Der Lutherische Weltbund (LWB) hat zum Abschluss seiner 13. Vollversammlung alle Formen der Gewalt verurteilt und zum Frieden aufgerufen. "Wir haben uns in einer Region versammelt, in der der Krieg Russlands gegen die Ukraine Hunderttausende von Toten und Verletzten gefordert hat und Millionen weitere Menschen durch die Kämpfe vertrieben wurden", betonten die Delegierten der 150 Mitgliedskirchen in ihrer Botschaft am Dienstag im polnischen Krakau.
Die Delegierten gedachten auch der Opfer der Konflikte in Äthiopien, Haiti, Jemen, Myanmar, Nigeria, Sudan, Venezuela, im Nahen Osten und anderer Orte. Überall auf der Welt seien die Schreie von Menschen zu hören, die verstümmelt, getötet oder vertrieben würden. Während der Versammlung hatten die Lutheraner das Vernichtungslager Auschwitz besucht, wo die Nazis zwischen 1,1 und 1,5 Millionen Menschen ermordeten, die meisten davon Juden.
In seiner Botschaft unterstrich der 1947 gegründete Weltbund, dass sich das Böse von Auschwitz nie wiederholen dürfe. "Unser Glaube ruft uns dazu auf, Boten der Gerechtigkeit, des Friedens und der Versöhnung zu sein und denen zur Seite zu stehen, die am verletzlichsten sind", hieß es. Zudem verlangte der Weltbund mehr Klimagerechtigkeit und ein entschlossenes Vorgehen gegen die Erderwärmung.
Die am Mittwoch voriger Woche begonnene Vollversammlung wählte den dänischen Bischof Henrik Stubkjær (61) zu ihrem 14. Präsidenten. Stubkjær war der einzige Kandidat für die Nachfolge des bisherigen Präsidenten Panti Filibus Musa aus Nigeria. Der Däne betonte, dass in seiner siebenjährigen Amtszeit "die humanitäre und Entwicklungsarbeit" ein zentrales Feld des LWB sein solle.
Stubkjær neuer Präsident des Weltbundes
Der Bischof aus Dänemark gab sich nach seiner Wahl bescheiden: "Ich will der Gemeinschaft dienen", rief Henrik Stubkjær den rund 360 Delegierten des Lutherischen Weltbundes zu. Stubkjær sei "ein kluger Theologe, engagierter Diakoniker und überzeugter Ökumeniker", urteilte der Delegationsleiter der deutschen Kirchen, Frank Otfried July.
Die Wahl Stubkjærs zum Präsidenten markierte die wichtigste Einzelentscheidung der einwöchigen Versammlung, die am Dienstag endete. Mit Stubkjær steht erstmals seit 2003 wieder ein Theologe aus Europa an der Spitze des LWB, jenem Kontinent, der von Russlands Angriffskrieg in der Ukraine erschüttert wird. Und dieser Krieg warf seine Schatten auf die Versammlung, die in einem modernen Kongresszentrum nahe der Wawel-Burg stattfand.
Kühnbaum-Schmidt Vize für Mittel- und Westeuropa
Die Landesbischöfin der Nordkirche, Kristina Kühnbaum-Schmidt, wurde zur Vizepräsidentin für die Region Mittel- und Westeuropa gewählt. Sie ist damit auch Mitglied im Exekutivausschuss des LWB.
Den Delegierten war schmerzlich bewusst: Während sie sich friedlich versammeln, kämpft nur wenige Hundert Kilometer entfernt die Ukraine um ihre Existenz als freie Nation. Für die Ukrainerinnen und Ukrainer gehe es um "Leben oder Tod", sagte Pawlo Schwarz, Bischof der Deutschen Evangelisch-Lutherischen Kirche in der Ukraine.
Der neue LWB-Präsident präsentierte sich als vorausschauende Führungspersönlichkeit mit programmatischen Schwerpunkten - dies könnte auch den Opfern des Ukraine-Krieges zugutekommen. Die Arbeit des Bundes werde unter seiner Leitung auf den vier Säulen beruhen, auf denen die Organisation 1947 gegründet wurde: "Dem Einsatz für die Bedürftigen und Unterdrückten, gemeinsamen Initiativen in der Mission, gemeinsamen Anstrengungen in der Theologie und einer gemeinsamen Antwort auf die ökumenische Herausforderung".
