmatik an der Universität Heidelberg promoviert. Seine Doktorarbeit wurde mit dem Lautenschlaeger Award for Theological Promise ausgezeichnet. Publikationen in den Bereichen theologische Ethik (zum Beispiel Bioethik) und Theologie und Naturwissenschaften, Lehre an den Universitäten Heidelberg und Cambridge (GB).
Die Holzverbrennung gilt offiziell als "erneuerbar", weil Holz nachwächst und die Verbrennung nur so viel Treibhausgase ausstößt, wie beim Wachstum von Bäumen gebunden wird. Das Problem ist aber: Wenn wir heute Bäume pflanzen, dauert es mehrere Jahre, bis sie überhaupt netto Kohlendioxid binden. Und eigentlich brauchen wir diesen Effekt, um das CO2 der Kohleverbrennung einzulagern!
Schadholzräumung
Die Holzverbrennung herunterzufahren, dürfte im Moment politisch eher unrealistisch sein. Ohnehin wollen Industrie und Forstwirtschaft beruhigen: Es werden längst nicht so viele Bäume dafür gefällt, wie man vermuten könnte: Hier ist besonders das Totholz gefragt. Man verbrennt Holzabfälle, die die Industrie nicht weiterverwertet, und dann holt man Holz aus den Wäldern, das ohnehin nicht mehr lebendig ist: vor allem Baumstämme, die ein Sturm entwurzelt hat oder die alt und krank geworden sind. Die Bundesregierung unterstützt sogar die Beseitigung von Totholz im Wald mit vielen Millionen an Subventionen. Diese "Schadholzräumung" gilt als Bereinigung von Waldschäden.
Die Bedeutung der toten Bäume fürs Ökosystem
Es heißt, das tote Holz spende ohnehin keinen Schatten mehr und diene deshalb auch nicht der Kühlung des Walds während der Klimakrise. Das stimmt aber oft nicht: Denn tote Bäume können durchaus noch lange aufrecht stehen. Dann geben sie nicht nur Schatten, sondern bieten auch Vögeln Raum zum Nisten. Tiere wie der Specht, die teils auf der roten Liste stehen, finden in toten Bäumen Nahrung. Tatsächlich ist es ökologisch viel sinnvoller, Totholz im Wald zu belassen. Der Förster Peter Wohlleben betont das immer wieder.
Auch wenn tote Baumstämme umgefallen sind, bilden sie einen wichtigen Lebensraum für Insekten, Pilze und Bakterien. Nach und nach saugt sich der Stamm mit Regenwasser voll, so dass er den Boden kühlt und dem Waldbrand entgegenwirkt. Nach vielen Jahren wird er dann zu Humus. Mit diesem Humus speichert auch der Boden mehr Wasser und bindet weiterhin das CO2 des Baumes. Die Schadholzräumung wiederum geschieht mit schwerem Gerät, das weiteren Schaden anrichtet, indem es die Böden verdichtet. Nicht nur der lebendige Baum ist ein Teil des Ökosystems Wald – auch halbtote und tote Bäume spielen ihre Rolle in diesem funktionellen Kreislauf.
Vorschlag
Auch ohne die Schadholzräumung holen wir bereits zu viel Biomasse aus dem Wald heraus. Das Totholz sollten wir besser im Wald lassen, und deshalb sollte die Schadholzräumung auch nicht mehr subventioniert werden. Bei der Holzverbrennung in Deutschland sollten wir und stärker auf Holzabfälle konzentrieren, die die Industrie nicht mehr weiterverwertet, wie zum Beispiel benutzte Spanplatten. Dadurch können wir Zeit gewinnen, in der wir die erneuerbaren Energien weiter ausbauen und dann auch in der Wärmegewinnung allmählich von der Holzverbrennung wegkommen. Nach dem Kohleausstieg müsste dann auch die Holzverbrennung gegen null gehen.
Außerdem verbrauchen wir in Deutschland auch anderweitig zu viel Holz. Wir verwenden 1,5 Kubikmeter pro Kopf pro Jahr, aber der weltweite Durchschnitt liegt bei 0,5 Kubikmeter. Ständig heißt es, Brasilien müsse seinen Regenwald schützen, und oft gibt es Unterschriftenaktionen dafür, der Regenwald im Kongo und in Indonesien dürfe nicht abgeholzt werden. Das ist unehrlich: Die "unterentwickelten" Länder sollen ihre Wälder schützen, doch für uns gilt das anscheinend nicht.
Unsere Naturethik
In der theologischen Ethik ist die Reflexion über Tiere und Pflanzen selten genug. Es fällt auf, wie selten auch die neueren und neuesten Lehrbücher über unverbindliche Bemerkungen hinausgehen. Wenn sich Pfarrer:innen, Lehrer:innen und interessierte Laien gezielt mit einem zugänglichen Text einen soliden Überblick über die Umweltethik verschaffen wollen, müssen sie zu lange suchen. Sieht man von den dichten Spezialabhandlungen ab, bildet das "Handbuch der Evangelischen Ethik" die Ausnahme, das zwei verdienstvolle, große Kapitel zur Umweltethik bietet.
