Das könnte allerdings auch für andere Teile des Publikums gelten, denn die Dialoge sind mitunter bis an den Rand der Zumutung anspruchsvoll: weil es in ihnen von Fachbegriffen nur so wimmelt. Im Grunde geht es um Toleranz, aber die entsprechende Diskussion wird überspitzt akademisch geführt. Wer also nicht weiß, worum es sich handelt, wenn es um heteronormative Strukturen oder die "kulturrelativistische Doktrin" geht, versteht oftmals nur Bahnhof. Das wird den Verantwortlichen vermutlich klar gewesen sein, weshalb es sich empfiehlt, eine ähnlich belustigte Perspektive wie die Hauptfigur einzunehmen; dann kann die Premiere von Johanna Wokalek als neue Münchener "Polizeiruf"-Kommissarin ein Vergnügen sein. Das ändert jedoch nichts daran, dass viele Figuren viel zu klischeehaft ausfallen.
Der Film beginnt klassisch mit einem Todesfall: Ein Mann schleppt sich mit letzter Kraft vor ein Gebäude und bricht zusammen. Die rechtsmedizinische Untersuchung ergibt Hinweise auf eine mögliche Folter. Auf seinem Rücken steht in roten Großbuchstaben "Rapist", Vergewaltiger. Der Mann ist wegen eines entsprechenden Vorwurfs sozial geächtet worden. Er war wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für postkolonialistische Studien. Wer hier studiert, so legt es zumindest Drehbuchautor Stefan Weigl nahe, teilt die Welt in Täter und Opfer ein: hier die Weißen, dort alle anderen. Personen, die dieses Weltbild leugnen und außerdem weiß sind, gelten als Nazis.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Das ist fraglos ein faszinierender Essaystoff. Bei einer filmischem Unsetzung lässt sich jedoch nicht vermeiden, dass immer wieder jemand aufsteht und entweder ein Kurzreferat hält oder mit Worthülsen um sich wirft, die zwar sehr gewichtig, aber auch sehr aufgesagt klingen. Vermutlich kann Cris Blohm das alles auch deshalb nicht ernst nehmen. Johanna Wokalek verkörpert die Hauptkommissarin mit einem subtilen Augenzwinkern, das großen Spaß macht.
Ihr Spiel entschädigt für die Eindimensionalität vieler anderer Rollen. Das gilt vor allem für eine androgyne Professorin, die sich selbst "Profex" nennt, um sich der üblichen Geschlechteridentität zu entziehen. Mit ihren für Laien nur schwer verständlichen identitätspolitischen Lehr- und Merksätzen repräsentiert sie die Botschaft des Films: Diese Gruppierungen sind derart in ihrem Sprachduktus festgefahren, dass sie sich Außenstehenden kaum noch mitteilen können.
Zum Glück verlässt der Krimi die Ebene des abstrakten Diskurses oft genug, um ein Gegengewicht zu schaffen. Die Kombination Schwarz und Weiß ist natürlich keine Neuerfindung Weigls, aber Otto Ikwuakwu ist eine tolle Rolle: Der analytisch denkende Oberkommissar hat Theologie studiert, trägt Maßanzüge, lässt Blohm kühl abblitzen ("Otto bin ich nur für meine Freunde") und offenbart im Verlauf des Films einige biografische Überraschungen. Sehr schade, dass Bless Amada, Ensemblemitglied des Wiener Burgtheaters, nur in dieser Episode mitwirkt, zumal er mit Wokalek sowie dem aus den Krimis mit "Polizeiruf"-Vorgängerin Verena Altenberger übernommenen Stephan Zinner ein prima Trio ergibt. In einer der schönsten Szenen fordert Eden den neuen Kollegen zu den Klängen des Hits "Ebony and Ivory" von Michael Jackson und Paul McCartney zum Tanz durchs Büro auf; das ist nicht nur höchst verblüffend, sondern verdeutlicht auch die Leichtigkeit, mit der Weigl und Regisseur Dror Zahavi die Geschichte verstanden wissen möchten. Später greift der Film diesen Ansatz noch mal auf, als Blohm ein Solo zu einem weiteren Jackson-Klassiker ("Smooth Criminal") hinlegt.
Diese Unbeschwertheit fehlt in vielen anderen Momenten völlig. Blohms Chefin und ihr Pressesprecher wollen die Polizei zu einem Hort von Sensibilität und Toleranz umformen; beide wirken in ihrer Überzogenheit wie misslungene Witzfiguren. Viel besser ist der Film, wenn sich die wie die Zehn Gebote vorgetragenen, aber alltagsfern formulierten Dogmen selbst entlarven. Gleiches gilt für kleine Exkurse wie die "MeToo"-Empörung einer Studentin, die das Kompliment eines Dozenten über ihr Kleid als sexuelle Belästigung empfunden hat. Erzählungen dieser Art gibt es einige; mit den Ermittlungen haben sie nur selten zu tun. War das schön, seufzt Blohm, "als es noch reichte, einfach gegen den Kapitalismus zu sein." Trotzdem wirkt die Krimihandlung über weite Strecken wie ein Vorwand. Das ist immer ein schlechtes Zeichen.