Weltdienst hat neues Büro in Ukraine eröffnet
Der 14. Präsident könnte zumal die humanitäre Arbeit, die im Weltdienst gebündelt ist, weiter stärken. Stubkjær kennt die Aktivitäten des Weltdienstes genau: 2017 rückte er im LWB zum Vorsitzenden des Weltdienstausschusses auf. Schon jetzt unterstützt dieser Ausschuss in mehr als zwei Dutzend Ländern 3,2 Millionen Not leidende Menschen, die von Konflikten, Klimawandel und Naturkatastrophen betroffen sind. Darunter befinden sich viele Ukrainerinnen und Ukrainer.
Der LWB hilft in der Ukraine vor Ort, erst unlängst eröffnete der Weltdienst ein neues Büro in Charkiw. Und LWB-Kirchen in Polen, Ungarn, Rumänien, der Tschechischen Republik, Estland und der Slowakischen Republik bieten Flüchtlingen Unterkunft, Verpflegung und seelsorgerliche Betreuung an.
Heilungsprozess nach Ende der Gewalt
Angesichts der russischen Aggression rief der scheidende LWB-Präsident Panti Filibus Musa zu einer verstärkten Friedensarbeit auf. "Lassen Sie uns nie vergessen, dass das unsere Mission ist", unterstrich der Erzbischof aus Nigeria. Die LWB-Generalsekretärin Anne Burghardt betonte, dass nach einem Ende der Gewalt ein Heilungsprozess in der Region einsetzen müsse.
Dabei könnte die Rolle der Kirchen noch wichtiger werden. Einstweilen jedoch müssen auch die Lutheraner der Gewalt im Osten Europas nahezu ohnmächtig zusehen. Auf die Frage, ob der LWB und andere kirchliche Organisationen zu einer friedlichen Lösung des Konflikts beitragen könne, wussten viele Lutheraner keine Antwort.
Der ukrainische Bischof Schwarz urteilte nüchtern: Der Einfluss der Kirchen und Religionsgemeinschaften bei der Friedenssuche würden regelmäßig überschätzt. Die Kirchen sollten sich auf die Versorgung der Not leidenden Bevölkerung konzentrieren.
Delegationsleiter July zieht positive Bilanz
Eindeutig fiel immerhin die Kritik an der russisch-orthodoxen Kirche aus - der Moskauer Patriarch Kyrill gehört zu den eifrigen Verfechtern des Überfalls der Kremltruppen auf die Ukraine. "Theologisch, politisch und menschlich ist das völlig unverantwortlich", machte LWB-Generalsekretärin Burghardt klar. Die evangelisch-lutherische Pfarrerin stammt aus Estland, einem weiteren Nachbarland in Osteuropa, in dem sich Menschen von Russland bedroht fühlen.
Delegationsleiter Frank Otfried July hat eine positive Bilanz der Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes (LWB) gezogen. Das Treffen im polnischen Krakau "habe das Gefühl der Zusammengehörigkeit der 150 Mitgliedskirchen gestärkt", sagte der frühere württembergische Landesbischof am Dienstag zum Abschluss der nur alle sechs bis sieben Jahre stattfindenden Tagung dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Der Vorsitzende des Deutschen Nationalkomitees des LWB unterstrich, dass bei dem lutherischen Dachverband trotz seiner beiden Führungspersönlichkeiten aus Dänemark und Estland keine Eurozentriertheit vorläge. Die lutherischen Kirchen aus Äthiopien, Tansania oder Indonesien wüchsen stark und agierten mit Selbstbewusstsein. "Die Achse des LWB verschiebt sich in Richtung Süden", hielt July fest. Die vorige LWB-Vollversammlung fand 2017 in Namibia statt.
July betonte, dass eine überzogene "ökumenische Höflichkeit" echte und ehrliche Debatten nicht verhindern dürfte. "Wenn man nur alle sieben Jahre zusammenkommt, muss man kontrovers diskutieren können." Er nannte Fragen der sozialen Gerechtigkeit und der Geschlechter, den Klimawandel und die vielen bewaffneten Konflikte.