Dennoch stellt sich die Frage, wie sich die theologische Ethik den Ökosystemen nähert. Rehe und Bäume, das sind wertvolle "Mitgeschöpfe". Doch das hilft uns moralisch nicht weiter: Denn Mitgeschöpfe sind genauso der Kieselstein und das Covid-Virus! Es wird dann gefragt, was wir wertschätzen und würdigen sollen: vor allem den Menschen? Den weiteren Kreis der leidensfähigen Lebewesen? Oder etwa alles, was lebt? Am Rande taucht noch die Möglichkeit auf: etwa ganze Landschaften?
Dass wir auch den Baum wertschätzen, leuchtet vielen ein. Im Analogieschluss sprechen wir auch ihm so etwas wie Würde zu. Denn Pflanzen "gedeihen". Dieses Wort verwenden wir sowohl vom menschlichen Leben als auch von Pflanzen, so dass es wohl eine tiefere moralische Gemeinsamkeit zwischen Menschen und Pflanzen andeutet. Auch lässt sich damit noch eine bestimmte Form der achtsamen Forstwirtschaft rechtfertigen, denn wir gehen ja nicht so weit, jedem Baum gleich Menschenwürde zuzuschreiben. Aber die krassen Kahlschläge, die wir in unseren öden, trostlosen Kiefern- und Fichten-Monokulturen begehen, können wir so nicht mehr verteidigen.
Noch einmal: der tote Baum
Aber für meine Frage nach dem Wald eignet sich der intuitive Blick der Ethik auf das einzelne Mitgeschöpf nicht. Denn wenn der Baum tot ist, "gedeiht" er nicht mehr. Albert Schweitzer lehrte die "Ehrfurcht vor dem Lebendigen", doch die kann ich dem Baum nicht mehr entgegenbringen, wenn er nicht mehr lebendig ist. Mit ihm hat die Lehrbuchethik nichts mehr zu tun.
Es müsste um mehr gehen als das einzelne Geschöpf. Auch in der großen zweibändigen Theologie der Tiere des Briten David Clough geht es bloß um einzelne Lebewesen. Eine größere Konstellation von Lebewesen kommt immerhin in den Blick mit der Frage: Sollen wir eine ganze Landschaft als diejenige Größe bestimmen, die wir als Gottes Geschöpf wertschätzen? Aber auch der Blick auf die Landschaft ist pauschal und undifferenziert. Weder der einzelne Organismus noch die Landschaft sind eigentlich die Größen der Ökologie.
Ökologie
Es ist zwar viel die Rede von Ökosystemen in der theologischen Ethik. Doch damit sind oft bloß bestimmte Flecken auf der Landkarte gemeint, und "ökologisch" bedeutet oft bloß "umweltfreundlich". Es müsste aber von den Wechselbeziehungen zwischen den verschiedenen Bestandteilen eines Ökosystems die Rede sein, vom Kreislauf des Stoffwechsels, in dem auch Pflanzen, Pilze und Mikroorganismen in Wechselwirkung stehen.
Weil wir aber nicht eigentlich ökologisch über die Natur denken, kam es auch dazu, dass die Bundesregierung die "Schadholzräumung" subventioniert. Natürlich trägt dazu auch das Interesse der Forstwirtschaft bei. Doch in unserer Gesellschaft sind Erkenntnisse der wissenschaftlichen Ökologie noch nicht lange Bestandteile einer Kultur, die uns zu einem kritischen Nachdenken darüber anregen würde. Das eigentlich ökologische Denken, das den Stoffwechselkreislauf im Wald analysiert, war lange nicht sehr weit vorgedrungen.
So war mir lange Zeit zum Beispiel nicht bewusst, dass etwa die Pilze, die sich in dem toten Baumstamm befinden, einem eigenen biologischen "Reich" angehören. Sie gehören nicht ins Reich der Pflanzen, wie man bis ins 20. Jahrhundert hinein dachte. In der Evolutionsgeschichte steht das Reich der Pilze anscheinend eher dem Reich der Tiere als dem der Pflanzen nahe.
Die Bakterien und anderen Mikroorganismen, die ihrerseits wiederum mehrere verschiedene Reiche bilden, spielen in Theologie und Ethik ebenfalls keine Rolle. Allzu oft kommen in unserer Alltagsbiologie eigentlich nur Menschen, Tiere und Pflanzen vor. Herumgesprochen hat sich allerdings in den letzten Jahren, dass das Pilzgeflecht oft die Wurzeln der Bäume miteinander verbindet. So ermöglichen sie einen Austausch von Nährstoffen mit den Bäumen und zwischen den Bäumen, in Gestalt eines "Wood Wide Web." Und unter einem Quadratzentimeter Waldboden liegen über 1km hauchzarte Pilzfäden! Dazu trägt auch der tote Baum bei.