An 16. September 2022 starb die iranische Kurdin Mahsa Amini, die in Polizeigewahrsam wegen eines schlecht sitzenden Kopftuchs zusammengeschlagen wurde und an den Folgen starb. Ihre Beerdigung war der Auftakt für die landesweiten Proteste gegen das Regime, die seither anhalten.
Im Zuge dieser feministischen Revolte wurden bis heute Hunderte Menschen von Regimeschergen getötet, Zehntausende in Gefängnisse verschleppt und gefoltert. Amnesty International fordert, dass die iranischen Staatsbediensteten zur Verantwortung gezogen werden, "die für Folter und rechtswidriges Töten von mehreren hundert Protestierenden verantwortlich sind". Wie die Menschenrechtsorganisation mitteilte, haben die Behörden der Islamischen Republik Iran "zahlreiche völkerrechtliche Verbrechen begangen, um jegliche Kritik im Keim zu ersticken".
Der Tod der jungen Kurdin Mahsa Amini löste eine Bewegung aus. Zur Beerdigung und zur Gedenkfeier am 40. Todestag auf dem Friedhof in der kurdischen Provinz bildeten sich kilometerlange Trauerzüge, die sich zu einem Protestmarsch wandelten. Frauen rissen ihre Kopftücher herunter und skandierten "Frau, Leben, Freiheit". Das wurde dann zum Slogan dieser Protestbewegung, der sich am Anfang vor allem junge Menschen anschlossen.
Der Protest erreichte das ganze Land. In den sozialen Medien kursierten Bilder der 22-jährigen Mahsa Amini, wie sie im Koma lag. Fotos und Filme von den kilometerlangen Demonstrationszügen zum Friedhof wurden weitergereicht. Im Zuge dieser landesweiten Welle der Solidarität ließen Mädchen und Frauen ihre Kopftücher im Wind wehen oder verbrannten sie öffentlich. Schülerinnen fotografierten sich ohne Kopftuch mit Mittelfinger vor dem Porträt Ayatollah Chomeinis. Musiker teilten Musikvideos mit eigenen Protestsongs.
Feministische Revolte
Schauspielerinnen teilten Fotos ohne Kopftuch. Journalist:innen und Aktivisten dokumentierten den Protest. Der Aufstand erfasste alle Landesteile. Und das Regime schlug alles gewaltsam nieder. Kinder, Frauen, Männer wurden erschossen oder verschleppt und vergewaltigt. Das stachelte die Protestierenden nur noch mehr an. Amnesty Deutschland spricht von 20.000 Inhaftierungen nur in der zweiten Jahreshälfte 2022.
Schnell wird der Aufstand als erste femistische Revolte bezeichnet. Das schreibt auch die Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur in ihren Buch "Iran ohne Islam". Mit ihrem Schicksal konnten sich viele identifizieren. Das, was Mahsa Amini passierte, als sie in Polizeigewahrsam zu Tode kam, "das hätte auch mir, meiner Mutter, meiner Schwester, meiner Cousine auch passieren können, es betrifft uns alle."
Viele Bevölkerungsgruppen schlossen sich den Protesten an. Es gehe um Selbstbestimmung und das betreffe alle. Man gehe wegen des eigenen Leids, wegen des eigenen Frusts und der Wut auf die Straße. Anfangs seien die Frauen federführend gewesen, aber bald schlossen sich ganz unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen an.
Die Hymne der Revolte "Baraye" von Sänger Shervin fasste es zusammen - es ging nicht nur gegen den Kopftuchzwang und die staatliche Misswirtschaft, sondern gegen den "Gottesstaat" in seiner Gesamtheit, schreibt Amirpur.
Es gehe um Selbstbestimmung für Frauen, für queere Menschen, für Minderheiten, um eine freie Kunst und eine freie Religionsausübung. Und in diesem Rausch, taten viele Verbotenes: zum Beispiel tanzten Frauen und Männer gemeinsam auf der Straße - ein Vergehen, dass den Tanzenden, wenn sie erwischt wurden, jahrelange Haftstrafen einbrachte.
Garde bringt sich in Stellung
Schon Wochen vor dem Jahrestag hat das iranische Regime mit seiner Revolutionsgarde Vorkehrungen getroffen, damit Proteste gar nicht erst entstehen können. Das sagt Shoura Hashemi von Amnesty International Österreich. In der kurdischen Provinz habe sich die Armee der Revolutionsgarde in Stellung gebracht, riegelte ganze Ortschaften ab. In der kurdischen Stadt Saqqez begann vor einem Jahr der Aufstand.
Dieses Mal wolle das Regime eben nicht überrumpelt werden, wie letztes Jahr, "und dementsprechend ist die Stimmung auch angespannt", sagte Hashemi. Die Leute hätten auch ein bisschen Angst, "was jetzt wirklich passiert, wie hart das Regime durchgreift". Schon vorbeugend seien Menschenrechtler, Künstler und ihre Angehörigen festgenommen worden. Oft mit der Begründung, sie hätten gegen Bewährungsauflagen verstoßen. Auch Gräber der ermordeten Aufständischen seien verwüstet worden.
Von Januar bis Ende Juli 2023, ermittelte Amnesty International, habe es bereits 411 Hinrichtungen gegeben - im ganzen Jahr 2022 waren es 576. "Mehr als die Hälfte der rechtswidrig Getöteten gehörte den unterdrückten belutschischen oder kurdischen Minderheitengruppen an", sagte Hashemi. Die Menschen im Iran seien inzwischen enttäuscht, dass es keine weitere Unterstützung aus dem Westen gegeben habe. Trotzdem sei Hashemi zuversichtlich, dass wieder mehr Druck im Westen aufgebaut werden könne.